Süddeutsche Zeitung

Abgaben:Neuer Wirtschaftsweiser Truger fordert höhere Spitzensteuer

Kaum gewählt, schlägt Achim Truger von seinen Kollegen Kritik entgegen. Das scheint ihn nicht zu kümmern: In vielen Punkten nimmt er jetzt Gegenpositionen ein.

Von Alexander Hagelüken

Der neue Wirtschaftsweise Achim Truger war gerade nominiert, da schlug ihm schon herbe Kritik entgegen. Und zwar ausgerechnet von seinen neuen Kollegen im Sachverständigenrat der Bundesregierung, Isabel Schnabel und Lars Feld. Die zweifelten direkt seine wissenschaftliche Qualifikation an. Beim Treffen in einem Berliner Cafe versucht Truger, auf den Streit humorvoll zu reagieren. "Meine Schwiegermutter sagt immer: Nicht ärgern, nur wundern!" Man solle ihn an seinen Taten als Sachverständiger messen.

An seiner Qualifikation will der Ökonom aber keine Zweifel erlauben: "Ich habe eine Publikationsliste von 30 Seiten, Parlamente beraten und 20 Jahre lang Konjunkturprognosen gemacht. Das reicht."

Trugers Vorgänger Peter Bofinger, der ebenfalls von den Gewerkschaften nominiert worden war, hatte den anderen eher ordoliberalen Wirtschaftsweisen häufig widersprochen. Im Interview nimmt Truger ebenfalls Gegenpositionen ein, die seinen Kollegen kaum gefallen dürften. "Der Spitzensteuersatz kann um ein paar Prozentpunkte steigen, ohne dass es ökonomisch Probleme bereitet", sagte Truger der Süddeutschen Zeitung. "Das Steuersystem ist ungerecht. Die oberen 30 Prozent zahlen heute weniger als vor 20 Jahren, die unteren 70 Prozent mehr."

Der Sachverständigenrat hat am Dienstag seiner Konjunkturprognose für dieses Jahr halbiert - auf nur noch 0,8 Prozent. Truger fordert höhere staatliche Investitionen, um einen drohenden Abschwung zu verhindern. Dafür will er die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verändern. "Ich würde Investitionen von der Schuldenbremse ausnehmen. Sie ist ohnehin zweifelhaft." Es gebe keine Begründung für ein Defizit in dieser Höhe. "Wir müssen einen Sparkurs vermeiden, falls die Konjunktur abstürzt, sonst geht es richtig schief." Der Staat müsse mehr für Straßen und Schulen ausgeben, es fehle an Wohnungen.

Truger setzt sich für mehr Flexbilität beim Stabilitätspakt ein, der sich heute nur zum Preis sozialer Verwerfungen einhalten lasse. "Man sollte Investitionen nicht aufs Defizit anrechnen und nicht auf Gesamtschulden von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung beharren. Es reicht, das aktuelle Niveau zu halten." Es dürfe zwar keinen Freibrief für die Euroländer geben, zu tun, was sie wollten. "Aber alles so weiterlaufen zu lassen, bedroht Europa im Kern."

Truger begrüßt das neue Sozialstaatskonzept der SPD. "Ich führe den Absturz der SPD stark auf die Agenda 2010 zurück. Viele verloren das Vertrauen, dass sie sich für kleine Leute einsetzt." Das neue Konzept scheine anzukommen. "Ich finde es auch ökonomisch richtig. Längeres Arbeitslosengeld verbunden mit Qualifizierung schützt vor Risiken." Wer schnell auf Hartz IV falle, nehme in der Not Jobs an, für die er überqualifiziert sei.

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