Süddeutsche Zeitung

Nahaufnahme:Die Netzwerkerin

Yao Wen kauft Komponenten aus Asien für deutsche Konzerne. Sie kam in den 80er Jahren mutterseelenallein nach Deutschland.

Von Kathrin Werner

Als Yao Wen am 1. November 1985 in Deutschland ankam, war sie gerade 21 Jahre alt geworden. Sie hatte 30 Dollar in der Tasche, mehr durfte sie nicht mitnehmen. China war damals komplett abgeschottet vom Westen, die Regeln waren streng. Ihr Bargeld reichte noch nicht einmal, um sich ein Zugticket nach Augsburg zu kaufen, wo sie studieren wollte und einen Professor kannte. "Es war ein bewegender Moment, so allein herzukommen", sagt sie.

Wen hatte Glück. Sie traf Menschen, die ihr halfen und kam in Augsburg an. Sie studierte dort, bekam ein Stipendium und schloss mit Auszeichnung ab. Ihre Eltern sah sie acht Jahre lang nicht, sie schrieb Briefe, die einen Monat mit der Post brauchten. Aber sie lebte sich ein, machte sich Freunde mit selbst gekochtem chinesischen Essen, das damals noch kaum einer kannte - und legte den Grundstein für eine große Karriere in dem fremden Land.

Heute ist Yao Wen Unternehmerin. Die 56-Jährige hat eine steile Karriere bei Siemens gemacht - und sich dann von Siemens gelöst, als es am besten lief. Nach ihrem Studium war sie beim Computerhersteller Siemens Nixdorf aufgefallen, der dringend Hilfe mit Kontakten nach China brauchte. Dort blieb sie nicht lange, denn in der Siemens-Zentrale brauchte man sie noch dringender. Sie knüpfte aus München heraus die Lieferbeziehungen von Siemens in China, kaufte dort Einzelteile für den Konzern, als die anderen das noch längst nicht konnten.

Ohne Wen sähe die deutsche Wirtschaft anders aus

Siemens schickte sie 1992 für einige Jahre nach Hongkong, von wo sie Einkaufbüros in China mitaufbaute. "Damals waren kaum andere deutsche Unternehmen dort", sagt sie. "Ich war eine richtige Frontfrau." Die chinesischen Auftragsfertiger wie Foxconn waren damals noch ganz kleine Unternehmen mit 200 Mitarbeitern. Wen lernte die Gründer kennen, knüpfte ein Netzwerk. Sie war so erfolgreich, dass andere deutsche Unternehmen auf Siemens zukamen. Wen kehrte nach München zurück und leitete eine neue Abteilung: Sie kaufte künftig auch für Drittfirmen Komponenten in China ein, ein Milliardengeschäft. Ohne Wen sähe die deutsche Wirtschaft anders aus, vor allem die Beziehungen nach China wären andere. Schlechtere.

Als Siemens sich mehr auf das Kerngeschäft konzentrieren wollte, stellte das Unternehmen ihre Abteilung zum Verkauf. "Ich wollte das von mir selbst gegründete Geschäft weiterführen", sagt Wen. Sie kaufte die Abteilung gemeinsam mit ihrem Siemens-Kollegen Dimitrios Bachadakis aus dem Konzern heraus - und wurde 2004 Unternehmerin. "Wir waren sofort profitabel", erzählt sie. "An dem Tag, an dem wir den Betriebsübergang gemacht haben, hatten wir sofort acht Millionen Euro an Auftragsbestand. Das war schon aufregend als Start-up."

Für ihre Unternehmerinnen-Geschichte hat Wen nun den Münchner Wirtschaftspreis für Frauen, La Monachia, bekommen. Heute kaufen ihre rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter elektronische Bauteile, Solarzellen und Rohstoffe aus mehr als 30 Fabriken in Asien und verteilen sie auf mehr als 35 Fabriken in der ganzen Welt. In jedem zweiten Haushalt in Europa stehen Haushaltswaren, die eine von ihrer CIP Group beschaffte Komponente enthalten, etwa elektronische Platinen für Kühlschränke. Gerade entwickelt ihr Unternehmen außerdem ein elektrisches Lastenrad namens Mocci, das in Fabriken und Lagerhallen zum Einsatz kommen soll. Das Teile-Geschäft ist schwierig seit der Pandemie, schließlich waren viele Fabriken in China lange geschlossen und Plätze auf Containerschiffen rar. Doch Wens Netzwerk habe ihr geholfen, trotzdem genug Komponenten zu ihren Kunden zu bringen, sagt sie. "Es hat uns viel Kraft gekostet, aber wir haben keine einzige Störung bei unseren Kunden verursacht."

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