Woolworth:Der Bauer als Millionär

Frank W. Woolworth baute in den USA eine Kaufhauskette auf, die mit ihren Fixpreisen Kultstatus und Weltruhm erlangte - danach geriet sie in Schwierigkeiten.

Birgit Weidinger

"Woolworths certainly made you feel great to be an American" - Woolworths machte einen richtig stolz darauf, Amerikaner zu sein": So sah es ein begeisterter Kunde stellvertretend für unzählige andere, und lange Jahre gab ihnen die Erfolgsgeschichte dieser Handelsgruppe recht.

Woolworth: Erfolgreich: der amerikanische Einzelhandelspionier Frank Winfield Woolworth.

Erfolgreich: der amerikanische Einzelhandelspionier Frank Winfield Woolworth.

(Foto: Foto: Getty Images)

In den USA gegründet, expandierte sie in viele Länder - bis Woolworths, Amerika schließlich 1997, 118 Jahre nach der Firmengründung, aufgeben musste.

Einige Jahre später, im Winter 2008, war auch Woolworths, England, pleite. Dort wie in den USA wurde lautstark das Ende einer Institution bedauert, die für die Kunden unentbehrlich geworden war.

Noch nicht ein für alle mal out

Deutschlands Einzelhandelsunternehmen Woolworth - der Name schrieb sich hier stets ohne s und hat eine eigene Geschäftsstrukur - und Woolworth Österreich existieren weiterhin und trotzen, so die (zweck)optimistischen Prognosen der Geschäftsleitung, der weltweiten Rezession.

Doch auch in England scheint "Woolies" oder "Wolle"- so der vertraute Spitzname, mit dem treue Kunden ihrer Woolworths-Filiale gerne schmeichelten - noch nicht ein für alle mal out zu sein: Im südenglischen Dorchester hat die ehemalige Filialleiterin Claire Robertson, die sich nicht mit dem Ende der Woolworths-Tradition zufriedengeben wollte, unter dem verheißungsvollen Namen Wellworths eine neue Filiale mit den alten Verkaufsprinzipien eröffnet.

All's well that ends well? Robertsons Initiative hätte dem amerikanischen Firmengründer Frank Winfield Woolworth sicher gefallen. Im April vor 90 Jahren starb dieser Woolworth, der als einer der Ersten die ursprüngliche Verkaufsidee der sogenannten five-and-dime-stores entwickelt hatte.

Diese Läden pflegten eine bisher unbekannte, fast revolutionäre, Verkaufsphilosophie, die dem Kunden versprach: Dies ist everybody's store, hier bist du zu Hause, hier bekommst du alles unter einem Dach und - hier kostet kein Stück des Sortiments, das offen auf dem Ladentisch präsentiert wird, mehr als fünf oder zehn Cent (oder einen dime, wie das Zehn-Cent-Stück auch heißt.)

A store for all seasons

An seiner Vision arbeitete Frank Winfield Woolworth unermüdlich: a store for all seasons hieß seine Devise. Der Anspruch galt für alle Jahreszeiten und jedes Alter: Kleinkinder gingen an Mutters Hand zu Woolies, Schüler, Teenies trafen sich dort zum ersten Flirt, Studenten hörten einander ab, Hausfrauen, Handlungsreisende, Großeltern, Enkel kauften und ließen sich's wohl sein - bald auch bei einem Imbiss oder bei süßen Versuchungen wie Geleebonbons oder - ebenso köstlich - Glibberpudding.

Alles hatte im Frühjahr 1879 begonnen: Da organisierte der junge Frank W. in Utica/New York einen ersten eigenen Laden. Zwar floppte dort das Geschäft nach zwei Monaten, das Angebot zum Einheitspreis war günstig, doch die Kundschaft fand es zu wenig reichhaltig.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, mit welchem Konzept Frank Woolworth schließlich Erfolg hatte.

Fixpreis-Angebot und Gastronomie

Dann eben anders, sagte sich Woolworth und ging nach Lancaster, Pennsylvania: am 21. Juni 1879 eröffnete dort Woolworths' erster großer five-and-ten-store. Zum Fixpeis gab es (fast) alles, auch das, von dem man gar nicht wusste, dass man es haben musste: Tortenheber, Nähfaden, Kerzenhalter, Portionierer, Biscuitmesser, Flohshampoo, Modeschmuck.

