Süddeutsche Zeitung

Wohnambiente:Provence im Wohnzimmer

Es muss nicht immer weiß sein. Auch andere Töne und Materialien können für ein besonderes Raumerlebnis sorgen. Im Trend sind farbige und duftende Wände. Sie sprechen die Sinne an und bringen die Natur ins eigene Haus.

Von Lars Klaaßen

Wer auf seine Bedürfnisse achtet und seinen Wohnraum umsichtig einrichtet, kann sein persönliches Wohlbefinden erheblich steigern. Doch das ist nicht immer ganz einfach, wie Axel Venn weiß. "Menschliche Bedürfnisse sind widersprüchlich", sagt der emeritierte Professor für Farbgestaltung und Trendscouting. "So sollen unsere Wohnräume einerseits den eigenen Status repräsentieren, wir wollen dort Gäste empfangen und uns angeregt austauschen. Auf der anderen Seite wollen wir uns am selben Ort zurückziehen und entspannen, das Heim ist unser wichtigstes Naherholungsgebiet." Damit Wohnräume ihre verschiedenen Funktionen erfüllen können, werden sie in einzelne Bereiche unterteilt. "Stilistisch geht es dabei zunehmend bunt durcheinander", so Venn, "da mischen sich Fern- und Heimweh irgendwo zwischen modern-internationalem und gemütlichem Retro-Stil." Dabei gilt auch: "Jüngere bevorzugen kühles, geradliniges Interieur, gerne in Beige oder Grau gehalten", sagt Venn. "Dank einer untreuen Haltung zum eigenen Besitz wandelt sich die Einrichtung im Laufe der Jahre jedoch ständig." So werde es im Alter zunehmend gemütlicher und farbiger, "Naturmaterialien wie Holz gewinnen an Bedeutung".

Ob wir uns gestresst oder entspannt fühlen, werde von sinnlichen Eindrücken beeinflusst, insbesondere durch Farben. "Das passiert meist unbewusst", sagt Ines Klemm. Die Architektin und Expertin für Farbe und Wohlbefinden ist Gründerin und Geschäftsführerin von Latrace. "Farbe wirkt immer und auf jeden gleich, das ist energetisch bedingt." Umso erstaunlicher erscheint es, dass die große Mehrheit unserer Räume weiß gestrichen ist. "Es wird Zeit, mit dem Mythos aufzuräumen, Weiß sei eine 'neutrale' Farbe, denn das stimmt nicht", betont Klemm.

Auch andere vermeintliche Wahrheiten stößt sie vom Sockel: So müssen kleine Räume nicht zwingend hell gestrichen werden, Decken ebenso wenig. Für ein Unternehmen hat sie einmal Besprechungsräume in neun verschiedenen Farben gestaltet. Wird das nicht zu unruhig? Nein, denn Menschen nähmen ohnehin nicht mehr als drei, maximal fünf Farben gleichzeitig bewusst wahr, so die Architektin: "Diese Räume wurden häufiger gebucht als zuvor."

Verschiedene Farbtöne dienen nicht nur dazu, für sich allein zu wirken. Sie können auch dezent aufeinander abgestimmt werden, um unruhige Lichteffekte im Raum auszugleichen. Und selbst wenn man mit kräftigen Farben arbeitet, fällt dies Betrachtern oft nicht auf. "Wenn eine Umgebungsfarbe der Farbe der inneren Stimmung entspricht und buchstäblich auf der gleichen Wellenlänge ist, nehmen wir diese nicht mehr wahr, weil es keine Dissonanz mehr gibt. Harmonie und Wohlbefinden sind die Folge."

Wände duften nach Kaffee, Tee, Heu, Stroh oder Lavendel

Wenn Klemm Konzepte für Geschäftsräume entwickelt, dienen Workshops einer ersten Orientierung. Bei Wohnräumen werden alle Familienmitglieder ausführlich befragt. Erst dann erfolgt die Zuordnung der Farben. Versucht man selbst, Farben für sich zu wählen, helfen Fotos, die Momente des persönlichen Wohlbefindens zeigen, um Farbpräferenzen zu lokalisieren - die Motive spielen dabei nicht die zentrale Rolle, sondern die Farben, die in diesen Momenten vorkommen.

Edgar Deinböck, der eng mit Ines Klemm zusammenarbeitet, belässt es nicht bei der optischen Wirkung. Der Farben- und Lacktechniker aus dem Landkreis Landshut bringt Kaffee, Tee, Heu und Stroh direkt an die Wand und schafft damit auch ein olfaktorisches Raumerlebnis. "So erleben sie am Morgen in der Küche Kaffeeduft noch bevor die Kaffeemaschine angestellt wurde", sagt Deinböck. "Die Wand hat zudem eine schöne dunkelbraune Farbe mit der Struktur von frisch gemahlenen Kaffee."

Mit einer Wand aus Lavendel wiederum kommt auf diese Weise die Provence ins Wohnzimmer. Seine Farbe ist allerdings natürlich, in diesem Fall grün-braun. "Indem wir mit der Kombination von natürlichen Materialien Farbe, Duft und Struktur an die Wand bringen, holen wir die Natur und das Wohlfühlen von draußen nach drinnen", so Deinböck. Wie lange der Duft sich im Raum hält, hängt vom Material ab. "In der Regel zwischen einem halben und ganzen Jahr", so Deinböck. "Wenn er nachlässt, kann man die Wand mit destilliertem Wasser besprühen und befeuchten - das erneuert den Duft."

Alle Materialien können zudem abgekratzt oder mit Wasser wieder entfernt werden. Heu, Stroh und Kaffee lassen sich auch kompostieren.

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Quelle:
SZ vom 13.01.2017
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