Social Media:Regeln für den Informationskrieg

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Illustration: Bernd Schifferdecker (Foto: Bernd Schifferdecker)

Die Social-Media-Unternehmen haben russische Propaganda gesperrt. Das war richtig, geschah aber intransparent. Sie sollten schleunigst Grundlagen schaffen, wie im Social Web mit Kriegen umzugehen ist.

Kommentar von Philipp Bovermann

Wie mag sich das wohl anfühlen? Man drückt einen Knopf, schon bekommen Millionen von Menschen bestimmte Inhalte im Internet nicht mehr zu sehen. Die Macht über globale Informationsflüsse, die sich undurchsichtige Autokraten wie Wladimir Putin wünschen, liegt bei intransparenten, zentral gelenkten Tech-Konzernen. Seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine haben Firmen wie Meta, Google, Twitter und Tiktok russische Propagandalügen gesperrt. Der Kreml sperrte daraufhin seinerseits die entsprechenden Plattformen. Zurück blieben die russischen Nutzer in der enger werdenden Propagandablase der staatlichen Medien. Was für ein Sieg.

Die Knöpfe wurden hastig gedrückt, es war Krieg. Allmählich aber sollte eine öffentliche Diskussion darüber einsetzen, ob die Social Media-Unternehmen ihrer Verantwortung gerecht geworden sind. Einiges spricht dagegen.

Vor allem der Konzern Meta, mit seinen Plattformen Facebook und Instagram der gewichtigste Player, hat unglücklich agiert. Er entschied, die Regeln für Hassrede zu lockern, damit Ukrainer nicht zensiert werden müssten, wenn sie den Angreifern den Tod wünschen. Hass ist in einem Krieg, so zynisch es klingt, der Normalfall. Vermutlich hätte es so viel zu blockieren gegeben, dass Metas Löschteams Beiträge der Ukrainer automatisch hätten sperren müssen, etwa mithilfe von Software, die nach Schlagworten sucht. Sie hätten sich zum Werkzeug des russischen Zensurapparats gemacht. Ein völlig inakzeptables Szenario.

Der Plattformen haben bereits Kriege erlebt

An die Öffentlichkeit gelangte die Lockerung der Hassrede-Richtlinie aber durch einen Leak an die Nachrichtenagentur Reuters. Die klammheimliche Art, mal eben Hass auf Russen zu erlauben, lieferte dem Kreml eine Steilvorlage, Meta als staatstreue westliche Organisation zu dämonisieren und seine Dienste zu sperren. Youtube wiederum, das zu Google gehört, sperrte die Kanäle der russischen Staatssender auf Verlangen der EU zunächst nur in Europa und ließ sie in anderen Teilen der Welt laufen. Der Konzern entschied sich dann doch noch für eine globale Sperre, aber da war der Eindruck, hier werde eine staatliche Informationsdoktrin umgesetzt - mit anderen Worten: zensiert -, schon entstanden.

Ganz anders hätte es laufen können, wenn die Konzerne transparent und proaktiv gehandelt hätten. Wenn sie öffentlich einsehbare, für alle Staaten gleichermaßen gültige Regeln und Abläufe gehabt hätten, wie mit bewaffneten Konflikten umzugehen sei. Etwa in Form unabhängiger Kommissionen, in denen Expertise zu Menschenrechten und Informationsfreiheit einerseits und zur Konfliktregion andererseits zusammenkommt, um sich über Löschpraktiken im vorliegenden Fall zu verständigen. Hätte. Wäre. Tja.

Es ist ja auch nicht so, als sei am 24. Februar nie Dagewesenes passiert, schon gar nicht aus Sicht internationaler Tech-Plattformen. Sie haben Erfahrung mit Kriegen und bewaffneten Ausschreitungen, im Mittleren Osten etwa, in Bergkarabach, Myanmar, Äthiopien - nur haben diese Teile der Welt sie eben nie besonders interessiert. Die Mühen, in Kriege und die begleitenden Informationskriege tiefer einzusteigen, haben sie nicht wirklich auf sich genommen.

Der nächste Konflikt wird kommen

Der Kampf um das freie russische Internet jedenfalls ist noch nicht ganz verloren. Youtube ist in Russland weiterhin frei zugänglich. Am Montag entschied ein russisches Gericht zudem überraschend, dass Instagram und Facebook unter bestimmten Auflagen weiterhin legal zu nutzen seien. Zu erreichen sind die Plattformen wegen der Sperre aber nur über einen technischen Kniff. Auch wenn es sicher zu hoffnungsvoll wäre, das als Zeichen einer nahenden Lockerung der staatlichen Zensur zu deuten, ist es für Tech-Unternehmen nicht zu spät, unabhängige Strukturen für den Umgang mit Inhalten in Kriegszeiten zu schaffen. Wenn nicht für diesen, dann zumindest für den nächsten Konflikt. Denn der wird kommen.

Lupenreine Autokraten werden freie soziale Medien zu verbieten versuchen, egal wie transparent und staatsfern die Unternehmen agieren. In erodierenden Demokratien aber, in denen noch nicht alle Pfeiler weggebrochen sind, könnten die Machthaber es dann schwer damit haben. Das kann Kriege entscheiden - idealerweise so, dass sie gar nicht erst beginnen.

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