Süddeutsche Zeitung

Yahoo-Chefin Carol Bartz:"Wir sind mitten in einer neuen Internetblase"

Internetpionier Yahoo will wieder ganz nach oben. Konzernchefin Carol Bartz über Gier im Silicon Valley, Entlassungen am Morgen und den Gegner Facebook.

Thorsten Riedl

Amerikaner können höflich sein. Doch Carol Bartz, 62, ist unbequem und spricht Klartext. Sie führt Yahoo seit 2009. Nach Fehlentscheidungen ihrer Vorgänger soll sie den Internetpionier wieder auf die Spur bringen. Bis 2012 will sie das dank der Einnahmen aus Internetwerbung schaffen.

SZ: Neulich haben Sie einen Ihrer Sprüche losgelassen: "Ich feuere Mitarbeiter morgens - dann bin ich am frischesten." Heute schon Leute rausgeworfen?

Bartz: Moment, wörtlich habe ich gesagt: Wann immer ich jemanden gefeuert habe, war das morgens. Es ging nicht um Massenentlassungen, sondern um eine Person, die mal für mich gearbeitet hat.

SZ: Nur eine Person? Yahoo hat im Dezember 600 Mitarbeiter entlassen, im Januar 150. Rivalen wie Google oder Facebook suchen händeringend Leute.

Bartz: Wir stellen doch auch ein, haben gerade Hunderte offene Stellen weltweit, viele in Indien oder den Vereinigten Staaten, also dort, wo wir entwickeln. Auch in Deutschland in unserer Marketing- und Vertriebsniederlassung gibt es Chancen. Yahoo hat ein Problem mit dem Mix seiner Angestellten: Wir haben die einen, suchen aber die anderen, Softwareentwickler etwa oder Experten für das mobile Internet brauchen wir.

SZ: Wer geht schon zu einem Unternehmen, das durch Kündigungsrunden auf sich aufmerksam macht? Den Wettkampf um die Besten muss Yahoo verlieren.

Bartz: Nein. Seit fast 30 Jahren arbeite ich im Silicon Valley, seither gibt es diesen Krieg um Talente, der jetzt wieder heraufbeschworen wird. Die Talente dort sind äußerst mobil, sie wissen sehr genau, was und wen sie suchen.

SZ: Yahoo hat also keine Probleme, geeignete Mitarbeiter zu finden?

Bartz: Das sind doch keine Schwierigkeiten. Im Valley ist es normal, dass gefragte Kandidaten Dutzende Einstellungsgespräche führen - und meine Aufgabe besteht dann darin, das Unternehmen und den Job so gut wie möglich zu verkaufen. Nicht jeder will zu Google oder Intel - und Yahoo ist als Arbeitgeber eine der ersten Adressen.

SZ: In Ihrer Karriere wären Sie fast gescheitert, weil Sie eine Frau sind. Ihr Arbeitgeber 3M stellte sich Ihnen 1976 genau deshalb in den Weg. Sie wechselten umgehend zu DEC. Ganz schön mutig für eine damals 28-Jährige, finden Sie nicht?

Bartz: Wer keine Chance bekommt, der sollte gehen. So einfach ist das.

SZ: In Deutschland diskutieren wir gerade über mehr Frauen an der Spitze . . .

Bartz: Oh, wirklich - im Ernst?

SZ: Ja, tatsächlich. Was halten Sie von einer Quote für weibliche Spitzenkräfte?

Bartz: Frauen sollten die Möglichkeit haben, den Job anzunehmen, für den sie qualifiziert sind. Dafür braucht es keine Quote. Es genügt eine Anerkennung ihrer Ausbildung und ihrer Fähigkeiten. Wir repräsentieren die Hälfte der Bevölkerung, das heißt doch wahrscheinlich, wir können mithalten und sind genauso schlau.

SZ: Wieso gibt es dann so wenige Frauen in Führungspositionen?

Bartz: Weil die, die über die Karriere entscheiden, meist männlich sind.

SZ: Also wäre eine Quote sinnvoll.

