Xiaomi:Chinesischer Senkrechtstarter

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Einen Börsengang hat er für seine Firma ausgeschlossen: Xiaomi-Gründer Lei Jun bei der Präsentation eines neuen Modells in Peking. (Foto: Jason Lee/Reuters)

Der Konzern verkauft in China mehr Smartphones als Apple und Samsung. Nun sucht er sein Glück in Indien.

Von Marcel Grzanna, Shanghai

Applaus braust auf, Menschen jauchzen, als Hugo Barra die Bühne betritt. Schwarzes T-Shirt mit V-Ausschnitt, orange-braune Jeans, breites Grinsen. "Hallo, Neu Delhi", kreischt Barra. Hinter ihm auf der Leinwand glitzert ein knallrotes Firmenlogo mit den weißen Buchstaben "mi". Und dann kommt Barra zum Punkt: "Xiaomi ist eine Softwarefirma, ich bin ein Softwaretyp, und wir sind heute hier, um über Software zu sprechen", sagt der Manager.

Zuschauer, die sich bislang wenig mit dem chinesischen Senkrechtstarter der IT-Branche beschäftigt haben, runzeln die Stirn. Xiaomi eine Softwarefirma? Die Medien in aller Welt sind voll mit Berichten über den kometenhaften Aufstieg des Pekinger Start-ups. Doch wenn man über Xiaomi liest, dann meistens als Produzent von Smartphones. Niemand sonst verkauft in China zurzeit mehr davon als Xiaomi. Samsung nicht, Apple nicht. In diesem Jahr könnten es 80 Millionen werden. Weshalb also Software?

Profit sollen weniger die Geräte bringen, als die Software, die drin steckt

Barra geht gut eine gute Stunde lang ins Detail. Es ist sein Auftrag, der Welt begreiflich zu machen, was Xiaomi wirklich will. Smartphones sind für die junge Firma nur Mittel zum Zweck, um den Kunden etwas ganz anderes zu bieten, erklärt der Manager. Es geht um Lifestyle und Dienstleistungen für junge Menschen mit schmaler Geldbörse, serviert mithilfe von Software, die Xiaomi entwickelt und dann über das firmeneigene Betriebssystem MIUI anbietet. Die Smartphones, die eine geringe Gewinnmarge abwerfen, verkaufen sich zwar massenhaft. Profit sollen weniger die Geräte bringen, als die Software, die drin steckt.

Deshalb steht Barra an diesem Augusttag auf der Bühne in der indischen Hauptstadt Delhi. Einerseits um der Welt die neue Version von MIUI vorzustellen, andererseits um das Image seines Arbeitgebers zu ändern. Barra ist Amerikaner. Er arbeitete in der Android-Abteilung von Google, bevor er bei Xiaomi eine neue Karriere begann. Das US-Magazin Fast Company hält den chinesischen Handyhersteller für eine der innovativsten Firmen des Jahres 2014 und listet Xiaomi auf Platz drei. Die US-Ausgabe des Technikmagazins Technology Review sieht Xiaomi auf Platz zwei der 50 geschicktesten Unternehmen 2015.

Xiaomi erlebt eine beispiellose Erfolgsgeschichte mit günstigen Smartphones. Die Telefone ähneln denen von Apple, kosten aber je nach Version nur einen Bruchteil davon. Verkauft wird ausschließlich online. Es gibt inzwischen zwar 19 Servicecenter in der Volksrepublik, aber es gibt keinen Verkaufsladen. Das spart Logistikkosten. Beworben werden die Produkte vorwiegend über soziale Medien. Das kostet wenig, erreicht aber mehr potenzielle Kunden als fast jeder Fernsehspot zur Primetime. Das Software-Geschäft entwickelt sich im Sog des Booms um die Smartphones. 150 Millionen Menschen nutzen MIUI. Auf eine Milliarde Dollar könnten sich die Erlöse aus Applikationen und Services in diesem Jahr belaufen. Dreimal so viel wie 2014. Und das soll nur der Anfang sein. Xiaomi baut auch Fernseher, Kopfhörer, Luftreiniger und Internetrouter. Alles zu günstigen Preisen, zusammengesetzt aus Komponenten anderer Hersteller. Die Idee dahinter ist die totale Verknüpfung der Geräte über MIUI.

