Süddeutsche Zeitung

Wohnungsmarkt:Reiche Viertel, arme Viertel

Immer mehr Menschen drängen in die Metropolen, dort wird das Wohnungsangebot immer knapper. Das Statistische Bundesamt diagnostiziert einen "Baustau".

Von Thomas Jordan, Berlin

Die Lage auf dem deutschen Wohnungsmarkt bleibt weiter äußerst angespannt. Gerade in den großen Metropolen gibt es zu wenig Wohnungen, in der Folge schießen die Miet- und Kaufpreise für Immobilien seit Jahren in die Höhe. Das Statistische Bundesamt sieht einen wichtigen Grund dafür in der Baubranche selbst: Die Bauwirtschaft kommt mit dem Bau von Wohnungen einfach nicht hinterher.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich der "Baustau", wie es der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Georg Thiel, nennt, mehr als verdoppelt. So lag die Zahl der genehmigten, aber nicht fertiggestellten Wohnungen im Jahr 2018 bei 693 000. Im Jahr 2008 waren es nur 320 000 gewesen. Eine wichtige Rolle beim Baustau spielt laut Statistischem Bundesamt die Tatsache, dass die Bauwirtschaft große Schwierigkeiten hat, das notwendige Personal zu finden. Es gibt nicht genügend Bauarbeiter, um all die dringend benötigten Wohnungen zu bauen. Während sich die Auftragsbestände im Wohnungsbau seit 2008 nahezu verdreifacht und 2018 den höchsten Stand seit 1997 erreicht haben, ist die Anzahl der Beschäftigten in den vergangenen zehn Jahren lediglich um 25 Prozent gestiegen, wie Thiel in Berlin sagte. Die Folge davon macht sich auf dem Wohnungsmarkt bemerkbar. "So warten aktuell Aufträge im Wert von rund 9,1 Milliarden Euro auf ihre Ausführung", erklären die Statistiker.

Gerade in deutschen Metropolen wird der Wohnungsmangel durch das massive Bevölkerungswachstum erheblich verschärft. Alleine Berlin ist in den Jahren 2011 bis 2018 in der Größenordnung einer mittleren Großstadt wie Münster oder Bonn gewachsen. So lebten 2018 319 000 Menschen mehr in der Hauptstadt als noch zu Beginn des Jahrzehnts. Neben dem Geburtenüberschuss ist dafür laut dem Statistischen Bundesamt vor allem der Zuzug aus dem Ausland verantwortlich.

Mit dem Run auf die Metropolen verändert sich auch die Altersstruktur ihrer Bewohner: "Während Deutschland insgesamt älter wird, werden die Großstädte jünger", sagte Georg Thiel in Berlin. Gerade die 20- bis unter 40-Jährigen zieht es in Städte wie Berlin, Frankfurt am Main, München oder Hamburg. Deutschlandweit zogen von 2013 bis 2018 unterm Strich 1,2 Millionen Menschen aus dieser Altersgruppe in die kreisfreien Großstädte. Ältere Menschen verlassen dagegen eher die Großstädte. Von den über 40-Jährigen gingen unterm Strich 12 000 Menschen in dünner besiedelte Gegenden auf dem Land.

Am Beispiel Berlin wird dabei deutlich, welche Folgen die "Unterversorgung" an Wohnungen hat, wie es der Vorstand des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg, Jörg Fidorra, nennt. So zogen nicht nur die Mietpreise erheblich an. Wer heute in der Bundeshauptstadt eine Wohnung mietet, zahlt im Schnitt gut 26 Prozent mehr als noch vor fünf Jahren.

Dabei gibt es in den verschiedenen Stadtteilen erhebliche Unterschiede. Im Luxusviertel Berlin-Mitte sind die Kaltmieten seit 2015 um gut 3,50 Euro pro Quadratmeter gestiegen, während im von Plattenbauten geprägten Marzahn-Hellersdorf der Anstieg gut einen Euro betrug. Eine Konsequenz daraus ist, dass sich auch eine zunehmende soziale Segregation der Mieter nach Einkommen in den verschiedenen Berliner Stadtvierteln messen lässt. Bezogen auf ihre Bewohner gilt demnach: Reiche Viertel werden reicher, arme Viertel werden ärmer. So verfügten Neumieter in beliebten Bezirken wie Berlin-Mitte oder Friedrichshain-Kreuzberg 2018 über ein um 425 Euro höheres Einkommen gegenüber Altmietern als noch im Jahr 2015. Wer heute nach Marzahn-Hellersdorf zieht, ist dagegen tendenziell ärmer als noch 2015. Dort verdienten Neumieter 2018 im Schnitt 325 Euro weniger als im Jahr 2015.

Alarmierend sind diese Zahlen auch deswegen, weil nirgendwo in der Europäischen Union die Menschen so häufig zur Miete wohnen wie in Deutschland. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung sind hierzulande Mieter - während es EU-weit gerade einmal gut 30 Prozent sind. Kaufen statt mieten dürfte dabei aber für die allerwenigsten eine Alternative sein. Auch das lässt sich mit Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen.

Denn in den vergangenen zehn Jahren sind die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser und Eigentumswohnungen in Deutschland explodiert. Wie das Statistische Bundesamt berechnet hat, sind die Kaufpreise zwischen 2008 und 2018 um 47,9 Prozent gestiegen. Am begehrtesten sind dabei Eigentumswohnungen in den großen Metropolen. Sie haben sich allein seit dem Jahr 2016 um gut 23 Prozent verteuert. Aber auch die Preise für Häuser in dünn besiedelten Gegenden auf dem Land sind gestiegen. Sie verteuerten sich seit dem Jahr 2016 um gut 13 Prozent.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4709483
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.12.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.