XXXLutz: Beschwerden von Mitarbeitern:Die unter dem roten Stuhl

In wenigen Jahren hat die Möbelkette XXXLutz den deutschen Markt aufgerollt. Doch Mitarbeiter klagen über Leistungsdruck und raue Sitten. Das Unternehmen kontert.

Katja Riedel

Es gehört schon einiges dazu, Ottfried Fischer wie einen Zwerg aussehen zu lassen. Die österreichische Möbelkette XXXLutz hat es geschafft. In Dirigentenfrack und Oberhemd sitzt der massige Schauspieler, als "Bulle von Tölz" bekannt, nun auf einem überdimensionierten roten Stuhl. Wer Fischer so klein aussehen lässt, muss wirklich groß sein, will die Werbung sagen. Möbel Lutz ist groß, ein Riese, und der rote Stuhl ist sein Erkennungszeichen. Dieser Stuhl ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden. So groß, dass mancher Mensch darunter sich winzig klein fühlt.

XXXLutz, Foto: Baumgart

XXXLutz-Filiale in Aschheim bei München: Mancher Mensch fühlt sich winzig klein unter dem großen Stuhl.

(Foto: Foto: Ulla Baumgart)

Domäne, Möbelix, Oase, Mann Mobilia, Engelhardt, Siegle, Neubert, Bierstorfer, Karstadt Theresienhöhe, Hiendl, Krügel, Emslander und zuletzt Gamerdinger. Vor allem im süddeutschen Raum hat Lutz viele Familienbetriebe geschluckt. Seit 20 Jahren ist Lutz in Deutschland. Mehr als 9300 Menschen arbeiten hier für das Unternehmen, das die Brüder Richard und Andreas Seifert vom oberösterreichischen Wels aus steuern. Europaweit gibt es 16.500 Mitarbeiter.

Seit 1999 stehen drei Xe vor dem L. Sie stehen für Größe, für Wachstum. Sie stehen auch für einen Umzug, von kleinen Läden in den Innenstädten ging es hinaus in die Industriegebiete, in große Betonklötze. Gewinn macht, wer den Umsatz steigert. Die Großen liefern sich Rabattschlachten, die Kleinen können nicht mithalten. In Süddeutschland konkurrieren Höffner, Segmüller und Lutz. Einige kämpfen nicht nur mit Preisen; sie schicken auch Prominente in den Ring.

Als Lutz 2008 seinen neuen Möbelpalast in Aschheim bei München eröffnete, sang Hansi Hinterseer, Alfons Schuhbeck kochte . Segmüller setzte Sarah Connor, Otto Waalkes und Marianne und Michael dagegen. Inzwischen hat Lutz mit Hollywood gekontert, Schauspieler Kevin Costner gab ein Konzert. Von der harten Konkurrenz profitieren die Kunden. Zahlen müssten die Mitarbeiter, sagt ein Branchenkenner, der anonym bleiben will. Früher, da konnte ein erfahrener Möbelverkäufer einen großen BMW vor der Tür parken. Die Zeiten seien vorbei. "Die Mitarbeiter sind für viele nur 'Humankapital'." Wer bei Lutz aufsteigen wolle, müsse "verlutzen". "Und das heißt entmenschlichen."

Probleme wegen Beinbruch

Vielleicht war Elisabeth G. einfach zu menschlich. Ihre Zeit als Lutz-Verkäuferin endete im Juni 2008. Die Münchnerin saß in einer Sitzgruppe gleich neben der Rolltreppe, die in weitere Verkaufsetagen des ehemaligen Karstadt-Einrichtungshauses an der Münchner Theresienwiese führt. Jeder Kunde, der auf der Rolltreppe fuhr, konnte Zeuge werden, wie sie von ihrer Vorgesetzten "in aller Öffentlichkeit eine Dreiviertelstunde lang niedergemacht" wurde, erzählt sie.

Dann musste sie in den zweiten Stock, zur Geschäftsleiterin, die ihr einen Aufhebungsvertrag vorlegte. Als G. ablehnte, drückte sie ihr die Kündigung in die Hand - "betriebsbedingt". Nach fast 25 Jahren im selben Haus. An diesem Tag erhielten sieben Mitarbeiter ihre Kündigung. Mit ihren 52 Jahren war G. die Jüngste von ihnen: Vier waren 60 Jahre alt, einer 59, einer 55. Wie diese Auswahl zustande kam, will Lutz auf Anfrage nicht beantworten.

