Wirtschaftswissenschaften:Zwei Welten

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Deutschlands Ökonomen-Verein nimmt lieber eine Gegenveranstaltung seiner Kritiker in Kauf, als eine echte Debatte zu führen. Der Dialog scheitert.

Von jan willmroth, Münster

Zwischen den beiden Welten liegt an diesem Abend nur eine schmale Straße. Aus dem Fenster im zweiten Stock fällt der Blick auf das neu errichtete Landesmuseum für Kunst und Kultur in Münster, wo gerade die letzten Gäste mit Sekt empfangen werden. Das Buffet steht bereit, Hunderte Besucher lauschen der Vorsitzenden des Vereins für Socialpolitik (VfS), Monika Schnitzer, die den Abendempfang der Deutschen Bundesbank eröffnet. Während sie dort dem Düsseldorfer Professor Justus Haucap gerade einen Preis für seine Verdienste um die öffentliche Diskussion der Wettbewerbspolitik verleiht, nehmen in einem abgenutzten Seminarraum gegenüber vereinzelt Menschen Platz, die ein Problem haben mit der offiziellen Ökonomen-Jahrestagung.

Sie sind der Einladung des Netzwerks Plurale Ökonomik gefolgt, eines Vereins, dessen gut 200 Mitglieder als Teil einer weltweiten Bewegung die heutige ökonomische Forschung und Lehre für eindimensional und unzureichend halten. "Wir fordern einen Markt der Ideen", trägt Christoph Freydorf vor, einer der Organisatoren der Gegenveranstaltung. Es brauche mehr Vielfalt in Theorien und Methoden, um Phänomene wie etwa die inzwischen sieben Jahre zurückliegende Finanzkrise aus verschiedenen Blickwinkeln zu erklären. "Davon sind wir leider noch weit entfernt, vor allem im deutschsprachigen Raum."

Dort die Ökonomen und ihr Traditionsverein, gegründet 1873, mehr als 3800 Mitglieder; hier die Kritiker der vorherrschenden ökonomischen Paradigmen, deren Verein erst seit drei Jahren seinen Namen trägt. Sie wollten mitmachen, so wie im vergangenen Jahr in Hamburg, als sie eine der vielen Vortrags-Sessions bei der VfS-Tagung abhielten und der Vereinsvorstand sie kritisch beäugte. Ihr Vorbild ist die amerikanische Dachorganisation ASSA. Auf deren Jahrestagung finden alle denkbaren Theorieschulen Platz, von Sozialisten bis zu Marktradikalen. In diesem Jahr ließ der VfS die Unzufriedenen wieder außen vor, veranstaltete selbst eine Session zu den Grenzen seines Fachs - und nahm in Kauf, dass das Netzwerk zur gleichen Zeit provokant für seine Gegenveranstaltung warb.

Auf dieser geht es um die wachsende Ungleichheit, um Währungsordnungen und feministische Forschungsansätze, es wird gesprochen über Schattenbanken, große Konzerne, den Abbau des Sozialstaats und den deregulierten Finanzsektor. Ein bisschen von all dem, was Kapitalismuskritiker bewegt, immer wieder Referenzen zur Arbeit des französischen Ökonomen Thomas Piketty.

Dabei bleibt wenig trennscharf, was noch zur Kritik an Forschung und Lehre in der Ökonomik gehört und was Teil einer politischen Grundsatzdiskussion ist. Immer steht der Vorwurf an den "Mainstream" im Raum, mit seinem Beharren auf der neoklassischen Modellökonomik realwirtschaftlichen Phänomenen nicht hinreichend beizukommen. "Ich habe den Eindruck", sagt ein Vorstandsmitglied des VfS, "dass es da mehr um eine politische Agenda geht als um eine konstruktive Diskussion über Lehrinhalte." Versuche, zuvor miteinander ins Gespräch zu kommen, waren gescheitert.

Im Neonlicht des Seminarraums kommt es am Dienstagabend doch noch zum Austausch: Wie "plural" sollte die Jahrestagung des VfS sein? Müsste der Verein einen Teil seiner Deutungshoheit darüber abgeben, was den wirtschaftswissenschaftlichen Standards genügt? Gustav Horn sitzt da unter anderem auf dem Podium, der über den Zustand seines Fachs besorgte Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomik und Konjunkturforschung. Rüdiger Bachmann, Professor an der University of Notre Dame in den USA und Nachwuchsbeauftragter des VfS, ist privat erschienen, weil ihm die Debatte wichtig ist. "Ich verstehe das nicht: Warum machen Sie nicht von vornherein eine eigene Tagung, wenn die vom Verein so schlimm sind?"

Ein Dialog scheitert schon daran, dass beiden Seiten anscheinend nicht die gleiche Sprache sprechen

Carl Christian von Weizsäcker, ehedem Professor in Köln, als VWL-Studenten in manchen Klausuren noch ausführliche Aufsätze schreiben mussten, erinnert an ein altes Idealbild eines Ökonomen: Ein guter Ökonom müsse auch ein guter Historiker sein und ein guter Philosoph, sagt er. Dass es aber in der modernen Wirtschaftswissenschaft mit ihren vielen Fachbereichen immer schwieriger wird, Studienanfängern innerhalb weniger Jahre einen Zugang zum aktuellen Stand der Forschung zu ebnen, erkennt er an. "Wenn wir den Leuten mehr Ideengeschichte beibringen, müssen wir woanders kürzen", sagt Weizsäcker, "sinnvoll ist diese Debatte nur, wenn wir diskutieren, was wegfallen muss."

Darüber wird bereits viel gesprochen. Auf seiner nächsten Jahrestagung will der VfS-Vorstand auch neue Ansätze in der Lehre erörtern. An den meisten Fakultäten sind etwa Fächer wie Wirtschaftsethik und -geschichte aus den Lehrplänen verschwunden, was nach wie vor vielen missfällt. Auch sonst: Nicht erst seit der Finanzkrise findet in der Wirtschaftswissenschaft ein Umdenken statt. Umfragen zeigen, wie selbstkritisch die Ökonomen heute sind, wie sehr sie grundlegende Annahmen wie modellhaft rational handelnde Individuen anzweifeln und andere Fächer einbeziehen wollen. Selbstkritik reicht den pluralen Ökonomen aber nicht - ihnen geht es um die grundsätzliche Ausrichtung der einflussreichsten Sozialwissenschaft. Ein Dialog auf dieser Ebene wird erst möglich sein, wenn beide Seiten die gleiche Sprache sprechen.

© SZ vom 10.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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