Kunden in einem "five-and-dime", Foto: Getty Images

Zufrieden: Kunden in einem "five-and-dime".

(Foto: Foto: Getty Images)

Heute erinnert eine Tafel an die erfolgreichen Anfänge: "On this site Frank W. Woolworth opened his first successful store, the forerunner of America's ,five and ten". In den folgenden Jahren expandierte Frank gemeinsam mit Bruder Charles, weitere Ladenketten entstanden. 1886 eroberten die Woolworths New York.

Wo bitte in der Welt, darüber waren sich die Kunden zu Zeiten von Woolworths' Hochkonjunktur einig, wo in der Welt konnte man ein Röllchen Nähseide, eine Tube Autopolitur oder auch etwas so Ausgefallenes wie einen grünen Wellensittich kaufen, wohlgemerkt zu einem Einheitspreis. Und nach dem Erwerb des grünen Vogels genehmigte man sich eine Portion warmer Gemüsesuppe oder ein Sandwich - Woolworths machte es möglich.

Lange Theken und Drehstühle

Der Hit für den kostenbewussten Verbraucher war neben dem Fixpreis-Angebot die Gastronomie. 1910 öffneten die ersten offiziellen refreshment rooms des Unternehmens: An den Wänden über langen Theken und Drehstühlen warben verlockende Reklameschilder für heißen Kaffee, Malzmilch-Shakes, Muffins, Pizzen, auch hier galt: Kein Gericht ist teurer als zehn Cent.

Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es noch ein ganzes Menü für einen Vierteldollar. Der Durchreisende oder ein hungriger Angestellter wollte gerne den kleinen Hunger stillen? Woolworths lieferte ein attraktives Angebot, in zentraler Lage. Die heute verbreiteten Fastfood-Restaurants boomten erst in den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts, die Imbissabteilungen waren die Vorläufer der modernen, mittlerweile oft opulenten Gastronomiezonen der großen Shopping-Malls.

Der abenteuerlustige Weber namens Richard Wolley, der Mitte des 17. Jahrhunderts aus England auswanderte, um in Amerika sein Glück zu suchen, hätte sich diese Zukunft wohl nicht vorzustellen gewagt: Sein Name war in Grafschaften wie Lancashire, Somerset, Essex üblich, dort hießen nach normannischer Überlieferung viele Dörfer und Familien Worley, Wolley oder Wooley.

Andere Wege

Der englische Emigrant Richard ließ sich in Massachussetts als Farmer nieder, änderte seinen Namen in Woolworth. Die Woolworths waren fruchtbar und mehrten sich, ihre Farmen florierten, sie siedelten auch in New England und Teilen des Staates New York.

Frank Winfield, ein Nachkomme Richards, wurde am 13. April 1852 geboren. Der junge Frank erkannte bald, dass das Farmerdasein für ihn keine Lebenserfüllung darstellte und ging andere Wege - wissensdurstig und entschlossen setzte er sich über den anfänglichen Widerstand seines Vaters hinweg, absolvierte eine Handelsschule und bewarb sich mehrmals vergeblich um eine kaufmännische Lehre.

1873 begann er endlich seine kaufmännische Laufbahn. Es folgten Jahre des Auf und Ab, immerhin konnte er die Frau seines Herzens, Jennie Creighton aus Picton, Ontario, heiraten. Sie kümmerte sich weiter um die Farm, während ihr junger Ehemann im kaufmännischen Betrieb seines Arbeitgebers blieb. 1877 zog das Paar zusammen.

Lesen Sie auf der dritten Seite, wie Frank Woolworth seinen Reichtum demonstrierte.

Auf dem Gipfel

Woolworth: Reich aber unglücklich: Woolworthserbin Barbara Hutton.

Reich aber unglücklich: Woolworthserbin Barbara Hutton.

(Foto: Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

1879 also eröffnet Frank sein Ladengeschäft in Lancaster, mit dem sich sein Traum vom five-and-dime verwirklicht. 1904 gehören ihm 76 Warenhäuser in zehn Staaten, 1905 gehen Woolworth & Co. an die Börse. Als Frank W. 1919 stirbt - er wird nur 66 - umfasst sein Imperium 1000 Läden in 21 US-Staaten, Kanada und Großbritannien. Auch der internationale Erfolg stellt sich ein: Deutschlands erster Woolworth eröffnete 1927 in Bremen, weitere deutsche "25- und- 50- Pfennig"-Warenhäuser folgten.