Noch in den 80er Jahren galt das Münchner Karstadt-Haus als Vorzeigeobjekt. Als die Geschäfte schlechter liefen, stieg Karstadt aus dem Möbelhandel aus. 2004 kam Lutz. Die Würzburger BDSK Handels GmbH, eine Lutz-Tochter, übernahm das Haus. Sehr bald versuchte diese, Mitarbeiter zu entlassen, spielte öffentlich mit dem Gedanken, das Haus zu schließen. Die Pläne scheiterten am Widerstand der Gewerkschaften und dem Gesetz: Ein Jahr lang waren Mitarbeiter nach der Übernahme geschützt. Elisabeth G. durfte bleiben. Zunächst.

Ihre Probleme begannen mit einem Beinbruch. Als sie wieder zur Arbeit kam, sollte sie plötzlich nicht mehr Schlafzimmer, Betten und Matratzen verkaufen, sondern Sofas. Statt der vertrauten Karstadt-Kollegen hatte sie nun neue, jüngere, die mit den neuen Chefs ins Haus gekommen waren, erinnert sie sich. Plötzlich sei es nicht mehr darum gegangen, den Kunden ausführlich zu beraten, sondern nur noch um den Verkauf, so schnell wie möglich. Darum konnte G. sich allerdings kaum kümmern. Die erfahrene Verkäuferin musste Schilder aufstellen, Preise erneuern, Prospekte geraderichten - Arbeiten, die früher Auszubildende erledigten. Sofas verkaufen konnte sie in dieser Zeit nicht.

"Sonne im Herzen" oder "Mobbing"?

Das hatte Folgen. "Umsatzleistung ist sehr schlecht." Und: "Wie soll das mit dem Umsatz weitergehen?", hatte jemand auf ihrem Monatsbericht notiert. Alle vier Wochen musste sie, wie alle Lutz-Verkäufer, mit dem Hausleiter Umsatzgespräche führen. Lutz sieht in diesen Gesprächen eine Hilfe, damit jeder Verkäufer seine Ziele besser erreichen könne. Jeder wisse so, was von ihm erwartet werde, erklärt Helmuth Götz, der Unternehmenssprecher der Werbegemeinschaft XXXL in Deutschland.

G. hat das anders empfunden. Sie nennt das, was ihr bei Lutz passierte, "Mobbing". Gegen ihre Kündigung hat sie geklagt, nach einem Vergleich eine Abfindung bekommen. Ihren Job, der für G. ein Beruf war, hat sie aber verloren. Seit bald zwei Jahren ist sie ohne Arbeit. Hoffnung auf eine neue Stelle hat sie kaum.

Der Süddeutschen Zeitung liegen eine Vielzahl von Abmahnungen und Kündigungen vor, die Mitarbeiter, auch Betriebsräte, erhalten haben. Viele bezeichnen das, was darin zur Begründung angeführt wird, als Lappalien. Ein Plausch unter Kollegen etwa oder ein Kunde, der sich nicht freundlich gegrüßt fühlte. Betroffene sprechen von massivem Druck, den Vorgesetzte auf sie ausgeübt hätten, über Wochen und Monate hinweg. Ältere, kranke oder behinderte Mitarbeiter scheint es besonders zu treffen. Ein Filialleiter der von Lutz übernommenen Mann-Gruppe schreibt 2006 in einer E-Mail an seine Zentrale: "Herr G. ... hat eine Schwerbehinderung von 50 Prozent und ist zudem hochgradig Diabetiker. Raus?"

Dabei bemüht sich Lutz durchaus um gute Stimmung. "Mit Sonne im Herzen gemeinsam zur Nummer 1". Den Sinnspruch druckt das Unternehmen auf Mitarbeiterschreiben. 2006 rief es zum "Weltkongress" nach Linz; mehr als tausend Führungskräfte liefen barfuß über glühende Kohlen, berichteten Teilnehmer. Wer bei Lutz arbeiten will, muss sich auch in die Firmenphilosophie einarbeiten.

