Süddeutsche Zeitung

Wohin mit dem Geld?:Mit den Jahren lockt das Risiko

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Je älter jemand ist, desto sicherer sollte er sein Erspartes anlegen. So lautet die Empfehlung, und so funktioniert Investieren in der Theorie. Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Von Jan Willmroth, München

Erik Podzuweit erzählt gern von diesem Kunden, Jahrgang 1930, der ganz klare Vorstellungen mitbrachte. Podzuweit ist Mitgründer und Geschäftsführer der Online-Vermögensverwaltung Scalable Capital, einem von inzwischen mehr als einem Dutzend sogenannter Robo-Advisor, die Geld automatisiert in verschiedenen börsengehandelten Fonds anlegen. Vor der Anlageentscheidung beantworten Kunden von Scalable Capital einen Fragebogen zu ihrer Risikoneigung und ihrem Anlagehorizont. Der 86-Jährige sagte Podzuweit ganz klar: Natürlich gehe er ins Risiko. Er brauche das Geld ja nicht mehr für sich, es sei für seine Kinder.

Womit schon ein Grund deutlich wird, warum es gerade ältere Anleger sind, die höhere Risiken eingehen. Sie sind oft wohlhabender und lassen etwas für ihre Nachfahren übrig. In der Theorie funktioniert private Altersvorsorge eigentlich anders: In jungen Jahren, mit den ersten Karriereschritten und Gehaltserhöhungen, sollten sich Sparer an riskanteren Anlageklassen orientieren, Aktien kaufen oder andere Wertpapiere, die sie lange halten wollen. Je länger Aktien und Fonds im Depot bleiben, desto geringer werden tendenziell die Risiken. Im Alter kommt es dann auf die rasche Verfügbarkeit des Vermögens an. Man hatte ja ursprünglich vor, davon die eigene Rente aufzubessern.

Viele von Banken und Versicherungen angebotene Produkte zur privaten Vorsorge funktionieren genau nach diesem Prinzip: Anfangs ist beispielsweise die Aktienquote hoch, bis zum Rentenalter wird der Aktienanteil zugunsten weniger riskanter Anleihen sukzessive verringert. "Das Verhalten der Selbstverwalter widerspricht dem Konzept dieser Lebenszyklusprodukte", sagt Matthias Bayer, Leiter der Wertpapierabteilung von Deutschlands größter Direktbank ING Diba. Das zeigen anonyme Daten, die das Verhalten der Depotkunden darstellen. Je älter die Kunden, desto aktiver handeln sie. "Ältere Depotinhaber haben tendenziell mehr Zeit, sind erfahrener und verfügen über mehr liquides Vermögen", sagt Bayer. Diese Erklärung hält auch Podzuweit für plausibel.

Senioren spielen auf dem Finanzmarkt künftig eine größere Rolle

Auch die empirische Finanzmarktforschung hat sich schon häufig mit der Frage beschäftigt, inwieweit sich die Risikoneigung mit steigendem Alter verändert. Die Ergebnisse sind nicht eindeutig. Schon im Jahr 1971 postulierte der Wirtschaftsnobelpreisträger Kenneth Arrow, mit steigendem Vermögen sinke die absolute Risikoaversion - die relative Risikoaversion aber nehme zu: Je wohlhabender ein Sparer, desto geringer ist der Anteil seines Vermögens, den er riskant anzulegen bereit ist. Ob das allgemein gelten kann, ist umstritten. Die Ökonomen Martin Halek und Joseph G. Eisenhauer kamen 2001 zu dem Ergebnis, dass die Risikoneigung mit zunehmendem Alter zwar deutlich steigt - nach dem 65. Lebensjahr aber haben Menschen weniger Lust auf finanzielle Risiken. Eine Studie des Bankenverbands von vor zwei Jahren zeigte ähnliche Ergebnisse: Demnach sind Bankkunden vor dem Rentenalter eher zu hohen Risiken bereit.

Noch ist also vieles ungeklärt, wenngleich Ältere als Bevölkerungsgruppe und damit auch als Anleger wichtiger werden. Die Unterschiede im Anlegerverhalten je nach demografischen Faktoren werden die Finanzmarktökonomik deshalb zunehmend beschäftigen.

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Quelle:
SZ vom 08.08.2016
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