Auch während der Depression und der Kriegs- und Nachkriegsjahre hielt der Boom an. Das hundertjährige Bestehen der Kette mit ihrem Markenzeichen, dem roten W, wurde weltweit gefeiert. Doch der Traum wurde zum Trauma, denn die Zukunft hielt nicht, was die Gegenwart zu versprechen schien: In den 1970er Jahren beginnt das Geschäft in Amerika und Kanada zu bröckeln, die Kunden laufen weg zur Konkurrenz der Shoppingcentres in den Vororten.

Umbenennung in Venator

Nur 19 Jahre später waren alle die vertrauten Woolworths-Lettern auf den Geschäftsfassaden verschwunden. Die Einkaufsgewohnheiten der Kunden hatten sich verändert, große Stadtrand-Einkaufszentren und neue Shopping-Malls entstanden, das ursprüngliche Angebot wurde vernachlässigt.

Auch der raschere Wechsel des Verkaufpersonals und des Managements in vielen Geschäften war schuld daran, dass sich das geschätzte "Daheim bei Woolworths"-Gefühl nicht mehr einstellte. Das Unternehmen benannte sich in "Venator" um.

Immerhin blieb dem Gründervater Frank der Frust des Niedergangs erspart, er konnte den immensen Reichtum, den er angehäuft hatte, noch ausgiebig genießen und demonstrieren: Trat als Kunstsammler auf, gab riesige Summen aus für opulente Wohnsitze und Ladeneinrichtungen. Und als Krönung seines Werkes plante er die "Cathedral of Commerce", einen riesigen Wolkenkratzer in New York.

Der kostete den Himmelsstürmer, der auch ein rechter Pfennigfuchser sein konnte, 13,5 Millionen Dollar. Die Summe bezahlte er bar - sozusagen aus der Portokasse. Der Monumentalbau mit seinen 60 Stockwerken wurde am 24. April 1913 eröffnet und konsolidierte Woolworths weltweites Renommee.

Ein Art achtes Weltwunder

Das neue Gebäude war eine Art achtes Weltwunder. Er bescherte New Yorks Skyline einen neuen Akzent, war mit modernsten technischen Sicherheits-Standards ausgerüstet, mit Blitzableitung, Feuerschutz und Windfestigkeit. Er hatte eine eigene Polizeistation und gut integrierte Krankenabteilungen. Und erst die Aussstattung! Luxus pur die Materialien, die Dekors, die Raumgestaltung und die Nippes, wertvoll die Buntglasfenster, unschätzbar eine Antikensammlung.

Woolworth's Chefbüro war dem Empire Room von Empereur Napoleon in Compiègne nachgebildet: Frankreichs Kaiser war eine der Säulen, auf denen der Selfmademan und Tycoon Woolworth seine Weltanschauung aufgebaut hatte - Kommerz und Religion hießen die beiden anderen.

Vier Jahre konnte Winfield seinen himmelstürmenden Wolkenkratzer-Turm genießen, als der unermüdliche Arbeiter 1919 starb, waren dunkle Wolken auf seinem Lebenshorizont aufgestiegen: gesundheitliche Malaisen und familiäre Sorgen. Bis ihm 1930 das Crysler Building die Schau stahl, war der Woolworth Tower das höchste Gebäude der Welt.

Zur Blütezeit des Woolworths-Imperiums galt er als die Krönung einer erfolgreichen Gesamtinszenierung: Die Woolworths belebten die gesellschaftliche Szenerie, heiße Familienstorys schürten die Neugier, der Medienhype erregte anhaltende öffentliche Aufmerksamkeit.

Für Filme, Parodien, Cartoons und Songs waren die Woolworths-Stofflieferanten. So für das Musical "The Girl from Woolworths". Oder den populären Song aus dem Jahr 1929, der von Rita, dem kessen Ladenmädel, handelte und ihrem Freund und Tanzpartner Eddie: "Rita was 16 years, hazel eyes and chestnut hair/She made the Woolworths counter shine/And Eddie was a sweet romancer/And a darn good dancer/And they'd waltz the aisles of the five and dime."