"Brennen im positiven Sinne"

In Schulungen schaut der Neuankömmling Motivationsfilme, zum Beispiel den des Ironman-Läufers, der seinen schwerbehinderten Sohn durch allerlei Ungemach trägt. Er muss auch die Gebote des Weltkongresses beherzigen. Es klingt wie ein Glaubensbekenntnis: "Der Mensch steht im Mittelpunkt unseres Handelns", lautet ein Gebot. Oder: "Das XXXL-Prinzip: Was wir tun ... ist kompetenter, größer und spektakulärer als alles, was andere unternehmen." - "Unsere Begeisterung für ein gemeinsames Ziel macht es uns möglich, täglich ungewöhnliche Leistungen zu erbringen." Diesen Optimismus kommuniziert Lutz auch nach außen: Selbst kritische Anfragen unterzeichnet der Sprecher der Lutz-Gruppe in Wels, Thomas Saliger, "mit XXX-lieben Grüßen".

Auch die Verkaufsleiter "müssen selbst brennen im positiven Sinne". So steht es im Protokoll eines Verkaufsleiter-Treffens bei XXXLMannmobilia 2006. Bei dem Treffen sollte erörtert werden, wie der Umsatz um zehn bis 20 Prozent jährlich gesteigert werden kann, auch, weil die erhöhten Werbekosten finanziert werden müssen. Führungskräfte müssten prüfen, wie hoch die Bereitschaft der Abteilungsleiter sei, sich zu verändern. Weiter heißt es in dem Protokoll: "Klare Zielsetzung: Mitarbeiter, die das Umsatzziel nicht erreichen, müssen weg." Wie hoch dieses Ziel ist, will Lutz nicht verraten. Es orientiere sich an Vergleichszahlen der Branche und anderer Häuser der XXXL-Gruppe, sagt Sprecher Götz.

Die Fälle, die die Süddeutsche Zeitung ihm vorlegte, bestreitet er nicht. Götz verweist auf die Arbeitsplätze, die Lutz bei elf Übernahmen gesichert habe. Die Konsolidierung sei nur durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Kennzahlen und der Umsätze möglich gewesen, sagt er. "Einzelne Führungskräfte waren in dieser angespannten Situation wohl überfordert und haben sich in Einzelfällen nicht korrekt verhalten. Diese Fälle der schon weiter zurückliegenden Vergangenheit bedauern wir außerordentlich", räumt Götz ein. Sowohl in München, wo Elisabeth G. ihre Arbeit verlor, als auch bei XXXL Mannmobilia in Wiesbaden seien inzwischen neue Führungskräfte verantwortlich. Lutz habe Konsequenzen aus den Vorfällen gezogen, betont der Sprecher.

"Mehr sog i ned."

Dirk Nagel erzählt eine andere Geschichte. Der Verdi-Gewerkschaftssekretär bekommt nach eigenen Angaben noch immer viele Anrufe von Menschen, die mit ihm über Lutz sprechen wollen. Früher, sagt Nagel, hätte Verdi es in der Möbelbranche schwer gehabt, weil die Arbeitsbedingungen rau, aber fair gewesen seien. Seit Lutz in Deutschland expandiert, könne sich die Gewerkschaft kaum mehr vor Zulauf retten. Allein in den Wochen nach der Hiendl-Übernahme habe er 2007 etwa 100 Aufnahmeanträge erhalten. Ordnerweise hat er Beweise für mutmaßliche Regelwidrigkeiten gesammelt; und diesen Ordner ergänzt er weiterhin. Es geht um geänderte Verträge, die mehr Arbeitsstunden für weniger Geld vorsehen, um Verzicht auf Urlaub und Zuschläge, um Sonntagsarbeit, Überstunden. Allein 1200 einzelne Verstöße gegen Arbeitszeitregelungen habe Verdi in Lutz-Häusern angezeigt.

Als Dirk Nagel vor einigen Jahren von Nordrhein-Westfalen nach Bayern wechselte, lernte er einen neu gegründeten Betriebsrat der Firma Hiendl kennen. "Tolle Leute waren das", erinnert er sich. Dann kam Lutz. Von diesen tollen Leuten sei niemand mehr an Bord. Dass ein Konzern so seine Linie durchziehe, habe er noch nie erlebt, sagt Nagel. "Ich bin fassungslos, mit welcher Brutalität man vorgeht. Dieser Arbeitgeber ist nicht im Entferntesten bereit, Kompromisse zu schließen." Weil Nagel das alles ausspricht, glaubt er, für Lutz und die Familie Seifert so etwas wie eine "Unperson" zu sein.