Die Strategie hat aus Xiaomi das wertvollste Start-up der Welt gemacht. Die Firma, die vor fünf Jahren ihr erstes Smartphone verkaufte, wird auf 46 Milliarden US-Dollar taxiert, seit eine Investorengruppe Ende vergangenen Jahres bei den Chinesen eingestiegen ist. "Das ist auch eine schwere Bürde für Xiaomi, weil jeder künftige Investor tief in die Tasche greifen muss, um einen kleinen Anteil am Unternehmen zu erhaschen. Es wird also nicht leicht, neues Kapital zu beschaffen", sagt der renommierte IT-Blogger Wei Wuhui.

Es bliebe ein Börsengang. Den hat Gründer Lei Jun in China jedoch ausgeschlossen, weil hier noch keine Technologiefirma mit einem solchen Volumen den Schritt auf das Parkett gewagt hat. Anderswo, glaubt Blogger Wei, droht aus patentrechtlichen Gründen juristischer Ärger. Er fürchtet, Apple würde sofort klagen, würden die Chinesen in Hongkong oder New York an die Börse streben. Außerdem geizt Xiaomi öffentlich mit Geschäftszahlen. Doch Transparenz ist die Basis jedes Börsenganges. Vielleicht, vermuten Beobachter, fühle sich Xiaomi mit der Geheimhaltung ganz wohl, weil man sonst ständig die winzigen Margen rechtfertigen müsse.

Das Management dementiert alle Vorwürfe, dass es bei Apple und Google kopiert hätte

Die Chinesen dementieren die Kopiervorwürfe nicht, verweisen aber auf ihre "radikal andere Strategie" als Apple. Man sei eher wie Google, heißt es. Tatsächlich basiert MIUI auf dem Google-Betriebssystem Android. Ein schmaler Grat, findet Blogger Wei. "Xiaomi-Gründer Lei Jun bezeichnet MIUI nie als Betriebssystem, sondern sucht Umschreibungen. Er hat Angst, sich den Ärger von Google zuzuziehen, wenn es so klingt, als habe Xiaomi ein komplett eigenes Betriebssystem entwickelt", sagt Blogger Wei.

Xiaomi ist zum Erfolg verdammt, wenn das Unternehmen ohne Kapital von der Börse weiter wachsen will. Dafür ist Hugo Barra zuständig. "Seit Hugo dabei ist, sind wir in Brasilien, Indien und anderen wichtigen Märkten vertreten. Das ist ein großartiger Erfolg", sagt ein Unternehmenssprecher. Indien gilt als der heißeste Markt der Zukunft, weil China nach jahrelangen Rekordverkäufen gesättigt ist.

Ein Selbstläufer ist das Geschäft in Indien aber nicht. Der kulturelle Unterschied ist so groß, dass Xiaomi Mühe haben wird, die Kunden emotional zu berühren, so wie es in China gelingt. Die Rivalität zwischen beiden Nationen ist für chinesische Anbieter, die nach Indien drängen, ein Nachteil. Der Kampf Elefant gegen Drache wird auch in der digitalen Welt ausgetragen. Deswegen setzt Xiaomi in Indien verstärkt auf Ladenverkäufe, um den Kunden näher zu kommen. Fremdes Terrain also für die Lieblinge der Social-Media-Gemeinde. Blogger Wei erwartet deshalb einen Transformationsprozess: "Xiaomi wird sich verändern müssen. Auch wenn es dem Unternehmen nicht gefällt, ist es eine absolute Notwendigkeit."

© SZ vom 31.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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