Lesen Sie auf der vierten Seite, was aus der Woolworth-Erbin Barbara Hutton wurde.

Armes reiches Mädchen

"We bought our silver Spoons from Woolworths" oder "The Brontes went to Woolworths" hießen die Titel bekannter Unterhaltungsromane. Die Screwball-Komödie "Bringing up Baby"("Leoparden küsst man nicht") aus dem Jahr 1938, in der Katharine Hepburn und Cary Grant eine kleine Raubkatze verzweifelt ansingen: "I cant give you anything but love, baby".

Der Song lockt auch mit den Zeilen: "Gee, I'd like to see you looking swell, baby, Diamond bracelets Woolworths doesn't sell, Baby..."Proteste gab es auch: 1937 kam es zu Arbeitskämpfen der counter girls, der schlecht bezahlten Verkäuferinnen, bei denen militante Songs ertönten: Anlass war das Verhalten eines "poor little rich girl" namens Barbara Hutton.

Äußerst glamouröser Lebensstil

Die Woolworthserbin, Enkelin des Firmengründers, Tochter eines begüterten Geschäftsmannes und Bankers, war, als sie ihr Erbe antrat, gut fünfzig Millionen Dollar wert. Ihr äußerst glamouröser Lebensstil, den sie in New York pflegte, führte zu Massenprotesten.

Auch die Woolworths Girls fanden, sie hätten Anspruch auf ein paar Dollar mehr Lohn, da Hutton ohnehin Millionen aus dem Familienvermögen entnommen hatte. Der Protestsong schimpfte: "Barbara Hutton has the dough, parlez vous./Where she gets it, sure we know, parlez vous./We slave at Woolworths' five-and-dime/The pay we get sure is a crime": "Barbara hat die Kohle, woher die kommt, das wissen wir, die bei five-and-dime wo für einen Hungerlohn schuften!"

Der Druck der Medien wurde so groß, dass das Woolworths-Management Barbara drängte, sich auf eines ihrer Besitztümer in Europa zurückzuziehen. Verschwenderisch war Barbara, doch mit dem Leben hatte die Erbin und Wohltäterin, wie sie sich nannte, kein Glück.

Ihre Bilanz: sieben gescheiterte Ehen, später Alkohol und Drogen und dazu der Tod ihres einzigen Kindes; die Jetset-Ikone starb einsam und verarmt in einem Hotel in Los Angeles. Der Stoff, aus dem Huttons Albträume waren, wurde 1987 unter dem Titel:" Poor rich girl: the Barbara Hutton Story" verfilmt.

Schwarze wurden nicht bedient

In die Annalen eingegangen sind in den 1960er Jahren auch die hartnäckigen und konsequenten Sit-ins gegen die Segregationspolitik und die damals dominierende Geschäfts-und Verkaufspraxis von Woolworths, Schwarze an den Essenstheken nicht zu bedienen.

Woolworths und poor rich Barbara Hutton: ein Stück Zeitgeschichte. Ebenso die Integration der Black people,die ihren Platz an der Theke erobert haben. Und Woolworths selbst? Als im vergangenen Dezember die englische Kette schloss, erhob sich ein liebevolles Wehklagen jener Kunden, die von Kindesbeinen bei Woolworths ihren Jelly gekauft oder an der Theke geflirtet hatten. Ausführliche Erinnerungen wurden in den Gazetten veröffentlicht.

In Deutschland sieht die Billigkaufhauskette Woolworth Chancen für neue Kunden und Umsätze, die sich für das Unternehmen ergeben könnten. Doch hält die Geschäftsführung weitere Einschnitte nach der harten Sanierung im vergangenen Jahr nicht für ausgeschlossen. Am Billigimage wolle man aber auf alle Fälle festhalten, schon um die Stammkunden nicht zu verprellen.

In England aber ist jetzt Claire Robertson aus Dorchester mit ihrem Wellworths-Billigangebot die Hoffnungsträgerin der Stunde. Süßigkeiten locken gleich am Eingang des Geschäfts - wie früher auch bei Woolworths: sweet jelly beans für eine süße Zukunft? Am Eröffnungstag mussten vier Türsteher den Andrang der Kaufwilligen steuern; für Optimisten vom Schlag eines Frank W. Woolworths kann das nur signalisieren: We want Woolies!

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