Hohe Mieten:Deutschland braucht einen neuen sozialen Wohnungsbau

Hohe Mieten: 2020 wird es in Deutschland nur noch etwa eine Million staatliche Sozialwohnungen geben.

2020 wird es in Deutschland nur noch etwa eine Million staatliche Sozialwohnungen geben.

(Foto: Elvir K./Unsplash; Bearbeitung SZ)

Enteignungen lösen das Wohnproblem in deutschen Großstädten nicht. Stattdessen müsste der Staat wieder selbst als Bauherr Gestaltungswillen beweisen.

Kommentar von Joachim Käppner

Viel zu oft, klagte der Frankfurter Städteplaner Ernst May, "hört man Bedenken gegen die Errichtung kleinster Wohnungen. Wer erteilt diese Ratschläge? Kommen Sie aus dem Mund der Hunderttausenden, die wohnungslos in Mansarden und Kellern ein elendes Leben führen? Nein. Diese Ratschläge kommen von den Wohnungsgesättigten, die sich nicht in die Lage der Wohnungslosen zu versetzen vermögen."

Bald ein Jahrhundert ist das her - Kuhn gehörte in der Weimarer Republik zu den Pionieren eines menschengerechten Sozialsiedlungsbaus -, und bei allen Unterschieden klingt das Problem seltsam vertraut. Wie damals bietet die Großstadt Arbeitsplätze, und wie damals gibt es in dieser Großstadt zu wenige Wohnungen. Und jene, die es gibt, sind selbst für Durchschnittsverdiener kaum noch bezahlbar. Man muss nicht in Enteignungsträume abdriften wie Juso-Chef Kevin Kühnert, um hier eine der großen sozialen Fragen der Zukunft zu spüren. Was aber unternimmt der Staat, die Regierung dagegen?

Eigentlich jede Menge. Stadträte erlassen Erhaltungssatzungen, bei denen mancher Grundbesitzer aufschreit, als sei er Opfer politischer Verfolgung geworden. Regierungspolitiker ziehen die Mietpreisbremse an, geben viele Fördermittel aus und erlassen Mieterschutzgesetze. Kommunen machen Druck auf Eigentümer unbebauter Grundstücke. So richtig vieles sein mag, zu einer wirksamen Gesamtpolitik fügt es sich nicht. Dabei gäbe es eine solche Politik, oder besser, es gab sie: den sozialen Wohnungsbau.

Es wäre Zeit für einen Neustart, eine gesellschaftliche Kraftanstrengung. Aber ausgerechnet das kraftvollste Instrument gegen Wohnungsnot ist auf den Hund gekommen. Zwar sollen mit Bundesgeld in den Ländern, seit 2007 für den sozialen Wohnungsbau zuständig, mehr als 100 000 neue Wohneinheiten entstehen. Das klingt viel, ohne viel zu sein. In den Achtzigern gab es noch mehr als vier Millionen staatliche Sozialwohnungen, 2020 wird kaum mehr als eine Million übrig sein. Wenn Städte, vor allem die historischen Innenstädte, zur Wohlfühloase für Begüterte werden, entsteht an den Rändern sozialer Sprengstoff, den sich niemand wünschen kann, der je eine französische Banlieue besucht hat.

In den Zwanzigern war das "Neue Bauen" ein staatliches Großprojekt. Gartensiedlungen und Genossenschaftsquartiere boten mehr Platz, Licht, Luft anstelle dämmriger Höfe und Mietskasernen. Öffentlicher Wohnungsbau blieb, nach den Verheerungen des Krieges, auch in der Bundesrepublik bis in die Ära Kohl hinein ein Kernanliegen des Staates; dies häufig leider, ohne ästhetisch an die Vorgänger anzuknüpfen (vergeblich wütete der große Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich 1965 gegen die "Bimsblock-Tristesse", Hochhaussiedlungen nannte er "geplante Slums"). Heute aber ist der Bauherr Staat auf Wichtelgröße geschrumpft, wie in der Kaiserzeit vor 1914, als der Spekulant allemal mächtiger war als der Mieter.

Eine gefeierte Privatisierungsorgie

Der bundesdeutsche Sozialwohnungsbau wurde Opfer des Zeitgeists, nein, einer Ideologie: Der Markt werde schon alles richten, lautet ihr erstes und einziges Gesetz. Den Marktschreiern genügte es nicht, dass die öffentliche Hand kaum noch neuen Wohnraum schuf, sie sollte auch den vorhandenen hergeben. So verscherbelten viele Kommunen ihren Wohnungsbestand, als sei er Omas Tafelsilber - viele aus schierer Not, andere ganz ohne Not. Widersacher wie der damalige Präsident des Städtetags und Münchner Oberbürgermeister Christian Ude wurden betrachtet, als seien sie stalinistische Kollektivierer. Die Privatisierungsorgie wurde quer durch alle Parteien gefeiert.

Und nun? Ein Kühnert'scher Enteignungsfuror führt nirgendwohin außer in die Schlagzeilen. Laut Grundgesetz, Artikel 15, müssten die Besitzer entschädigt werden. In vielen Fällen würde der Staat Wohnungsunternehmen jene Siedlungen wieder abnehmen, die er ihnen eben noch meistbietend verkauft hat, und dafür ein Vielfaches zahlen. Die Häuser der Berliner Wohnungsgesellschaft GSW, die ausgerechnet ein rot-roter und sehr kurzsichtiger Senat 2004 verkaufte, sollen heute mehr als das 15-Fache wert sein.

Unter solchen Umständen sind weder Enteignungen noch Rückkäufe ein gangbarer Weg. Einen solchen würde nur eine Renaissance des sozialen Wohnungsbaus bieten. Er ist kein Allheilmittel, von allen Mitteln der Heilung aber das wirksamste. Damit es wirklich hilft, wäre vieles nötig, vor allem natürlich: sehr viel mehr Geld vom Bund; dazu die Kontrolle, damit die Länder dieses Geld nicht zweckentfremden. Neben den Bodenpreisen hat eine auswuchernde Baubürokratie die Kosten steigen lassen, die sich gründlich entschlacken ließe. Und nicht zuletzt bräuchte es wieder eine Architektur mit sozialem Gestaltungswillen wie damals, als Baureformer Ernst May forderte: "Schafft uns Wohnungen, die, wenn auch klein, doch gesund und wohnlich sind - und liefert sie vor allem zu tragbaren Mieten!"

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:Sozialer Wohnungsbau statt Enteignungen?

Enteignungen lösen das Wohnproblem in deutschen Großstädten nicht, kommentiert SZ-Autor Joachim Käppner. Stattdessen brauche es eine Renaissance des sozialen Wohnungsbaus.

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