Süddeutsche Zeitung

Sachverständigenrat:Die Weisen werden weiblich

Mit der Berufung von Ulrike Malmendier aus Berkeley sind Frauen nun bei den wichtigsten ökonomischen Beratern der Bundesregierung in der Mehrheit.

Von Nikolaus Piper

Es war ein großer Schritt damals, vor 18 Jahren. Im August 2004 berief die rot-grüne Bundesregierung die Schweizerin Beatrice Weder di Mauro in den ehrwürdigen Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage (SVR). Die Professorin war nicht nur die erste Frau im Rat der "fünf Weisen", sondern auch die erste Ausländerin und die erste Spezialistin für Finanzmärkte. An diesem Mittwoch wird nun ein weiterer großer Schritt der Veränderung folgen. Wie das Handelsblatt vorab berichtete, sollen dann Ulrike Malmendier von der US-Universität Berkeley und Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum in den SVR berufen werden. Zusammen mit Monika Schnitzer (München) und Veronika Grimm (Erlangen-Nürnberg) wird es durch Malmendier erstmals eine weibliche Mehrheit in dem Gremium geben.

Mit der Entscheidung geht eine Phase der Unsicherheit im Rat zu Ende. Die fünf Weisen waren zuletzt nur noch zu dritt gewesen. Der bisherige Vorsitzende Lars Feld von der Universität Freiburg war vor über einem Jahr ausgeschieden, die alte Bundesregierung hatte sich weder auf einen Nachfolger noch auf die Verlängerung seiner Amtszeit einigen können. Jetzt wird Malmendier Felds Nachfolgerin. Volker Wieland, bei dessen Stelle seit jeher die Arbeitgeber mitreden, war Ende April vorzeitig ausgeschieden. Ihm wird nun Martin Werding folgen, der sich auf Fragen der Sozial- und Haushaltspolitik spezialisiert hat.

Die Entscheidung für Malmendier ist auch unter den Aspekt der Geografie bemerkenswert: Die Ökonomin hat zwar einen deutschen Pass, ihr Schreibtisch aber steht Tausende Kilometer westlich von Wiesbaden, dem Sitz des Statistischen Bundesamtes, wo auch der SVR seine Geschäftsstelle hat. Wenn in Deutschland um neun Uhr morgens die Büroarbeit beginnt, ist es in Kalifornien Mitternacht. Das bedeutet: Die Wirtschaftsweisen werden ihre Zusammenarbeit neu, besser und digitaler organisieren müssen. Malmendiers künftige Kollegin Schnitzer sieht das aber gelassen: "Wir haben schon in der Pandemie gelernt, hybrid zu arbeiten. Diese Erfahrungen können wir jetzt nutzen." Außerdem könne man die Sitzungen konzentrieren, um den Reiseaufwand zu begrenzen.

Schwerpunkt Verhaltensökonomie

Ulrike Malmendier sei eine "herausragende Forscherin und eine sehr gute Wahl für den Rat", lobt Schnitzer. Ihr Spezialgebiet ist die Verhaltensökonomie, ein Zweig der Wirtschaftswissenschaften, der Erkenntnisse der Psychologie und empirische Tests zur Hilfe nimmt, um ökonomisches Verhalten zu erklären. Malmendier befasst sich dabei mit Fragen der Finanztheorie, der Unternehmensfinanzierung, der Vertragstheorie und auch der Inflation. Ende Juni zum Beispiel legte sie bei einem Symposium der Europäischen Zentralbank dar, wie sich Inflationserwartungen bei den Menschen bilden, je nachdem wie deren eigene Erfahrungen mit Inflation aussehen.

Die Forscherin, 1973 in Köln geboren, studierte zunächst in Bonn Jura und VWL, dann in Harvard Business Economics. In den Vereinigten Staaten wurde sie schnell als Star in der Zunft wahrgenommen, 2013 zeichnete sie die American Finance Association mit dem Fischer Black Prize für Ökonomen unter 40 Jahren aus, als erste Frau überhaupt. Heute lehrt sie an der Universität von Kalifornien in Berkeley bei San Francisco, außerdem arbeitet sie unter anderem am National Bureau of Economic Research (NBER), einer staatlichen Forschungseinrichtung in den USA, und beim Institute on Behaviour and Inequality in Bonn, das sich mit den Ursachen von Ungleichheit befasst.

Kinder und Karriere? In den USA einfacher

Mit ihrem Mann, dem italienischen Ökonomen Stefano Della Vigna, hat Malmendier drei Kinder. Vor diesem Hintergrund widmete sie sich 2013 in einem der Interview der Welt am Sonntag dem Thema "Kindererziehung und Beruf". Sie schilderte, wie viel einfacher es für Frauen in den USA sei, Mutterschaft und beruflichen Erfolg miteinander zu verbinden. Das habe auch mit Mentalitätsunterschieden zu tun: "Die unterschwellige Einstellung vieler Leute, dass Frauen wie ich Rabenmütter sind - die ist in Deutschland deutlich verbreiteter als in Amerika."

Zum ersten Mal wir der neue Sachverständigenrat mit Malmendier Anfang September in Wiesbaden tagen. Dabei bestimmen die Räte auch den Vorsitz neu. Sehr wahrscheinlich wird die Wahl dann auf Monika Schnitzer oder auf Veronika Grimm fallen, was die Rolle der Frauen im SVR noch weiter stärken würde. Das neue Jahresgutachten wird dann, wie in früheren Jahren, Mitte November vorliegen.

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