Süddeutsche Zeitung

Wohnen:Mehr bauen statt mehr Regeln schaffen

Trotz hoher Wohnkosten will Nordrhein-Westfalen mehrere Mieterschutz-Verordnungen abschaffen. Dagegen richtet sich nun Widerstand.

Von Benedikt Müller, Düsseldorf

In Nordrhein-Westfalen tragen manche Siedlungen ihre Geschichte im Namen: Sie heißen Bochum-Stahlhausen oder Oberhausen-Eisenheim. Sie zeugen von Firmen, die nicht nur Arbeitsplätze schufen, sondern auch Wohnraum für ihre Beschäftigten. Und sie stehen für einen sozialen Wohnungsbau, dem sich auch der Staat jahrzehntelang verpflichtet sah.

Heute ziehen wieder viele Menschen in die Städte, den Jobs und Studienplätzen hinterher. Doch haben viele Kommunen ihre Wohnungsunternehmen privatisiert, viele Konzerne ihre Werkswohnungen verkauft. Die Folgen: In Nordrhein-Westfalen etwa werden Neubauten heute zu 40 Prozent höheren Mieten angeboten als noch vor zehn Jahren, berichtet ein neues Bündnis mehrerer Sozialverbände. Immer mehr Haushalte geben mehr als jene 30 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen aus, die als Belastungsgrenze gelten. "Und hier ist die Rede von Normalverdienern", sagt Christian Woltering, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes NRW. "Arme Menschen haben noch schlechtere Karten." So zählt das Land der einstigen Werkswohnungen auch immer mehr wohnungslose Menschen.

Im Mai soll eine Regel auslaufen, die Mieter in vielen Städten vor starken Mieterhöhungen schützt

Umso mehr kritisiert das neue Bündnis "Wir wollen wohnen" die schwarz-gelbe Landesregierung. "Sie plant heimlich, still und leise, wichtige Regelungen zum Schutz der Mieterinnen und Mieter zu streichen", sagt Hans-Jochem Witzke, Vorsitzender des Deutschen Mieterbundes NRW. Beispielsweise soll die schärfere Kappungsgrenze, die Mieter in vielen Städten vor starken Erhöhungen schützt, Ende Mai auslaufen. Sie schreibt vor, dass Eigentümer die Miete innerhalb von drei Jahren höchstens um 15 Prozent anheben dürfen. Wenn die Landesregierung die Verordnung wie geplant auslaufen lässt, steigt die Grenze bald auf 20 Prozent.

Im nächsten Jahr wird das bevölkerungsreichste Bundesland zudem die Mietpreisbremse abschaffen, falls CDU und FDP an ihren Plänen festhalten. Wenn Eigentümer eine Wohnung neu vermieten, schreibt die Regel vor, dass sie höchstens zehn Prozent mehr verlangen dürfen als die ortsübliche Miete. Die Bundesländer legen fest, in welchen Städten die Bremse gilt. In Nordrhein-Westfalen soll die entsprechende Verordnung - Stand jetzt - im Juni 2020 auslaufen. Dann wäre die Preisbremse in Städten wie Köln oder Düsseldorf abgeschafft. Das Bündnis "Wir wollen wohnen" will nun Unterschriften sammeln, auch per Online-Petition, um die Landespolitik zum Umdenken zu bringen.

Doch weiß Witzke, dass Gesetze allein nicht das eigentliche Problem lösen. "Alle Schutzregelungen sind nur halb so gut wie der Neubau von Wohnungen", sagt der Mieterschützer. So prognostiziert die landeseigene NRW-Bank, dass jährlich 80 000 Wohnungen im Land entstehen müssten, um den Bedarf zu decken. Die tatsächliche Bauleistung bleibt aber mit 48 000 Einheiten - wie in vielen Ländern - dahinter zurück.

Die Landesregierung betont auf Anfrage, dass sie so viel Geld für den Wohnungsbau bereitstelle wie nie zuvor. So vergibt Nordrhein-Westfalen - dank Bundesmitteln und eines landeseigenen Fonds - 1,1 Milliarden Euro Fördergelder jährlich, für neue Sozialwohnungen, Modernisierungen oder das erste Eigenheim. "Neben Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften können auch private Investoren und Wohneigentümer von einer Förderung profitieren", teilt das Bauministerium mit. Zudem gehe man die Probleme an, dass Grundstücke in den Städten fehlen und viele Bauämter zu dünn besetzt sind.

Das Bündnis "Wir wollen wohnen" fordert hingegen, dass das Land statt Wohneigentum noch mehr bezahlbare Mietwohnungen fördern sollte. "Polizisten, Erzieherinnen und Altenpfleger müssen dort, wo sie arbeiten, auch wohnen können", sagt Sabine Graf, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes NRW. Begehrte Großstädte dürften keine Oasen für Großverdiener werden, warnt Graf. "Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass der Markt alleine die Probleme nicht löst."

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SZ vom 15.01.2019
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