Digitale Gesellschaft:Was Youtube-Tutorials mit der Krise des Handwerks zu tun haben

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Dank Youtube-Tutorials gehen Menschen häufig selbst an die Werkbank, statt Profis zu beauftragen. (Foto: dpa)

Waschmaschine kaputt? Das Handy streikt? Der moderne Mensch nimmt solche Probleme selbst in die Hand. Doch die digitale Selbstermächtigung bedroht eine der größten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte.

Gastbeitrag von Nathalie Weidenfeld

Ein junger Mann, der unschwer als Yves-Saint-Laurent-Verschnitt zu erkennen ist, sieht kritisch auf seine Models auf dem Laufsteg, gibt seinen Näherinnen klare Anweisungen, er wandelt zielstrebig durch sein Atelier direkt in einen Fotoshoot, den er selbstbewusst kommentiert und dirigiert. Im Off ertönt seine Stimme, er liebe es, alles in seinem Leben zu kontrollieren, sagt er, und sein eigener Herr zu sein. Unter anderem auch seiner Finanzen. Deswegen sei er auch sein eigener Banker. Und deshalb habe er die Bfor-Bank zu seiner Bank auserkoren. "Ich bin mein eigener Banker", sagt er. Dann erscheint das Logo der neuen Bank. Eine Bank, bei dem die Kunden ihre Bankgeschäfte ausschließlich online erledigen.

Selbständig zu sein und das Steuer des Lebens in die Hand zu nehmen, klingt natürlich sehr reizvoll. Gerade in einer unübersichtlich gewordenen Welt geradezu ein herrliches Versprechen. In der Tat scheint die heutige Zeit besser als alle anderen dafür geeignet, sein eigener Herr beziehungsweise Experte zu sein, kann man sich doch auf Knopfdruck Informationen zu allem und jedem besorgen. Freundlicherweise wird der Kunde auf dem Weg zum "Self Empowerment" von vielen Firmen kräftig unterstützt. Wer ein Waschmaschinenproblem hat, soll erst mal im Internet forschen, was es sein kann. Das Gleiche gilt für Handy, Internet und andere Probleme. Seine eigenen Probleme selbst in die Hand zu nehmen, hat - wenn man so will - noch eine philosophische Dimension, denn sprach nicht schon Aristoteles davon, dass der Mensch nur durch das Entfalten seiner gesamten Talente sein eigenes Leben zur wahren Blüte bringen könne?

Die "Yeoman Farmer" waren selbstgenügsame Dilettanten

Zum Ideal unseres Jahrhunderts wird zunehmend der digitale Yeoman. "Yeoman" nannte man in früheren Jahrhunderten all jene Bauern mit etwas Land, die unabhängig und frei agierten. Es war der US-Präsident Thomas Jefferson, der den Yeoman zum allgemeinen Ideal erhob. Selbstgenügsam und selbstverantwortlich, moralisch nicht korrumpierbar und dem Gedanken der Gleichheit verpflichtet. Er lässt sich weder von Aristokraten einschüchtern, noch unterwirft er sich fremden Autoritäten. Dass der "Yeoman Farmer" möglicherweise deshalb so genügsam war, weil ihm die Mittel fehlten, zu expandieren, oder er mangels Spezialkenntnissen seine Landwirtschaft nicht modernisieren konnte, steht auf einem anderen Blatt und tat dem Erfolg der Yeoman-Farmer-Propaganda keinen Abbruch.

Der Yeoman Farmer erfuhr im Laufe der Zeit Modifikationen. So wurde aus diesem im Zuge der Verstädterung und der Industrialisierung im 19. Jahrhundert der "common man", der einfache Mann aus dem Volke, der zwar keine Farm mehr hatte, dafür aber instinktiv wusste, was richtig ist, und sich von Autoritäten und Institutionen nicht einschüchtern ließ.

Vom Common Man zum Do-it-Yourself-Hippie

In den 1970ern modernisierte sich der Yeoman Farmer erneut: Diesmal trug er lange Haare und bunte Kleider. Es war die Zeit der 68er-Revolution und damit auch der hippiehaften Do-it-yourself-Bewegung. Zur antiautoritären und antibürgerlichen Bewegung passte die Verkündigung, Menschen sollten sich weder von ihren Eltern noch vom Staat oder gar von Schulen und Kirchen bevormunden lassen. Ein neuer Kult des Dilettantismus wurde geboren, von Joseph Beuys mit der Formulierung geadelt: "Jeder Mensch ist ein Künstler." Jeder kann ein Töpfer, Komponist, Autor, Regisseur, Wissenschaftler sein.

Heute gibt es wieder eine Erneuerung des Yeoman-Farmer-Ideals, und zwar diesmal in Form des digitalen Yeoman, also eines Bürgers (oder einer Bürgerin), der (oder die) ganz auf sich selbst gestellt mithilfe des Internets Fachwissen erwirbt und Entscheidungen trifft. Er ist zwar nicht so selbstgenügsam wie der Jefferson'sche Yeoman Farmer, da er sich den Erwartungen der kapitalistischen Konsumkultur angepasst hat, aber er lässt sich genauso wenig von Autoritäten bevormunden oder auch nur beeinflussen und verachtet traditionelle Institutionen. Fachliche Kompetenzen hat er nicht nötig, da er selbst seine Probleme regelt.

