Wohnungsbau:Die Plattenbauten kehren zurück

Wohnungsbau: Fliegendes Wohnzimmer: Vier Tage lang hat dieser Kran in Bochum-Hofstede Module aufeinander gestapelt, jetzt ist das neue Mietshaus von Vonovia fertig.

Fliegendes Wohnzimmer: Vier Tage lang hat dieser Kran in Bochum-Hofstede Module aufeinander gestapelt, jetzt ist das neue Mietshaus von Vonovia fertig.

(Foto: Simon Bierwald)

Immobilienfirmen setzen auf Fertigteile, um die Wohnungsnot in Ballungsgebieten zu lindern. Das geht schnell, spart Zeit und Lärm - hat aber ein gewaltiges Imageproblem.

Von Benedikt Müller

So schnell kann es gehen. Erst drei Monate ist es her, dass in dieser Siedlung in Bochum die ersten Bauarbeiter anrückten. Auf der großen Wiese zwischen den alten Mietshäusern, wo früher die Wäschespinne stand, prangt jetzt dieser weiße Klotz mit 14 neuen Wohnungen. Schon im Januar sollen die ersten Mieter einziehen.

Deutschlands größter Vermieter Vonovia hat in dieser Siedlung aus den Sechzigern ein Zeichen gesetzt: In einer Zeit, in der vor allem teure Eigentumswohnungen gebaut werden, zieht die frühere Deutsche Annington in Windeseile den ersten Neubau ihrer Geschichte hoch. Für weniger als zehn Euro je Quadratmeter werden die Wohnungen vermietet. "Das ist zeitgemäßer, bezahlbarer Wohnraum", sagt Konzernchef Rolf Buch.

Die Zimmer wurden nicht angebaut - sie kamen angeflogen

Der Trick: Nur das Treppenhaus in der Mitte wurde hier klassisch aus Beton hochgezogen. Die Zimmer drumherum kamen via Kran angeflogen: unterschiedlich große Module, in denen das meiste schon drin war. Fenster, Steckdosen, Tapeten - alles wurde vorher in einer Fabrik zusammengebaut. "Es ist wie Lego bauen", schwärmt Buch, der mit serieller Bauweise in den nächsten Jahren 1000 neue Wohnungen auf den Grundstücken des Dax-Konzerns bauen will. Jedes neue Mietshaus soll ein bisschen anders aussehen, aber aus den gleichen Modulen bestehen. "Wir können jetzt in Serie gehen", sagt Buch, "und legen damit das Fundament für die Lösung eines gesellschaftlichen Problems."

Seit einigen Jahren wird die Wohnungssuche in den Ballungsgebieten immer schwieriger, für manche gar unbezahlbar. Es bräuchte schnellen und günstigen Neubau. Doch laut dem Statistischen Bundesamt sind die Baukosten in den vergangenen zehn Jahren um 30 Prozent gestiegen. Strenge Auflagen zu Brandschutz, Energie und Barrierefreiheit sind eine Ursache. Die andere: Es entstehen vor allem teure Eigentumswohnungen, denn die lassen sich in Nullzins-Zeiten gut verkaufen.

Die Folge: Wenn neue Wohnungen vermietet werden, dann deutlich teurer als bestehende. In München etwa wird Neubau im Schnitt für gut 16 Euro Miete pro Quadratmeter angeboten, berichtet die Beratungsfirma Empirica. Über alle Baujahre werden im Schnitt 14,20 Euro verlangt. Schnelle Entlastung bringt der neue Wohnraum also nicht. Jedenfalls nicht denen, die ihn bräuchten: Familien, Studenten, Geringverdiener und Geflüchtete.

Schulgebäude können binnen zwei Wochen hochgezogen werden

Das Bundesbauministerium hat serielle Ansätze als eine Lösung ausgemacht, um schneller und günstiger bauen zu können. "Industrielle Bauweisen kommen bislang noch zu wenig zum Zuge", sagt Ministerin Barbara Hendricks (SPD), die eigens eine Arbeitsgruppe zu dem Thema gegründet hat. Häufig seien die Aufträge nicht groß genug, um wirklich in Serie zu gehen.

Längst haben Baufirmen ihre seriellen Methoden dermaßen verbessert, dass sie etwa Schulgebäude innerhalb von zwei Wochen hochziehen können. Selbst kleine Bürohäuser können modular binnen fünf Tagen fertig gebaut werden.

Nun wollen Wohnungsunternehmen wie Vonovia und eine neue Generation von Architekten diese Ansätze auf ihre Projekte übertragen. Hersteller von Baustoffen und Modulen wittern ein Milliardengeschäft. Doch sie kämpfen mit zwei großen Problemen: den Mühlen der Verwaltung - und dem miesen Ruf modularer Bauten.

Platte und Individualität - passt das zusammen?

Kein Architekt will zurück in die Siebziger, als vor allem in Ostdeutschland ganze Stadtteile voller Plattenbauten aus dem Boden gestampft wurden: austauschbare Wohnungen, die damals gebraucht wurden, heute vielerorts leer stehen. Auch Ministerin Hendricks betont, Städte dürften nicht uniform werden. "Ich will weder Abstriche bei der Baukultur machen noch bei den energetischen Voraussetzungen", sagt die SPD-Politikern. Vielmehr wollen die Menschen individuell wohnen, wie der Markt für Ein- und Zweifamilienhäuser zeigt: Nur jedes sechste Eigenheim entsteht hierzulande als Fertighaus. Bei Mehrfamilienhäusern sind Fertigteile noch weniger verbreitet.

