Süddeutsche Zeitung

WWF-Studie:Klimawandel treibt die Preise und leert die Regale

  • Verbraucher müssen sich wegen des Klimawandels darauf einstellen, dass die Preise für bestimmte Lebensmittel künftig steigen könnten - oder auch mal gar nicht lieferbar sind.
  • Laut einer Studie der Umweltschutzorganisation WWF könnte die Erderwärmung Nahrung aber nicht hierzulande teurer machen, sondern auch den Hunger auf der Welt verschärfen.

Von Silvia Liebrich

Heißer Kaffee, Orangensaft, dazu vielleicht ein Nutella-Brot oder eine Banane. So oder so ähnlich stellen sich viele Menschen hierzulande ein ganz normales Frühstück vor. Eigentlich kein besonderer Luxus. Daran, dass viele der Zutaten eine weite Reise hinter sich haben, denkt kaum jemand, schon gar nicht am frühen Morgen, wenn es schnell gehen muss. Der Nachschub scheint gesichert, bis zum nächsten Supermarkt ist es in der Regel nicht weit. Gibt es Probleme in den Anbauregionen, merken Verbraucher das meist erst dann, wenn Preise steigen oder - was selten vorkommt - Regale leer bleiben.

Klimawandel gefährdet die Ernten

Ernteverluste werden in Zukunft jedoch zunehmen, warnt die Umweltschutzorganisation WWF (Studie als PDF). Schuld daran ist vor allem der Klimawandel. "Höhere Temperaturen fördern in vielen Regionen die Verdunstung, oftmals geht das einher mit verstärkten Dürreperioden", sagt Thilo Pommerening, Klimaschutzexperte des WWF Deutschland. Schädlinge und Krankheiten könnten sich so stärker ausbreiten. "Bereits heute führt all das zu Ernteausfällen bei vielen Agrarrohstoffen", ergänzt er.

Was dies im Einzelnen für Verbraucher bedeuten könnte, haben die Umweltschützer am Beispiel Kaffee, Orangen, Bananen und Haselnüssen beleuchtet - allesamt Lebensmittel, die in Deutschland sehr gefragt sind. Die noch nicht veröffentlichte Analyse, in der es um die ökologischen, ökonomischen und sozialen Auswirkungen des Klimawandels geht, liegt der SZ vor.

Steigende Preise und Lieferengpässe drohen

Fazit der Untersuchung: "Der Konsum von Genussgütern in Deutschland könnte zukünftig stark verteuert werden und zeitweise sogar ganz aussetzen." Experte Pommerening betont aber auch, dass eine Gefährdung der Ernährungssicherheit hierzulande unwahrscheinlich sei. Ernsthaft bedroht sei dagegen die Existenzgrundlage von Erzeugern in den betroffenen Anbaubaugebieten, darunter viele Kleinbauern.

Beispiel Kaffee, einer der wichtigsten Agrarrohstoffe weltweit: 2013 lag der gesamte Exportwert bei 20 Milliarden Dollar. Mehr als die Hälfte der Ware stammt aus Vietnam und Brasilien. Kaffeepflanzen sind empfindlich, sie brauchen ein stabiles Klima. Doch in beiden Hauptanbauländern verschärft sich laut WWF das Klima. Während in Brasilien Trockenperioden die Ernte bedrohten, seien es in Vietnam starke Regenfälle. Sie lösen Überflutungen aus und schwemmen fruchtbaren Boden davon. Zusätzlich Gefahr geht vom steigenden Meeresspiegel aus. Der WWF verweist auch auf eine Studie der Berliner Humboldt-Universität. Diese warnt davor, dass bis 2050 die Hälfte der weltweit für Kaffeeanbau geeigneten Landwirtschaftsflächen verloren gehen könnte. Das Dilemma dabei: eine Abwanderung in geeignete, höher gelegene Anbaugebiete wäre nur durch Abholzung möglich - und das wiederum würde dann zu größeren CO₂-Emissionen führen.

Mit Wetterkapriolen und Trockenheit kämpfen laut der Studie auch immer mehr Orangen-Farmen. Die Früchte sind nach Äpfeln und Bananen das beliebteste Obst der Deutschen. Wichtigster Lieferant für Orangensaft ist Brasilien. Im Bundesstaat São Paulo - dort werden etwa 80 Prozent aller Orangen des Landes geerntet - stieg die Durchschnittstemperatur von 1995 bis 2005 in den nördlichen Gebieten um zwei Grad, während der vergleichbare globale Mittelwert der Erderwärmung nur bei 0,8 Grad lag. Das ergaben Messungen des Nationalen Instituts für Meteorologie (Inmet). Gleichzeitig gingen die Niederschlagsmengen so stark zurück, dass viele Plantagen auf eine künstliche Bewässerung angewiesen sind. Besonders anfällig für Klimaveränderungen und extreme Wetterverhältnisse sind zudem die Anbaugebiete für Bananen und Haselnüsse.

Klimaerwärmung könnte den Hunger verschärfen

Warnungen vor den Folgen von Wetterkapriolen nehmen zu. Allein durch die Erderwärmung könnten bis 2080 weitere 600 Millionen Menschen von Unterernährung bedroht sein, meint etwa die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung, Hilal Elver. WWF-Experte Pommerening sieht deshalb weiteren Forschungsbedarf. Bislang konzentriere sich die Wissenschaft auf einzelne Lebensmittel. Die Auswirkungen des Klimawandels auf die globale Nahrungsmittelversorgung sei dagegen nicht gesamtheitlich erforscht. "Das müssen wir dringend anpacken", fordert er.

Die Ernährungslage soll auch bei der Klimakonferenz vom 30. November bis 11. Dezember in Paris eine wichtige Rolle spielen. Zu dem Gipfel werden Vertreter von 193 Ländern erwartet. Ziel der Konferenz ist es, sich auf Einschnitte bei den Treibhausgasen zu einigen, um die Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius zu begrenzen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2721989
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.11.2015/sry
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.