Bartz: Das funktioniert so nicht. Das führt dazu, dass Menschen Dinge tun, die sie ohne Quote nicht machen würden, und sich unwohl dabei fühlen - und mit Sicherheit aus diesem Grund versagen.

SZ: In der IT-Industrie mangelt es auch an Frauen. Wie kommt das?

Bartz: Manchmal denke ich, Mädchen bekommen die Grundlagen für Mathematik und Informatik nicht richtig vermittelt, wenn die Zeit dafür wäre, also mit zehn oder zwölf Jahren. Bei Mathe baut alles aufeinander auf. Wer nicht addieren und subtrahieren kann, lernt nie zu dividieren und multiplizieren. Eins führt zum anderen. Wenn es bei Mädchen nicht klappt, heißt es: "Nicht schlimm, dafür bist du gut in Englisch oder beim Schreiben. Ingenieurin wirst du ja ohnehin keine." Mädchen müssen früh gefördert werden.

SZ: Haben Ihre Eltern Sie unterstützt?

Bartz: Sie haben mich ermutigt, in allem gut zu sein, also auch in Naturwissenschaften und Mathematik.

SZ: Dann rechnen wir mal: Die Anteile von Yahoo in Asien werden auf 18 Milliarden Dollar geschätzt. Den jetzigen Börsenwert von Yahoo abgezogen, bleiben nur noch vier Milliarden Dollar für den Rest übrig. Ganz schön wenig, oder?

Bartz: Unsere Beteiligungen an Alibaba in China und der Yahoo-Tochter in Japan, die wir mit der Telefongesellschaft Softbank betreiben, haben sich phantastisch entwickelt. Yahoo selbst muss jetzt wieder wachsen. Wir sind auf bestem Weg, haben den Gewinn verdoppelt, die Kosten um Milliarden Dollar gesenkt.

SZ: Wann ist die Wende geschafft?

Bartz: Steve Jobs hat dafür bei Apple sieben Jahren gebraucht, das vergessen viele. Ich werde es in vier Jahren hinkriegen. Ende 2012 steht Yahoo gut da.

SZ: Wo kommt denn künftig das Wachstum her?

Bartz: Aus dem Geschäft mit Internetwerbung. Zuletzt sind unsere Umsätze mit Online-Marketingkampagnen um fast 20 Prozent gestiegen. Wenn das so bleibt und sich das Suchgeschäft mit Microsoft etwas besser entwickelt, wird Yahoo wieder wachsen. Beide Geschäfte stehen je für die Hälfte des Umsatzes.

SZ: Aber Suchmaschine ist Yahoo keine mehr. Das macht Microsoft für Sie.

Bartz: Das Lustige ist doch: Wir waren noch nie eine Suchmaschine.

SZ: Zum Start 1995 konnten die Nutzer mit Yahoo das Web durchsuchen.

Bartz: Nein, Yahoo war ein Portal, auf dem Webseiten gesammelt wurden, ein Katalog. Den Bereich Suche hatten wir nur in den vergangenen fünf Jahren.

SZ: Was hat Yahoo von der Such-Allianz mit Microsoft? Zwei Lahme ergeben zusammen ja noch keinen Sprinter.

Bartz: Wir sparen eine Menge Geld. Vorher hatten Yahoo und Microsoft jeweils eigene Rechenzentren, nur für die Suche. Jetzt brauchen wir unseres nicht mehr. Außerdem müssen die Werbekunden nur noch einmal eine Anzeige schalten statt separat für Microsoft und Yahoo. Gemeinsam sprinten wir schneller als allein.

SZ: Wann haben Sie zuletzt an jene 48 Milliarden Dollar gedacht, die Microsoft für eine Fusion mit Yahoo zahlen wollte? Das ist doch mehr als das Doppelte von dem, was Yahoo heute noch an der Börse wert ist.

Bartz: Da habe ich noch nie dran gedacht, denn 2008 war ich ja nicht da.

SZ: Und wie hätten Sie gehandelt, wenn Sie schon an Bord gewesen wären?

Bartz: Ich wäre verrückt, wenn ich jetzt nicht sagen würde, dass ich es gemacht hätte. Aber man muss im Augenblick leben. Im Nachhinein ist man immer klüger. Solche Gedanken sind unfair gegenüber denen, die damals an Bord waren.