Horst Wildemann kämpft gegen diese emotionalen Steinbrocken an. Der Professor der Technischen Universität München hat einst hiesige Autobauer beraten, als Hersteller aus Japan mit niedrigen Kosten angriffen. Seit vier Jahren forscht Wildemann nun zum Wohnungsbau, wo er einen ähnlichen Siegeszug der Technik für nötig hält. "Es geht nicht darum, Häuser zu vereinheitlichen", sagt der Forscher. "Es ist möglich, Häuser individuell zu bauen, aber industriell herzustellen."

Wildemann schwebt eine Welt vor, in der die Bauindustrie am Fließband Wand- und Deckenteile herstellt - in allen Größen, Texturen und Ausführungen, ganz nach Wunsch des Kunden. An der Baustelle stapelt ein Kran die Fertigteile nur noch aufeinander, binnen weniger Tage. Wildemann glaubt, die Baukosten könnten damit gedrittelt werden - auf weniger als 700 Euro pro Quadratmeter.

Ein industriell gefertigter Container auf dem anderen

Vonovias Bau in Bochum hat 1800 Euro pro Quadratmeter gekostet - immerhin weniger als jene 2400 Euro, die für Mehrfamilienhäuser in den Städten üblich sind. Dem dreistöckigen Neubau sieht man seine Bauweise am ehesten im Treppenhaus an, weil die weiß verputzten Holzwände der Module ganz anders wirken als die Betonpfeiler. In den Wohnungen selbst lassen höchstens die klobigen Rollladenkästen erahnen, dass man in einem industriell gefertigten Container steht.

Vonovia hofft, mit steigender Stückzahl künftig noch günstiger zu bauen. Doch: Wer garantiert, dass die Ersparnis auch beim Mieter ankommt? Oder maximieren die niedrigen Baukosten letztlich nur die Gewinne der Unternehmen?

Einer, der seine Neubauten vom Mieter her kalkulieren muss, ist Frank Junker, Chef der ABG Frankfurt Holding, eines Unternehmens der Stadt Frankfurt. Angesichts der Wohnungsnot hat die Stadt am Main ihre ABG in die Pflicht genommen: Sie soll mehr bezahlbare Mietwohnungen bauen, höchst energieeffizient. Und: Es soll bitte schnell gehen. Das ist nur mit seriellen Ansätzen machbar, sagt Junker.

Er setzt vor allem bei Aufstockungen auf Fertigteile. Derzeit plant die ABG, eine frühere Militärsiedlung im Nordwesten Frankfurts zu verdichten: Zu den aktuell 340 Wohnungen sollen im nächsten Frühjahr 700 obendrauf kommen. Nach und nach wird die ABG den zweistöckigen Mietshäusern ihre Dächer abnehmen. Binnen weniger Wochen hebt dann ein Kran vorgefertigte Holzwände auf die Baustelle. Flachdach und Putz drauf, fertig. Zudem wird an die Häuser aus den Fünfzigerjahren seitlich angebaut. Keine neue Mietwohnung darf mehr als zehn Euro pro Quadratmeter kosten, so die Vorgabe der Stadt, die Hälfte entsteht als Sozialwohnungen.

Baukasten-Projekte scheitern oft noch an Zulassungen

"Solche Aufstockungen kann man nur mit seriellen Ansätzen bewerkstelligen", sagt Junker, "alleine aus statischen Gründen." Längst setzt das Unternehmen auch bei kompletten Neubauten auf Fertigteile: Böden und tragende Wände lässt die ABG noch konventionell bauen; anschließend werden meterlange Fassadenteile inklusive Fenstern und Innenleben an die Baustelle gekarrt. "Dadurch sparen wir mehrere Wochen Bauzeit ein", sagt Junker, "können also schneller, günstiger bauen und verursachen weniger Lärm." Während die Politik am grünen Tisch allerlei Pläne schmiede, lautet Junkers Motto: "Wir machen das jetzt einfach."

Nur: Sobald man die kommunale Ebene verlässt, ist nichts mehr einfach. Jedes Bundesland hat seine eigene Bauordnung; jedes Projekt muss einzeln von der Stadt genehmigt werden. Wollte etwa Vonovia sein neues Bochumer Mietshaus baugleich in einer anderen Stadt hochziehen, müsste der Konzern eine neue Genehmigung beantragen, und der Bau würde nach örtlichen Vorgaben erneut geprüft. Während es bei Autos oder Elektrogeräten selbstverständlich ist, dass ein Produkt - einmal genehmigt - bundesweit verkauft werden darf, fangen die Bauämter immer wieder von vorne an.

Bauordnungen der Länder müssten stärker vereinheitlicht werden

Deshalb berichtet der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), dass zwar viele seiner Mitglieder Interesse an modularen und seriellen Ansätzen hätten. Doch damit das Bauen wirklich einfacher und schneller werde, müssten die Firmen bundesweite Typengenehmigungen beantragen können, und die Länder müssten sich auf eine einheitliche Bauordnung einigen.

Längst empfiehlt der Bund den Ländern, ihre Bauordnungen stärker zu vereinheitlichen. Doch der Bund hat die Verantwortung für den Wohnungsbau vor zehn Jahren den Ländern übergeben.

Horst Wildemann hofft, dass die Politik Wort hält in Sachen serielles Bauen, solange der Wohnungsbau so dringend nötig ist wie zurzeit. "Wir reden über einen Paradigmenwechsel", sagt der Wissenschaftler. Bei der Herstellung von Autos werden Fehler längst in "Parts per Million" gemessen - also in Teilen von einer Million -, während der Bau noch ein anfälliges Handwerk sei. Serielles Bauen biete eine "Fehlervermeidung um 99 Prozent", schwärmt Wildemann, "das könnte ein Exportschlager werden."

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