Wohnungspolitik:Mietpreisbremse greift ins Leere

Mehrfamilienhaus in Mainz

Mehrfamilienhaus in Mainz: Eine Bremse wirkt nur dort, wo es auch einen Mietspiegel gibt.

(Foto: picture alliance / dpa)
  • Eine SZ-Analyse zeigt, dass in den meisten Städten die Grundlage fehlt, um die Mietpreisbremse umzusetzen.
  • 177 betroffene Kommunen haben keinen Mietspiegel, an dem sich eine Obergrenze orientieren könnte.

Von Katharina Brunner

Nicht alle haben bekommen, was sie wollten. Esslingen bei Stuttgart hoffte auf die Mietpreisbremse, darf sie aber nicht einführen. Die Stadt erfüllt die Kriterien der Landesregierung nicht. 50 Kilometer weiter, in Reutlingen, ist es andersrum: Die Stadt muss die Mietpreisbremse umsetzen, obwohl sie der Gemeinderat für falsch hält. Wer ab November dort neu in eine Wohnung zieht, dessen Miete darf höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.

Die Mietpreisbremse sollte der große wohnungspolitische Wurf der Regierung werden. Wer in eine neue Wohnung zieht, den will der Staat vor zu hohen Mieten schützen. "Die Mietpreisbremse wird dazu beitragen, dass Mieten auch für Normalverdiener bezahlbar bleiben", sagte Justizminister Heiko Maas (SPD). Damit wurde erfüllt, was vor der letzten Bundestagswahl fast alle Parteien versprochen hatten.

Doch eine SZ-Analyse zeigt jetzt: In den meisten Städten fehlt die Grundlage, um das Gesetz umzusetzen. 177 betroffene Kommunen haben nämlich keinen Mietspiegel, an dem sich eine Obergrenze orientieren könnte. Damit kann die Bremse in drei von vier Gemeinden, in denen sie gelten soll, nicht so einfach greifen. "De facto läuft die Mietpreisbremse ohne Mietspiegel ins Leere", sagt Steffen Sebastian, Immobilienökonom an der Uni Regensburg.

Eine ungewöhnliche Allianz fordert mehr Mietspiegel

Wo die Mietpreisbremse gilt, bestimmen die Bundesländer. Bisher haben sechs Länder die Bremse eingeführt und 239 Städte identifiziert, in denen Mieter geschützt werden sollen. 144 davon sind in Bayern, 68 sind in Baden-Württemberg, 22 in Nordrhein-Westfalen und drei in Rheinland-Pfalz. Dazu kommen die Stadtstaaten Hamburg und Berlin. Hessen und Bremen wollen die Bremse einführen, womöglich auch Schleswig-Holstein. In Kommunen mit Bremse müssen sich Mieter und Vermieter vor Vertragsunterschrift klar werden, was die ortsübliche Vergleichsmiete ist. War sie bisher nur wichtig, wenn ein Vermieter die Miete erhöhen wollte, weitet sich ihr Einfluss nun auch auf Neuvermietungen aus.

Hinter der ortsüblichen Vergleichsmiete steckt ein Quadratmeterpreis, der Eigenschaften wie Ausstattung oder Lage berücksichtigt. Verschiedene Wohnungen in einer Stadt sollen vergleichbar werden. "Für alle Beteiligten, für Vermieter, Mieter und Investoren braucht es Klarheit", sagt Philipp Deschermeier vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Der Mietspiegel liefere eine gewisse Sicherheit und Transparenz. "Er ist ein guter Anker." Doch genau dieser Anker fehlt meistens: Nur ein Viertel aller Kommunen mit Mietpreisbremse, 62 Gemeinden, hat auch einen Mietspiegel. In den anderen Orten müssen Mieter und Vermieter auf Alternativen zurückgreifen und sich mit Vergleichswohnungen oder Gutachten behelfen. "Diese beiden Varianten sind erlaubt, aber höchst subjektiv", sagt Deschermeier. Und ein Gutachten ist teuer: Das Urteil eines Sachverständigen kostet mindestens eintausend Euro.

Nun fordert eine ungewöhnliche Allianz mehr Mietspiegel. Die Vermietervereinigung Haus und Grund, der Mieterbund und sogar Ökonomen, die sonst gegen den Mietspiegel wettern, halten eine Situation ohne Mietspiegel für problematisch. Bisher scheuen viele Kommunen die Kosten. Mindestens zehntausend Euro kostet ein qualifizierter Mietspiegel für eine kleine Gemeinde, für Großstädte können die Kosten schnell sechsstellig werden. Zudem ist Mietspiegel nicht gleich Mietspiegel.

Vorstellung des Mietspiegels 2015 für Berlin

Mitspiegel Berlin: Gelb steht für "überwiegend einfache Wohnlage", orange für mittlere und rot für gute Gegenden, also teure Wohnungen.

(Foto: Soeren Stache/dpa)

Keine Grundlage - oder eine schlechte

Bei einem einfachen Mietspiegel setzen sich Vertreter von Mietern und Vermietern an einen Tisch und verhandeln. Der Preis spiegelt dann weniger die Realität, als das Verhandlungsgeschick wider. Bei jedem dritten Mietspiegel in Städten mit Mietpreisbremse liegt nur so ein Papier vor. Die bessere Variante ist der qualifizierte Mietspiegel. Er braucht eine wissenschaftliche Grundlage, hat aber auch Tücken. Der Berliner Mietspiegel von 2013 wurde vor Kurzem von einem Gericht gekippt. Den Richtern war er nicht wissenschaftlich genug. "Es sind nicht alle Mietspiegel falsch, aber es sind alle angreifbar", sagt Immobilienökonom Steffen Sebastian. Ein möglicher Nachteil dieser Variante: Die Daten können bis zu vier Jahre alt sein. Das ist eine lange Zeit bei schnell steigenden Mietpreisen.

Die Kommunen haben die Wahl. Entweder stellen sie gar keine Grundlage für ihre Bürger zur Verfügung, um die Mietpreisbremse mit geringem Aufwand einhalten zu können. Oder sie bieten eine schlechte an. Die Regierung kennt das Problem. Im Koalitionsvertrag steht, dass sie die ortsübliche Vergleichsmiete "realitätsnäher" gestalten will. Konkrete Vorschläge aus Berlin gibt es aber bisher nicht. Eigentlich wäre deshalb erst eine Reform des Mietspiegels und danach die Mietpreisbremse sinnvoller gewesen, sagen Experten. Dann hätte es jedoch keine Mietpreisbremse gegeben, glaubt man im SPD-geführten Justizministerium: "Die Union hätte diese Reform so lange verzögert, bis es keine Mietpreisbremse gegeben hätte", sagte ein Sprecher.

Mitarbeit: Hannes Munzinger

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