SZ: Nun versucht es Yahoo alleine, ohne Suchgeschäft. Was will Yahoo sein?

Bartz: Wir sind ein digitales Medienhaus für hochwertige Inhalte. Das Netz ist nur eine Technologie, aber die Leute interessieren sich für die Inhalte, die sie dort finden: für Nachrichten, Neuigkeiten über ihre Freunde, Filme, die sie schauen. Es dreht sich immer um Inhalte, und die stellen wir bereit. Facebook ist die soziale Seite des Netzes, Google steht für die Suche - Yahoo für die Inhalte.

SZ: Sie haben den Rivalen AOL vergessen, der ja auch auf Medienhaus macht.

Bartz: Kann man vernachlässigen.

SZ: Wenn AOL und Yahoo schon eine ähnliche Strategie fahren, könnten sich beide nicht gleich zusammenschließen?

Bartz: Das müssen Sie Leute fragen, die mit solchen Ideen herumspinnen. Über so etwas spekuliere ich noch nicht mal.

SZ: Junge Leute brauchen von den drei genannten Seiten nur Facebook.

Bartz: Da ist was Wahres dran - weil die Jugendlichen keine Arbeit haben und nicht wissen müssen, was auf der Welt vor sich geht. Das ändert sich mit dem Alter. In den USA sind wir in allen Altersgruppen gut vertreten. Wir haben 630 Millionen Nutzer - immer noch mehr als Facebook.

SZ: Mark Zuckerberg, der Gründer von Facebook, ist gerade mal 26 Jahre alt, seine Kollegen von Foursquare, Groupon und bald auch Google sind in den Dreißigern. Regieren ab jetzt die Jungen das Netz?

Bartz: Unfug. In den achtziger Jahren bei Sun waren die Gründer auch Mitte 20. Das ist doch nichts Neues. Es gibt in jeder Firma einen Platz für jedes Alter.

SZ: Alle interessieren sich nur noch für die jungen Web-Firmen: Foursquare, Twitter, Groupon - die werden mit Milliarden von Dollar bewertet. Finden Sie das nicht auch etwas übertrieben?

Bartz: Mit Sicherheit befinden wir uns mitten in einer neuen Internetblase. Ich sage Ihnen: Die Welt ist ein einziger Kreislauf. Es geht immer um Physik, um Schwingungen. Man weiß nur nicht, wie hoch etwas steigt oder wie tief es fällt - und wie lange oder kurz es dauert. Dinge werden hochgekocht, sind heiß und kühlen dann wieder ab. Heiß, kalt, heiß, kalt - ein Kreis. Ich habe zu lange gelebt, um das nicht mit Sicherheit sagen zu können.

SZ: Was macht denn gerade junge Firmen so heiß?

Bartz: Die Leute interessieren sich dafür, es gibt diesen Herdendrang. Sie wollen damit Geld verdienen. Ein bisschen Gier ist wohl auch im Spiel.

SZ: Wie wollen Sie Yahoo wieder ins Gespräch bringen?

Bartz: Wir waren ja nie uninteressant. Die Frage, wer modisch ist und wer nicht, spielt letztlich keine Rolle. Es gibt eine Menge guter deutscher Unternehmen. Wer fällt Ihnen ein? BMW, Mercedes, Bosch? Erzählen Sie denen mal, dass ihre Firma gerade nicht "heiß" ist, damit erklären Sie deren gesamte Arbeit für wertlos. Das ist doch einfach nur beschränkt.

SZ: Ihr Vertrag bei Yahoo läuft bis 2013. Wenn wir uns in drei Jahren wiedersehen, sind Sie 65 Jahre alt. Ist Yahoo dann noch eigenständig - mit Ihnen als Vorstandschefin?

Bartz: Yahoo wird auch 2014 noch unabhängig sein und sehr, sehr erfolgreich, glauben Sie mir. Ob ich das Unternehmen dann führe oder jemand anders - das ist eine ganz andere Frage.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2011/ema/aum
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