Süddeutsche Zeitung

Konjunktur:Von der Wirklichkeit überholt

  • Die Wirtschaftsweisen rechnen zwar mit einem geringeren Wirtschaftswachstum, eine Rezession erwarten sie jedoch nicht.
  • Bis 2020 soll die Arbeitslosenquote auf nur noch 4,6 Prozent sinken - trotz einer ganzen "Konstellation von Problemen".

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Vorläufig - das ist das entscheidende Wort in der Konjunkturprognose, die der Sachverständigenrat am Dienstag vorgelegt hat. "Vorläufig" sei etwa die Hochkonjunktur "zu einem Ende gekommen": Statt ursprünglich 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum erwarten die fünf Ökonomen nun für dieses Jahr nur noch 0,8 Prozent. Damit haben sich die Aussichten für die deutsche Wirtschaft fast halbiert - vorläufig.

Denn eine handfeste Rezession erwartet der Fünferrat nicht. Dafür sei die Binnenkonjunktur zu robust, also etwa die inländische Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Deshalb dürfte die Eintrübung auch am Arbeitsmarkt spurlos vorübergehen: Für 2020 erwarten die Wirtschaftsforscher eine Arbeitslosenquote von nur noch 4,6 Prozent. "Die Dynamik ist unbeeindruckt von der wirtschaftlichen Abschwächung", sagt Christoph Schmidt, der Vorsitzende des Sachverständigenrats. Auch ein Konjunkturprogramm sei nicht angezeigt: Im kommenden Jahr könne die Wirtschaft wieder um 1,7 Prozent wachsen. Das klingt zwar nach mehr, als es ist, weil das Jahr überdurchschnittlich viele Arbeitstage hat. 2020 ist ein Schaltjahr, in dem der 3. Oktober auf einen Samstag und Allerheiligen auf einen Sonntag fällt - doch auch bereinigt um diesen Effekt bleiben 1,3 Prozent Wachstum. Jedenfalls vorläufig.

Eine ganze "Konstellation von Problemen"

Schon das alte Jahr hat gelehrt, wie leicht eine Prognose von der Wirklichkeit überholt werden kann. In Deutschland etwa drückte die Lage der Autoindustrie auf die Statistik. Nicht etwa, weil sich die Autos schlecht verkauften, sondern weil die Firmen mit dem neuen Abgasstandard WLTP kämpften. Das verzögerte die Auslieferung - und wirkt bis in dieses Jahr hinein. Auch der dürre Sommer und mit ihm das Niedrigwasser im Rhein hinterließ Spuren in der Konjunktur. Eine ganze "Konstellation von Problemen" habe sich da aufgetan, sagt Schmidt - und das bei einer "nachlassenden Grunddynamik". Die wiederum trifft alle großen Industrienationen gleichermaßen, auch Chinas Wachstum lässt nach.

Ob es in diesem Jahr nun besser oder schlechter weitergeht, hängt vor allem von äußeren Faktoren ab. So gebe es durchaus auch Chancen, etwa wenn sich die Handelskonflikte Chinas und Europas mit den USA rasch lösen ließen. Oder aber Risiken, sollten sie weiter eskalieren. Auch das vorläufig ungelöste Brexit-Rätsel birgt vorläufige Gefahren, das allerdings noch mehr für Großbritannien selbst als für den Rest Europas.

Unsicherheit hin oder her, die Prognose bestätigt, was schon Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vor Wochen geunkt hatte: Die fetten Jahre sind vorbei. Für dieses und das nächste Jahr erwarten die Sachverständigen geringere Überschüsse bei den staatlichen Finanzen - und das, Zufall oder nicht, just einen Tag, bevor Scholz die Eckpunkte seines Haushalts für 2019 ins Kabinett einbringt.

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