Süddeutsche Zeitung

Sachverständigenrat:Neue Wirtschaftsweise werden Frauen sein

  • Zwei der fünf Posten der sogenannten Wirtschaftsweisen müssen neu vergeben werden.
  • In seinem letzten Jahresgutachten war der Rat ungewöhnlich zerstritten.
  • Der SZ liegt eine Shortlist mit fünf Namen potenzieller Kandidaten vor, alle davon sind Frauen.

Von Cerstin Gammelin, Berlin, und Alexander Hagelüken

Was im November geschah, das bewegt Christoph Schmidt, den Chef der Wirtschaftsweisen: Die fünf ökonomischen Berater waren bei ihrem Jahresgutachten für die Bundesregierung ausnahmsweise sehr uneinig. Während die Mehrheit um Schmidt Konjunkturpakete verdammte und die Schuldenbremse lobte, widersprachen Isabel Schnabel und Achim Truger heftig. "Leider", wie Schmidt bei einem Vortrag in München erklärte: "Als Mehrheit sind wir da nicht so begeistert ". Die spannende Frage ist, ob es mehr Dissens gibt, wenn die Weisen jetzt neu zusammengestellt werden. Dafür gibt es bereits eine Shortlist mit fünf Namen, wie die Süddeutsche Zeitung erfuhr.

Es geht dabei um mehr als eine Fachsimpelei unter Volkswirten. Die fünf Berater stritten 2019 über das, worüber sich auch die Bundesregierung fetzt: Die SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans möchten mehr Geld ausgeben und die Schuldenbremse lockern - was die Union fundamental ablehnt. Lange konnte die Union darauf bauen, dass eine überwältigende marktliberale Mehrheit der Weisen sie dabei unterstützt. Über Jahre waren die Gutachten eindeutig, mit höchstens einem linken Abweichler. Im November 2019 aber gab es mehrfach die Konstellation 3:2. Sehr knapp, sehr meinungsoffen. Und wie geht es 2020 weiter? Wie stellen sich die Sachverständigen zu umstrittenen Themen wie Mindestlohn, Industriepolitik oder Euro-Stabilität?

Die Frage stellt sich gerade verschärft, weil es künftig mindestens zwei neue Gesichter bei den Weisen gibt. Isabel Schnabel, die einzige Frau, ist zur EZB gewechselt. Und Christoph Schmidt scheidet nach zwei Amtszeiten aus (obwohl er wohl weitergemacht hätte, wenn ihn die Regierung gefragt hätte). Kommen sollen nun zwei Frauen. "Dazu verpflichtet uns das Gesetz zur Besetzung von Bundesgremien", heißt es in Regierungskreisen. Je nachdem, wer kommt, verändert sich die politische Richtung des Gremiums.

Das eher marktliberale Weisen-Lager favorisiert Kandidatinnen wie die Innovationsexpertin Monika Schnitzer oder die Sozial- und Arbeitsmarktforscherinnen Regina Riphahn und Christina Gathmann. Ein Argument: Nach Schmidts Ausscheiden müsse es jemand sein, der sich ebenfalls mit Arbeitsmärkten beschäftige. Ein ausgewiesene Klimaexpertin wie Claudia Kemfert? Lieber nicht! Kemfert würde eher zum linksliberalen Weisen-Lager passen, ebenso wie die Arbeitsmarktökonomin Dalia Marin.

Entscheiden werden aber nicht die Sachverständigen selbst, sondern die Koalition aus Union und SPD. Die hat nun eine Shortlist für die engere Wahl. Auf der stehen Schnitzer, Riphahn, Gathmann, Marin - und die Arbeitsmarktforscherin Uta Schönberg vom University College London. Nicola Fuchs-Schündeln, zuvor ebenso gehandelt, soll dagegen abgewunken haben.

"Frauen sind schwerer rechts oder links einzuordnen, es spielt bei ihnen oft keine große Rolle"

Nach dem Dissens im Gutachten 2019 könnte man denken, dass Union und SPD besonders erbittert ringen, welche Kandidatin sie durchsetzen. Schließlich würde die SPD von einer meinungsoffenen 3:2-Konstellation profitieren - und die Union von der Rückkehr zur marktliberalen Eindeutigkeit früherer Jahre. Doch wie zu hören ist, tun sich Union und SPD beziehungsweise Kanzleramt, Wirtschafts- und Finanzministerium leichter als sonst. Und das liegt daran, dass die Kandidatinnen anders als oft männliche Ökonomen gar nicht so einfach auf eine marktliberale oder linksliberale Richtung festzulegen sind. "Frauen sind schwerer rechts oder links einzuordnen, es spielt bei ihnen oft keine große Rolle", heißt es in Verhandlungskreisen.

Wer die Forschung der fünf Kandidatinnen auf der Shortlist studiert, findet dafür reichlich Belege. Auffällig ist, dass viele Ökonominnen länger in den USA oder Großbritannien waren. Dort wird stärker empirisch geforscht, was politisch neutral ist. Und so etwas wie der Ordoliberalismus der Freiburger Schule spielt da keine Rolle. Das heißt auch: Wenn die neuen weiblichen Wirtschaftsweisen politisch nicht so festgelegt sind, könnte das Gremium ohnehin meinungsoffener werden - je nach Thema. Mit der früheren Eindeutigkeit ist es womöglich dauerhaft vorbei.

Interessant wird, wer Christoph Schmidt als Weisen-Chef nachfolgt. Der offensichtliche Kandidat wäre Lars Feld: Der Freiburger Professor ist anders als die beiden neuen Ökonominnen schon lange im Gremium. Und er wurde von der Bundesregierung nominiert, nicht wie Volker Wieland von den Arbeitgebern oder Achim Truger von den Gewerkschaften. Allerdings hat Feld nächstes Jahr seine zweite fünfjährige Amtszeit voll, so wie Schmidt dieses Jahr. Deshalb ist es möglich, dass die Regierung in den aktuellen Gesprächen gleich noch über seine Nachfolge mitentscheidet. Und Feld nicht der neue Weisenvorsitzende wird.

Insbesondere die SPD hält sich so ein Paket aus drei neuen Weisen offen. Den Sozialdemokraten böte das die Chance, zusätzlich einen männlichen Kandidaten vorzuschlagen: Jens Südekum etwa, Tom Krebs oder Marcel Fratzscher. Dann wäre das Weisengremium endgültig weniger marktliberal - und meinungsoffen wie noch nie.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2020/mxh
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