Worst-Case-Szenario:Worst-Case: Das passiert, wenn Athen keine Kredite bekommt

Worst-Case-Szenario: Nur dank der Kreativität der Athener Street-Art-Künstler, lässt sich das griechische Drama überhaupt noch bebildern

Nur dank der Kreativität der Athener Street-Art-Künstler, lässt sich das griechische Drama überhaupt noch bebildern

(Foto: AFP)
  • Sollte die griechische Regierung keine Milliardenkredite genehmigt kriegen, stellen sich mehrere Fragen: Kann Griechenland Mitglied der Euro-Zone bleiben, auch wenn es zahlungsunfähig wird?
  • Kann das Land den Euro abgeben und dennoch Mitglied der Europäischen Union bleiben?
  • Der sogenannte Gummi-Paragraf könnte eine Lösung sein. Er erlaubt es der EU in speziellen Fällen ihre Kompetenzen zu erweitern.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Die griechische Regierung hat einen Antrag auf finanzielle Unterstützung aus dem Euro-Rettungsfonds ESM gestellt. Bis Sonntag wollen die Euro-Staaten entscheiden, ob sie dem Antrag stattgeben und Verhandlungen über weitere Finanzhilfen beginnen. Falls sie das nicht tun, müssen von Montag an neue Wege gesucht und die Vorbereitungen für eine Scheidung zwischen Athen und den übrigen Euro-Ländern getroffen werden. Was geben die Europäischen Verträge rechtlich gesehen her, damit beide Seiten auseinander oder, besser, aneinander vorbeikommen?

Das größte Problem betrifft die Währungsunion. Bleibt Griechenland Mitglied der Euro-Zone, auch wenn es zahlungsunfähig wird? Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat seine Meinung so zu Protokoll gegeben: Griechenland bleibt im Euro, auch wenn es diesen vorübergehend nicht als Zahlungsmittel benutzen kann. Die Europäische Zentralbank ist da anderer Ansicht. Sie hat die Einführung einer Parallelwährung im Frühling in einer geheimen Arbeitsgruppe prüfen lassen. Die Experten kamen zu der Auffassung, dass die einzige legale Währung in der Euro-Zone nur der Euro sein kann - und damit jede Parallelwährung illegal ist. Ein entsprechendes Dossier ist allerdings wieder in den Schubladen verschwunden.

Griechenland muss den Euro so lange behalten wie es EU-Mitglied ist

Wenn Athen also keine Parallelwährung einführen kann, ergibt sich zwangsläufig die Frage, ob das Land doch den Euro abgeben muss. Die Europäischen Verträge sind in dieser Frage eindeutig. Sie besagen, dass die Währung der Staaten der Europäischen Union der Euro ist. Jeder Mitgliedstaat muss irgendwann den Euro einführen, Ausnahmen sind nur Großbritannien und Dänemark erlaubt. Das bedeutet: Griechenland hat den Euro einst eingeführt und muss ihn so lange behalten, wie es Mitglied der Europäischen Union ist.

Der Austritt aus der Europäischen Union wäre indes möglich. Artikel 50 des Reformvertrags von Lissabon räumt den Mitgliedstaaten der EU das Recht dazu ein - was zwangsläufig mit der Abgabe der gemeinsamen Währung verbunden wäre. In Artikel 50 heißt es, jeder Mitgliedstaat kann beschließen, aus der EU auszutreten. Er muss dies dem Europäischen Rat mitteilen, anschließend muss ein Vertrag über die Konditionen ausgehandelt werden. Sollten sich die Staaten nicht einigen können, scheidet der antragstellende Staat nach zwei Jahren automatisch aus.