Für Konzernlenker Richard Seifert ist Nagel ein "besonders kriegerischer Gewerkschaftssekretär". So hat er ihn in einem offenen Brief bezeichnet, den Seifert im vergangenen Jahr im Branchenblatt Möbelkultur veröffentlichte. Hierin wollte er den Vorwürfen von Verdi widersprechen. "Wir sind schlicht und einfach empört, wie leicht es in Deutschland möglich ist, dafür öffentlich diffamiert zu werden, dass man sanierungsbedürftige Betriebe übernimmt und gesundet, damit Arbeitsplätze sichert und neue schafft", schrieb Seifert.

Seiferts Brief ist ungewöhnlich offen für einen, dessen Philosophie es zu sein scheint, öffentlich kaum in Erscheinung zu treten. Interviews geben die Seiferts nur in Ausnahmefällen, ein Gespräch, wie es Richard Seifert mit der Süddeutschen Zeitung noch 2007 führte, lehnt er heute kategorisch ab. Damals sagte er, Lutz erwirtschafte in Deutschland etwa 1,2 Milliarden Euro Umsatz, die Hälfte des Gesamtumsatzes. Über die Rendite schweigt Lutz. Weltweit will der Konzern die Nummer zwei hinter Ikea sein. Prüfen lässt sich das kaum; auch, weil der Konzern in Dutzende Gesellschaften verschachtelt ist.

"Neue, überschaubarere Gesellschaftsstrukturen"

Als Familienbetrieb haben die Seiferts angefangen, mit Pappschachteln und Bauernmöbeln. Die verkaufte Richard Seifert senior nach 1945 unter dem Mädchennamen seiner Frau Gertraude, geborene Lutz, in einem Hinterhof in Haag am Hausruck. Seit die Söhne in den 70er Jahren das Ruder übernommen haben, ist es mit der Kleinkrämerei vorbei. Die Familienbande sind jedoch geblieben. Für Finanzen soll Bruder Thomas Seifert zuständig sein.

Zwei Privatstiftungen sollen an der Lutz KG beteiligt sein, in der sämtliche Fäden zusammenlaufen. Rechtlich will Lutz nur noch eine Marke sein. Deshalb werden aktuell Mitarbeiter in vermögenslose Gesellschaften ausgegliedert. Verkäufer und Lageristen werden in eigenen GmbHs geführt, getrennt voneinander und dem Haus, in dem sie arbeiten. Beide GmbHs sind also externe Dienstleister mit nur einem Auftraggeber.

Obwohl sie unter einem Dach arbeiten, alle ein XXXLutz-Namensschild tragen, dieselben Pausenräume benutzen, gehören sie rechtlich nicht mehr zu einem Unternehmen. Wie dies in Zukunft geregelt werden soll, wollte Lutz auf Anfrage nicht im Einzelnen erläutern. Die Überführungen hätten strikt nach dem Gesetz zum Betriebsübergang stattgefunden. Das Ziel seien "neue, überschaubarere Gesellschaftsstrukturen", um "mehr Kundennähe", eine "Verbesserung der Serviceleistungen" und eine "individuellere Mitarbeiterführung" zu gewährleisten.

Verdi-Sekretär Nagel sieht das freilich anders. Hinter den neuen Gesellschaften vermutet er den Wunsch, neue Betriebsräte zu verhindern oder die bestehenden, die es nach Lutz-Angaben in der Hälfte der deutschen Häuser gibt, zu spalten und so Kündigungen zu erleichtern. "Rechtlich ist Lutz ein Konglomerat aus Dutzenden Firmen. In Wahrheit aber ist das ein einziger Großkonzern", sagt Nagel. Mit dem Konzern und mit den Seifert-Brüdern hat er immer wieder zu sprechen versucht. Genauso mit dem Werbeträger Ottfried Fischer. Dem Kabarettisten hat Nagel drei persönliche Briefe geschrieben. Er wollte an Fischers soziales Gewissen appellieren. Eine Antwort bekam Nagel bisher nach eigenen Angaben nicht; genauso wenig wie die SZ. Populär wurde Fischer, damals noch Hiendl-Maskottchen, mit einem Spruch. Der hieß: "Mehr sog i ned."

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