Süddeutsche Zeitung

Chipfabrik:"Die industrielle Revolution kehrt ins Saarland zurück"

In Ensdorf entsteht eine neue Chipfabrik mit mehr als 600 Beschäftigten, auf dem Gelände eines alten Kohlekraftwerks. Da kommt sogar der Kanzler vorbei.

Von Caspar Busse und Gianna Niewel

Großer Bahnhof in der kleinen Gemeinde Ensdorf im Saarland: Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck sind am Mittwoch in den äußersten Winkel der Republik, nicht weit von Saarlouis und der französischen Grenze, gekommen, um gute Nachrichten zu verkünden. Der US-Konzern Wolfspeed will hier zusammen mit dem Autozulieferer ZF bis zu drei Milliarden Euro in eine hochmoderne Chipfabrik investieren. Das sei ein "Zeichen für die Attraktivität des Investitionsstandorts Deutschland", jubelte Habeck. Dass Halbleiter-Produktion in Deutschland angesiedelt werde, sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch, sei "ein wichtiges Signal, dass der Standort Deutschland in einer schwierigen Lage weiter attraktiv ist, auch für Hochtechnologie". Scholz sagte zu den Investoren: "Sie haben den Platz gefunden, den sie gesucht haben. Die industrielle Revolution kehrt ins Saarland zurück. Es gibt viel industrielle Erfahrung im Land."

Vom Investitionsvolumen von bis zu drei Milliarden Dollar entfallen auf ZF 185 Millionen Dollar. ZF werde im Gegenzug auch Aktien von Wolfspeed für eine Minderheitsbeteiligung an dem börsennotierten Unternehmen erhalten. Baubeginn soll bereits im ersten Halbjahr 2023 sein. Bei vollständigem Betrieb werde die Fabrik mehr als 600 Menschen beschäftigen, dazu kommen Jobs im Umfeld, insgesamt sollen es rund 1000 Arbeitsplätze sein. Hergestellt werden sollen im Saarland Siliziumkarbid-Halbleiter, mit denen die Reichweite von Elektroautos gesteigert werden könnte. Sie kommen aber auch in Energie- und Industrieanlagen zum Einsatz.

Es wird zudem ein gemeinsames Forschungs- und Entwicklungszentrum errichtet, an dem wiederum ZF die Mehrheit haben wird. Das Projekt sei ein integrierter Teil des "wichtigen Vorhabens von gemeinsamem europäischen Interesse (Important Project of Common European Interest - IPCEI) für Mikroelektronik und Kommunikationstechnologien", teilte ZF mit. "Diese Initiativen stärken die Widerstandsfähigkeit der europäischen Lieferketten und unterstützen gleichzeitig den Europäischen Green Deal und die strategischen Ziele von Europas digitaler Dekade", sagte Holger Klein, Vorstandsvorsitzender von ZF.

Ein großer Teil der Investition wird über Subventionen finanziert

Ensdorf ist die Heimat des früheren CDU-Wirtschaftsministers Peter Altmaier. "Die gute alte Zeit schafft die Voraussetzung für die gute neue Zeit", sagte Scholz. Denn das Werk wird dort auf dem Gelände eines ehemaligen Kohlekraftwerks entstehen, das mehr als 50 Jahre Strom aus Kohle produzierte, und soll etwa ein Drittel größer sein als Wolfspeeds bestehende Chipfabrik in den USA, sagte Firmenchef Gregg Lowe, der beim Festakt Deutsch gesprochen hat. Der Start der Produktion sei für 2027 geplant. Von den bis zu drei Milliarden Dollar Kosten dürfte "ein großer Teil" über Subventionen finanziert werden, ergänzte Lowe. Dem müsse die EU-Kommission zustimmen. Wolfspeed habe sich nach Prüfen einiger möglicher Standorte in Europa für Deutschland entschieden, wegen der guten Lage im Herzen Europas und wegen der gut ausgebildeten Arbeitskräfte. "Wir haben uns einfach ins Saarland verliebt", sagte Lowe.

Das Unternehmen erhofft sich Lowe zufolge eine besonders profitable Produktion. "Das Niveau an Qualität und Ausbildung von Technikern in Deutschland ist sehr, sehr hoch", lobte er: "Unsere Aufgabe ist nur, sie für Halbleiter-Maschinen auszubilden, und dafür haben wir vier Jahre Zeit." Es solle eine "bahnbrechend innovative" Entwicklungs- und Produktionsstätte geschaffen werden. ZF erhalte eine Minderheitsbeteiligung an der Fabrik in Ensdorf, hieß es weiter. Die Kontrolle und die operative Leitung der neuen Fabrik liegt bei Wolfspeed. ZF und Wolfspeed arbeiten schon seit 2019 in einer strategischen Partnerschaft zusammen. Im Saarland sollen "bahnbrechende Innovationen" entwickelt werden, hieß es.

Ford hat den Standort im Saarland zur Disposition gestellt

Für das Saarland ist die Meldung auch deshalb ein Erfolg, weil das Land seit Jahren gegen den Strukturwandel kämpft - und weil zuletzt mehrere größere Ansiedlungen nicht geklappt hatten. Im vergangenen Juni gab der Automobilhersteller Ford bekannt, seine Elektroautos von 2025 an im spanischen Valencia bauen zu wollen, es war auch eine Entscheidung gegen den Standort in Saarlouis, gegen ein Werk mit 4600 Beschäftigen. Wenige Monate später verkündete dann der chinesische Batteriezellenhersteller Svolt, sich zunächst in Brandenburg anzusiedeln. Dort hatte sich auch der US-Elektroautobauer Tesla angesiedelt. Das Saarland, so schien es, drohte am Strukturwandel zu scheitern.

Wenn jetzt Wolfspeed kommt und auf einem alten Kraftwerksgelände Arbeitsplätze schaffen will, wird das an der Saar als Trendwende interpretiert. Als Beleg dafür, dass das Land es schaffen kann, weg vom Verbrenner zu kommen, hin zur Elektromobilität und zu neuen Technologien. Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger sprach von einem "wirtschaftlichen Aufbruch" und einem Leuchtturmprojekt.

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