Der digitale Yeoman ist auch in Deutschland beheimatet. Dazu gehört das Selberbasteln und Selberbauen genauso wie die Installation von Software, Krisenintervention bei Verbindungsproblemen, Lösen von Kompatibilitätsproblemen und generell der Umgang mit digitalen Produkten und digitaler Infrastruktur. Auch der aufgeklärte, moderne Patient mutiert zum Yeoman. Sein Arzt fungiert als bloßer Informationsbeschaffer. Er verzichtet auf Empfehlungen und Ratschläge, damit die Autarkie des Yeoman-Patienten nicht gefährdet wird. Yeoman soll die Verantwortung für seine eigene Vorsorge und Therapie übernehmen, auch wenn er weder Ernährungswissenschaft noch Medizin studiert hat. Yeoman braucht keine spezifischen Kompetenzen, er verlässt sich auf sein Bauchgefühl, er entspricht dem Ideal des modernen, mündigen Patienten, der selbst weiß, was für ihn gut ist.

Der moderne Yeoman entwertet Expertise und Professionalität. Er braucht keine professionellen Handwerker. Er sieht nicht ein, warum er sich den Mühen jahrelangen Übens, Lernens und Studierens unterziehen sollte. Er bevorzugt ein Studium, das kurz ist und für alles und nichts qualifiziert. "Learning on the Job" wird später schon ausreichen. Die Attraktivität einer handwerklichen Ausbildung oder eines wissenschaftlichen Studiums sinkt.

Handwerks-Marketing gegen Baumarkt-Marketing

Der Zentralverband des Handwerks versucht, mit groß angelegten Kampagnen gegenzusteuern. Mit diesen soll vermittelt werden, dass Handwerker, die etwas Besonderes gebaut, konstruiert, gebacken, geschnitten oder kreiert haben, auf sich und das, was sie geschaffen haben, stolz sein können. "Und? Was hast du heute gemacht?", steht provokativ auf den Plakaten, auf denen ein selbstbewusster Handwerker stolz seine von ihm gefertigte Gitarre oder eine Beinprothese präsentiert. Der Subtext lautet klarerweise: "So was kannst du nicht so leicht."

Die Botschaft der Yeoman-Ideologie lautet anders. Da heißt es eher: "Geht nicht - gibt's nicht", analog zum Werbeslogan einer Baumarktkette, die selbst natürlich auch von der Yeoman-Ideologie profitiert.

Was sich hier abspielt, ist ein Kampf der Kulturen. Auf der einen Seite die europäische spätmittelalterliche Tradition des Handwerks, der Professionalität und der Aufgabenteilung, auch der Hierarchie und des Kompetenzgefälles, der Qualitätsmaßstäbe und der technischen und ästhetischen Ansprüche. Auf der anderen das aus den USA stammende Idealbild des Yeoman, des Selbstalleskönners und -müssers, der sich arrangiert mit dem Vorgefundenen und Naturgegebenen, der keiner Autoritäten und keiner Fachlichkeit bedarf.

Menschen vertrauen einander. Und sie delegieren. Der Preis dafür ist die Verantwortung

Das Ideal, das die Bfor-Bank feiert, aber auch die Bildungsideologie der OECD: Möglichst alle sollen studieren, aber kurz und unspezifisch, traditionelle Ausbildungen und das Humboldt'sche Wissenschaftsideal können gleichermaßen entsorgt werden, Fachlichkeit und Kompetenz behindern die Mobilität der Märkte und die Flexibilität der Arbeitskräfte.

Die Erfolgsgeschichte der Bfor-Bank hat jedoch eine Schattenseite, wird die Bank doch seit einiger Zeit mit dem unerwarteten und ungeliebten Problem konfrontiert, dass der Informationsbedarf der Kunden wesentlich höher als erwartet ist. Durch den Ansturm von Anfragen sah sich die Bankdirektion in Paris kürzlich gefordert, ihre Angestellten freundlich dazu aufzufordern, solidarisch ihren Kollegen aus der Kundenmail-Sektion unter die Arme zu greifen, um ihnen bei der Flut von E-Mails behilflich zu sein, auch wenn dies nicht zu ihrem Aufgabengebiet gehört. Ob sich die Angestellten im Sinne Aristoteles' dadurch in ihren Entfaltungsmöglichkeiten gefördert sehen, ist zweifelhaft.

Menschen vertrauen einander. Und sie delegieren. Der Brotkäufer überlässt seinem Bäcker die Arbeit des Backens und vertraut ihm, dass dieser ihm keine vergifteten Semmeln verkauft. Der Patient überlässt seinem Arzt die Wahl der Medikamente und vertraut ihm, dass dieser ihm das Richtige rät. Es war gerade diese Eigenschaft des Delegierens und Vertrauens, die den Menschen als Spezies überhaupt so weit gebracht hat, dass er seine Zivilisationen errichten konnte. Der Preis für das Vertrauen ist die Verantwortung, die jene Menschen, denen vertraut wird, übernehmen müssen. Und dieses Vertrauen ist nur gerechtfertigt, wenn wir fachliche Kompetenz erwarten können. Der Verlust an Fachlichkeit im Bildungswesen und im Erwerbsleben, den die Yeoman-Ideologie mit sich bringt, gefährdet diesen zivilisatorischen Pakt.

Die Autorin ist Filmwissenschaftlerin. Zuletzt erschien von ihr (gemeinsam mit Julian Nida-Rümelin) das Buch "Digitaler Humanismus" (Piper).

© SZ vom 12.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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