Süddeutsche Zeitung

Mobilitätswende:Wissing droht EU mit Enthaltung beim Verbrenner-Aus

Lesezeit: 3 min

Eigentlich ist das Verbrenner-Aus in der EU so gut wie beschlossen. Doch nun macht der deutsche Verkehrsminister das Fass wieder auf - und stellt Bedingungen an die EU-Kommission.

Von Oliver Klasen

Wäre das hier ein Marathonlauf, dann würde Volker Wissing (FDP) nach fast 42 Kilometern Rennen kurz vor dem Ziel plötzlich umdrehen. Keine Lust mehr, lieber eine Pause am Wegesrand. Es geht hier aber nicht ums Laufen, sondern ums Fahren - und zwar mit Autos, die mit Benzin oder Diesel angetrieben werden.

Nach Meinung vieler Fachleute haben sie keine Zukunft mehr. Auch die Autohersteller haben sich längst darauf eingestellt, künftig nur noch Fahrzeuge mit alternativen Antrieben anzubieten - nach allem, was derzeit absehbar ist, vor allem Elektroautos. Auch auf politischer Ebene ist längst alles klar: Die EU hat sich auf ein Verbot von Verbrennern von 2035 an geeinigt. Nach monatelangen Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und den Mitgliedstaaten stand im Oktober der Kompromiss, mit dem alle Seiten einigermaßen leben konnten.

Ein Gutteil der Marathonstrecke war da geschafft, auch wenn das deutsche Team aus Umweltministerin und Verkehrsminister nicht immer im Gleichschritt lief. Mitte Februar stimmten dann die Abgeordneten in Straßburg final zu, die für März vorgesehene Abstimmung im EU-Ministerrat schien reine Formsache zu sein. Doch nun schert Wissing aus - und stellt die Einigung plötzlich wieder infrage. Er werde dem Verbrenner-Aus nicht zustimmen, wenn die EU-Kommission keine Regelung für synthetische Kraftstoffe, die sogenannten E-Fuels, treffe, verkündete Wissing am Dienstag via Bild-Zeitung.

Die Angelegenheit hat das Potenzial, neuen Krach in der Ampelkoalition auszulösen. Schon lange streiten vor allem FDP und Grüne über das Thema. Die Grünen sehen synthetische Kraftstoffe bestenfalls in der Nische: zu teuer, zu kompliziert in der Herstellung und nicht geeignet, die Mobilitätswende voranzubringen. Die FDP dagegen hat das Thema für sich entdeckt, auch als Vehikel, um das strikte Aus für den Verbrennungsmotor aufzuweichen.

Das Umweltministerium ist irritiert

Der Passus zu den E-Fuels war im Herbst auf Drängen der Liberalen in das EU-Kompromisspapier verhandelt worden. Dort steht, dass die Kommission prüfen möge, ob Verbrennungsmotoren, die ausschließlich mit synthetischem Sprit fahren, von dem Verbot ausgenommen werden können. Damals feierte die FDP das als Verhandlungserfolg, obwohl es der Prüfauftrag nur in die Einleitung des Gesetzes schaffte, er außerdem schwammig formuliert und für die EU-Kommission nicht bindend ist.

Wissing sieht das jedoch anders. Er liest aus dem Text, dass die Prüfung von E-Fuels eine "Bedingung" für die Zustimmung zum Verbrenner-Aus sei. Daher erhöht er nun den Druck auf den zuständigen EU-Kommissar Frans Timmermanns. Dieser müsse endlich einen Vorschlag liefern.

Das von den Grünen geführte Umweltministerium ist darüber irritiert. Deutschland stehe in "internationaler Verantwortung", sich an einmal gefundene Kompromisse zu halten, sagt ein Sprecher. Auch die Fahrzeughersteller bräuchten Planungssicherheit. Die von der EU geplante Neuregelung sei "sinnvoll, notwendig und klug, weil sie ein großer Schritt in Richtung Klimaneutralität der EU ist".

Wissing dagegen betont, ihm gehe es nicht um Blockade. "Wir wollen das Verfahren nicht aufhalten. Wir wollen nur die offene Frage noch geklärt haben", sagt der Minister am Nachmittag. Er könne den "Kampf gegen die E-Fuels" nicht verstehen. "Wir brauchen jede technologische Lösung, um unsere ambitionierten Klimaschutzziele zu erreichen und die Gesellschaft mobil zu halten", sagt der Verkehrsminister. Die synthetischen Kraftstoffe seien unabdingbar, gerade für den Altbestand an Autos, aber auch für Neufahrzeuge. Die FDP hat daher in der Koalition durchgesetzt, dass einige rechtliche Hürden für den Verkauf von synthetischen Kraftstoffen in Deutschland beseitigt werden. Künftig soll es E-Fuels regulär an Tankstellen geben.

Dass Deutschland sich im EU-Ministerrat enthält, weil sich die Koalition nicht einigen kann, kam auch in der Vergangenheit häufiger vor, etwa zur Zeit der großen Koalition unter Angela Merkel. Ob Wissing allerdings genug Mitstreiter hat, um die EU-Pläne in letzter Minute noch zu kippen, ist unklar.

Das Verbrenner-Verbot ist beschlossen, wenn 15 EU-Staaten zustimmen, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Italien und einige osteuropäische Staaten haben ebenfalls Skepsis geäußert, der italienische Außenminister Antonio Tajani hatte vor zwei Wochen einen Kompromissvorschlag ins Gespräch gebracht. Statt wie von der EU geplant den CO₂-Ausstoß von Neuwagen mit Verbrennungsmotoren bis 2035 um 100 Prozent zu reduzieren, könnte man nur 90 Prozent vereinbaren. Das ließe besonders sparsamen Verbrennern oder eben E-Fuel-Autos, die nur einen kleinen CO₂-Fußabdruck haben, eine Lücke.

Denkbar ist aber auch, dass die Abstimmung verschoben wird, um ein weiteres Mal einen Kompromiss zu finden, den Marathon also wirklich zu Ende zu laufen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5760022
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/cku
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.