Griechenland will allerdings weder aus der Europäischen Union austreten, noch den Euro abgeben. Findige Juristen haben jetzt darauf hingewiesen, dass es gemäß Artikel 7 des Reformvertrags von Lissabon möglich sein könnte, Griechenland diverse Rechte abzuerkennen. Nach diesem Artikel kann die Gemeinschaft die wiederholte und schwerwiegende Verletzung der europäischen Grundwerte unter anderem mit dem Aussetzen des Stimmrechts bestrafen. Zu den europäischen Werten gehören laut Artikel 2 die Achtung der Menschenwürde sowie von Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte von Minderheiten.

Der Gummi-Paragraf erlaubt eine gesonderte Regelung für Griechenland

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits 2011 den Vorschlag gemacht, dass Staaten, die dauerhaft und schwerwiegend die Regeln des Maastrichter Vertrags verletzen und damit die gesamte Währungsunion gefährden, mit dem Entzug des Stimmrechts bestraft werden. Die Idee, die Verletzung der Menschenrechte mit der des Haushaltsrechts gleichzusetzen, fiel bei den europäischen Staats- und Regierungschefs damals durch. Merkel musste ihren Vorschlag wieder zurücknehmen. Die Feststellung einer schwerwiegenden Verletzung der in Artikel 2 genannten Werte durch einen Mitgliedstaat kann nur in einem komplizierten Mehrheitsverfahren festgestellt werden.

Wenn Griechenland also nicht ausgeschlossen werden soll oder kann, und auch nicht austreten will, könnte der sogenannte Gummi-Paragraf Artikel 352 einen Ausweg bieten. Dieser Artikel erlaubt es der EU, ihre Kompetenzen in speziellen Fällen zu erweitern. Die Gemeinschaft könnte demnach eine gesonderte Griechenland-Regelung beschließen, wonach ein Staat, der die Bedingungen des Maastricht-Vertrags nicht erfüllt, vorübergehend unter spezielles Recht fällt, von der Mitgliedschaft in der Euro-Zone suspendiert wird und mit einer eigenen Währung zahlt. Sobald der Staat die Vorgaben wieder erfüllt, würde wieder normales Recht gelten - und damit der Euro als Zahlungsmittel.

Zwei Fragezeichen hinter Schäubles "Nein" zum Schuldenschnitt

Wenn die Staats- und Regierungschefs am kommenden Sonntag beschließen sollten, keine Verhandlungen über Finanzhilfen aus dem Euro-Rettungsfonds ESM aufzunehmen, wäre eine Ausnahmeregelung nach Artikel 352 gar nicht so unwahrscheinlich. Für die Übergangszeit bis zur Einführung einer eigenen Währung könnte der griechische Staat Schuldscheine ausgeben. Diese wären allerdings kein offizielles Zahlungsmittel und nicht handelbar. Die Bürger könnten die Schuldscheine beim Staat einlösen - zum Beispiel, wenn sie Steuern zahlen.

Bliebe die Frage, ob die Europäischen Verträge es zulassen, dass die Euro-Staaten der griechischen Regierung einen Teil der Schulden nominal erlassen. Auch dazu hat Bundesfinanzminister Schäuble seinen Standpunkt vorgetragen: ein kategorisches Nein. Schäubles Begründung, dass der sogenannte No-Bail-out-Artikel der Europäischen Verträge einen solchen Schuldenschnitt verhindere, ist allerdings mit zwei Fragezeichen zu versehen. Denn die Euro-Staaten haben das Verbot, dass die Euro-Staaten nicht finanziell füreinander haften, am 25. März 2011 mit einer Vertragsänderung aufgeweicht. Sie haben dem Artikel 136 einen dritten Absatz hinzugefügt, um die Einrichtung des Euro-Rettungsfonds ESM zu legitimieren. Der ESM ist ein gemeinschaftlicher Finanztopf der Euro-Staaten, jedes der 19 Mitglieder haftet für einen bestimmten Anteil an den Finanzhilfen, die der ESM vergeben kann. Es ist jener ESM, den Griechenland jetzt anzapfen will, um die Katastrophe im eigenen Land zu verhindern.

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