Großbritannien:Hoffnung nach dem Brexit

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Blick auf Canary Wharf: An der Londoner Themse stehen die Türme der großen Banken. Das Fintech Wise hat seine Büros jedoch ganz woanders: im hippen Viertel Shoreditch.

(Foto: Dan Kitwood/Getty Images)

Seit dem britischen EU-Austritt muss der Finanzplatz London mehr denn je um seine Bedeutung in der Welt kämpfen. Der Börsengang des Fintechs Wise könnte dabei helfen, weitere Unternehmen anzulocken.

Von Alexander Mühlauer, London

In den Nullerjahren arbeitete Kristo Käärmann bei einer Unternehmensberatung in London, tolle Stadt, toller Job, nur eines ging ihm wahnsinnig auf die Nerven: Immer wenn er Geld von seinem britischen Konto in seine Heimat Estland überweisen wollte, musste er ziemlich hohe Gebühren zahlen. Und damit nicht genug: Die Bank setzte einen Wechselkurs an, der mit der Realität nicht viel zu tun hatte. Unter dem Strich verlor Käärmann bei jeder Überweisung vom seinem britischen Pfund-Konto auf sein estnisches Euro-Konto einiges an Geld. Es dauerte nicht lange, da merkte er, dass er nicht allein war mit seinem Frust.

In London kommen ja viele von irgendwo her, um hier ihr Glück zu versuchen. Einer von ihnen ist Taavet Hinrikus, der wie Käärmann aus Estland stammt und sich ebenfalls über das Geschäftsgebaren der Banken ärgerte. Im Jahr 2007 entschieden die beiden, etwas dagegen zu unternehmen, und gründeten drei Jahre später das Fintech Transferwise, das Zahlungen zwischen verschiedenen Währungsräumen kostengünstiger abwickelt als die meisten Banken. Seitdem ist ein Jahrzehnt vergangen, die Firma heißt inzwischen Wise und schreibt nach eigenen Angaben seit 2017 schwarze Zahlen.

Am Mittwoch wagte Wise nun den nächsten Schritt: Das Unternehmen ging in London an die Börse. Ursprünglich wurde in Finanzplatz-Kreisen mit einer Marktkapitalisierung von umgerechnet fünf bis sechs Milliarden Euro gerechnet, doch im Laufe des Tages wurde dann klar: Der tatsächliche Börsenwert lag bei etwa neun Milliarden Euro. Ob es dabei bleibt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Für die London Stock Exchange war der Börsengang von Wise jedenfalls eine Premiere: Das Fintech ist das erste Unternehmen, das es in der britischen Hauptstadt via "Direct Listing" probierte. Bei einer solchen Direktplatzierung werden keine neuen Aktien ausgegeben, sondern in den Handel kommen nur Papiere, die bestehende Aktionäre verkaufen. Wise sammelt dabei kein frisches Geld ein. An der Wall Street ist diese Methode nicht neu, dort wählten bereits die Unternehmen Spotify und Slack diesen Weg.

Wise Pressebilder: Kristo Käärmann, CEO

Kristo Käärmann ist einer der beiden Gründer des Fintechs Wise. Der 40-jährige Este will den etablierten Banken weltweit noch mehr Geschäft abjagen.

(Foto: Jake Farra/oh)

Was in New York zur Routine gehört, ist für London Neuland. Wise ist die erste große Fintech-Notierung dieser Art in Europa. Alasdair Haynes, Vorstandschef der Aktienhandelsplattform Aquis Exchange, spricht von einem "Wendepunkt" für London. "Eine Schwalbe macht zwar noch keinen Sommer, aber innovative Deals dieser Art werden dazu beitragen, Großbritannien als globales Drehkreuz zu etablieren, das mit den USA konkurrieren kann", sagte er der Nachrichtenagentur Bloomberg.

Gerade nach dem gefloppten Börsengang des Lieferservices Deliveroo im Frühjahr braucht der Finanzplatz London gute Nachrichten. Vor allem die britische Regierung ist nach dem Brexit drauf und dran, Investoren anzulocken. Schatzkanzler Rishi Sunak kündigte in der vergangenen Woche an, London zum "fortschrittlichsten und aufregendsten Finanzdienstleistungszentrum der Welt" zu machen. So sollen etwa Zulassungsvorschriften für Börsengänge gelockert werden. Nach dem Brexit muss London mehr denn je um seine Bedeutung als internationaler Finanzplatz kämpfen.

Am Tag vor dem Wise-Börsengang erreicht man Käärmann per Videotelefonat in Tallinn. In der estnischen Hauptstadt arbeiten etwa 1000 der insgesamt 2400 Angestellten bei Wise. 17 Standorte gibt es weltweit, in London sind gut 500 Menschen beschäftigt. Die Büros befinden sich in Shoreditch, einem hippen Viertel im Nordosten der britischen Hauptstadt. Anders als in der City of London oder in Canary Wharf, wo die Türme der großen Banken stehen, laufen die meisten Menschen dort nicht mit Anzug und Aktenkoffer durch die Straßen. Sie tragen eher Jeans, Pulli und Jutetasche.

"Wir haben uns bewusst gegen einen traditionellen Börsengang entschieden."

Kein Wunder also, dass Käärmann beim Zoom-Gespräch im T-Shirt vor der Kamera steht und sagt: "Wir haben uns bewusst gegen einen traditionellen Börsengang entschieden." Und dann erklärt er, was sein Unternehmen ausmacht. Mit Wise sollen Menschen kostengünstig Geld in andere Währungen wechseln können. Das heißt: Wise verspricht keine versteckten Wechselkursaufschläge, schnelle Überweisungen und vor allem Transparenz. Wer über Wise etwa Geld von einem deutschen Konto auf ein britisches Konto transferiert, erfährt vor der Überweisung, wie viel das kostet.

Am Donnerstag veröffentlichte das Fintech noch eine in Auftrag gegebene Studie, die Käärmanns Argumente untermauern soll. Demnach zahlen Menschen weltweit 175 Milliarden Euro pro Jahr an versteckten Gebühren für Fremdwährungstransfers. Ein gutes Geschäft für die Banken. Doch genau das will Wise den etablierten Instituten kaputtmachen, indem es die Dienstleistungen günstiger anbietet. Nach eigenen Angaben hat Wise derzeit zehn Millionen Kunden. Monatlich werden grenzüberschreitende Geldtransfers in Höhe von etwa 5,8 Milliarden Euro abgewickelt. Der Marktanteil von Wise am weltweiten grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr liegt derzeit bei 2,5 Prozent. Für Käärmann bedeutet das: noch viel Luft nach oben.

Neben den Geldtransfers bietet Wise auch ein Multi-Währungs-Konto an, über das Kunden lokale Bankverbindungen in Pfund, Euro, US-Dollar und anderen Währungen erhalten. Wise stellt seine Plattform auch Banken zur Verfügung. In Deutschland nutzt etwa N26 die Dienste von Wise, in Großbritannien hat Monzo die Plattform integriert. Geht es nach Käärmann, sollen weitere folgen.

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