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Jonas Girardet zieht sich aus dem Management des Start-ups Proglove zurück, um wieder das zu tun, was ihm am meisten liegt.

Von Elisabeth Dostert

Jonas Girardet, 32, ist das Nesthäkchen. Das sagt er über sich. Er ist der jüngste der vier Gründer des Münchner Start-ups Workaround, besser bekannt unter seinem Produkt Proglove. Es stellt Wearables her, kleine vernetzte Computer, die am Körper getragen werden. Im Falle von Proglove sind das mit Scannern bestückte Handschuhe und Manschetten, die im Lager oder in der Produktion eingesetzt werden, um Barcodes einzulesen. Bis vor Kurzem war Girardet, Wirtschaftsingenieur, der Technik-Chef der Firma. Nun zieht auch er sich aus dem Management zurück, wie seine Mitgründer vor ihm. Thomas Kirchner, 35, und Paul Günther, 37, haben schon vor einem Jahr ihre Posten in der operativen Geschäftsführung aufgegeben, und Alexander Grots, 50, der vierte im Bunde, war ohnehin immer so etwas wie ein Business Angel, ein erfahrener Gründer und Mentor.

"Ich hatte schon eine Weile das Gefühl", sagt Girardet in der Videoschalte, "dass ich weniger wirke als früher, als die Mannschaft noch kleiner war." Jedenfalls wirkt er nicht mehr so, wie er sich das wünscht. "Ich bin sehr gut darin, neue Dinge durchzuboxen. Aber mit der Größe eines Unternehmens geht es mehr um Konsistenz, Teams zu steuern und Berichte zu schreiben", sagt Girardet: "Das kann ich schon auch, aber es nicht meine größte Stärke". Er wirkt kein bisschen traurig. Er geht ja auch nicht ganz, er bleibt ein Angestellter mit neuen Aufgaben, die noch nicht ganz feststehen, und auch Gesellschafter, so wie Günther und Kirchner, auch die sind per Video zugeschaltet. Freunde sind sie auch geblieben, "obwohl wir ganz unterschiedliche Charaktere sind". Vielleicht gerade deshalb.

Ihre Geschichte klingt gut, wie die Blaupause für ein gutes Start-up, weniger, was die Innovation anbelangt - gute Ideen, die sich finanzieren und skalieren lassen, sind recht individuell -, sondern was das Team angeht. Die Gründer haben sich miteinander beschäftigt, sich über das Bild unterhalten, das sie selbst von sich haben und die anderen. So wurde aus der "Garage ein einfaches Einfamilienhaus", das Bild zeichnet Andreas König, 55, seit Dezember 2018 Vorstandschef. Auch darin seien sie sich einig gewesen, dass er der Richtige ist für die, wollte man in seinem Bild bleiben, größeren Baufortschritte. König löste Thomas Kirchner als Vorstandschef ab, damit der tun kann, was ihm am meisten gefällt: sich ums Produkt kümmern.

Mit einem Handschuh aus dem Baumarkt fing es an

Die vier Gründer hatten sich 2014 zusammengetan, um an einem Wettbewerb des Chipkonzerns Intel für Wearables teilzunehmen. Aus einem Handschuh aus dem Baumarkt und einem alten MP3-Player bastelten sie einen Prototyp und belegten den mit 150  000 Dollar dotierten dritten Platz. Erst dann gründeten sie Workaround. Die erste markttaugliche Version des Proglove-Handschuhs kam im Herbst 2016 auf den Markt. Zu den früheren Investoren zählten neben Intel Capital Getty Lab, Bayern Kapital und Deutsche Invest Capital Partners (DIVC). Insgesamt hat Workaround in mehreren Finanzierungsrunden 50 Millionen Dollar gemacht. Allein 40 Millionen Dollar brachte im September 2019 der Einstieg des US-Finanzinvestors Summit Partners. König will aus Workaround ein Unicorn machen, ein Unternehmen, dessen Wert Investoren auf mehr als eine Milliarde Dollar taxieren. Das dauert noch.

In diesem Jahr will das Unternehmen rund 100 000 Scanner und 200 000 bis 300 000 Manschetten verkaufen, die Handschuhe bietet Workaround künftig nicht mehr an. "Wir werden in diesem Jahr vor Zinsen und Steuern zum ersten Mal Gewinn machen", sagt König in der Videoschalte. Viele Zahlen verraten sie nicht, da halten es die Gründer ganz so wie der Manager, den sie ausgesucht haben.

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