Wohlstand:Wie geht es uns?

Seit Langem suchen Experten und Politiker schon nach den Gradmessern für Wohlstand. Die Grünen haben nun einen vorgelegt. Eine Frage der Studie lautet: "Was jungen Menschen wirklich wichtig ist im Leben, was Lebensqualität für sie konkret ausmacht."

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Diesen Donnerstag ist Barbara Hendricks dran, gleich zweimal. Erst in einem Gymnasium in Koblenz, dann in einem Bürgerzentrum in Köln diskutiert die Umweltministerin mit dem Volk. Sie wolle wissen, sagt die SPD-Politikerin, "was jungen Menschen wirklich wichtig ist im Leben, was Lebensqualität für sie konkret ausmacht". Solche Fragen haben System, sie gehören zu einer breit angelegten Kampagne der Bundesregierung. Seit Juni touren Minister und Kanzlerin durchs Land, um in öffentlichen Diskussionen herauszufinden, was "gut leben in Deutschland" eigentlich bedeutet. Oder anders: Was das Wohlbefinden von Menschen jenseits von Wachstumszahlen ausmacht. "Auf dieser Basis", so steht schon im Koalitionsvertrag, "werden wir ein Indikatoren- und Berichtssystem zur Lebensqualität in Deutschland entwickeln". Irgendwann.

Da sind die Grünen schon ein Stück weiter. Am Donnerstag legten sie in Berlin ein Gutachten vor, es skizziert einen neuen Gradmesser des Wohlstands. Nicht das Wirtschaftswachstum misst er, sondern alles Mögliche drumherum: die Artenvielfalt etwa, als Indiz für den Zustand der Natur. Oder aber die Verteilung des Wohlstands innerhalb der Gesellschaft - als Ausdruck der sozialen Gerechtigkeit. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts BIP, gemeinhin der Wohlstandsindikator, bilde "genau genommen illusionären Wohlstand" ab, sagt der Berliner Verwaltungswissenschaftler Roland Zieschank, einer der beiden Autoren. Schließlich fließe da selbst die Beseitigung von Umweltschäden als Wachstum ein, auch wenn sie bestenfalls den Status quo wiederherstelle. Über Ungleichheit sage das BIP gar nichts.

Insgesamt acht Indikatoren haben Zieschank und der Heidelberger Wachstums-Experte Hans Diefenbacher stattdessen entwickelt, sie sollen gemeinsam so etwas wie Zufriedenheit ausdrücken. Neben Artenvielfalt und Einkommensvielfalt soll er auch Bildungsstand und Ressourcenverbrauch erfassen. Die Lage der Wirtschaft soll nicht das Bruttoinlandsprodukt, sondern der aufwendigere "Nationale Wohlfahrtsindex" widerspiegeln, angereichert um den Anteil der Umweltschutz-Güter an den deutschen Exporten.

Und auch das erfragte Befinden der Bevölkerung soll einfließen; allerdings mit der einfachen Frage: "Wie zufrieden sind Sie auf einer Skala von eins bis zehn?" Solche Befragungen gibt es schon lange, etwa im "Sozio-oekonomischen Panel" des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Nur waren sie noch nie Gegenstand offizieller Regierungsberichte.

Vorarbeiten für neue Indikatoren gibt es reichlich, darunter auch den 850 Seiten starken Bericht einer Enquetekommission, die sich in der letzten Wahlperiode mit Wachstum und Wohlstand beschäftigte. Auch sie hatte ein System von Indikatoren verlangt, mit dem sich Zufriedenheit und Wohlstand abbilden lassen. Doch die neue Bundesregierung verlegte sich aufs Reden. "Wir stellen fest, dass wir die einzigen sind, die diese Arbeit fortsetzen", sagt Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter.

Im Januar soll aus den acht Indikatoren des Gutachtens ein "Jahreswohlstandsbericht" werden; die Grünen wollen ihn parallel zum offiziellen "Jahreswirtschaftsbericht" vorlegen. Von den Dialogen der Regierung übrigens halten die beiden Experten nicht viel. "Sie lösen das Problem nicht, wenn Sie es bei den Menschen lassen", sagt Zieschank. Wohlstand sei mehr als das Wohlergehen Einzelner.

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