Menschen in westlichen Industrienationen verbrauchen zu viel. Zu viel Gas und Öl, Lebensmittel, Wasser. Wissenschaftliche Studien zeigen hinlänglich, dass sie über ihren Verhältnissen leben. Der sogenannte Earth Overshoot Day rückt immer näher an die Jahresmitte heran. An dem sind rechnerisch alle Ressourcen der Erde verbraucht, die in einem Jahr nachproduziert werden können. Dieser Erdüberlastungstag ist kaum eine Woche vorbei, da veröffentlichen die Einzelhändler eine Schreckensnachricht. Der Handelsverband diagnostiziert ein "Allzeittief" in der Kauflaune der Deutschen. Die Umsätze der Einzelhändler sanken im Juni um neun Prozent.
Tatsächlich kommt es einem vor, als würden viele Deutsche seit Beginn des Kriegs in der Ukraine jeden Euro umdrehen. So hart es klingt: Das ist gut so! Es führt zu einem gemäßigten Konsumverhalten, das der Planet dringend braucht. Es veranlasst Haushalte, ihren Energie- und Rohstoffverbrauch zu drosseln, um die Klimakrise einzudämmen, so gut es noch geht.
Abseits aufgeladener Verzichts- und Verbotsdebatten geht es jetzt darum, insgesamt weniger zu kaufen, dabei gerne mehr Gebrauchtes, und das Auto öfter stehen zu lassen. Aber eine bewusste Abkehr vom Wachstumskurs ist nicht ohne wirtschaftspolitischen Umbau möglich. Damit sind keine Sozialismusfantasien gemeint. Sondern vielmehr ein ökologisch nachhaltiges System für die Zukunft, das den Namen soziale Marktwirtschaft wirklich verdient. Wie es die Politökonomin Maja Göpel und der Postwachstumsforscher Niko Paech schon länger fordern, müssen Unternehmen künftig in allen Bereichen substanziell an den sozialen und ökologischen Folgekosten ihrer Produktion beteiligt werden.
Der Staat muss Härten für Betroffene auffangen
Diese Kosten werden sie an ihre Kunden weitergeben, die Preise werden steigen. Das halten viele in Zeiten von 7,5 Prozent Inflation für Irrsinn. Aber es braucht eine langfristige Lenkungswirkung des Staates, doch deren kurzfristige Auswirkungen auf Arbeitslose, Geringverdiener und Rentner muss er durch Rückzahlungen auffangen. Damit es künftig denjenigen wehtut, die ihren Konsum bisher nicht überdenken mussten, die unnötige Strecken Verbrenner fahren, ressourcenintensiv bauen und Berge voller Wegwerfkleidung besitzen.
Der Mainstream in Mittelstand, Einzelhandel und Industrie schwingt gegen diese Argumentation eine zeitlose Keule: die Drohung, dass massenhaft Arbeitsplätze verloren gehen, wenn das Wachstum einbricht. Und es stimmt: Wenn es teurer wird, Produkte herzustellen, die viel CO₂ produzieren und schwierig zu entsorgen sind, steigt der Preis. Damit werden sie weniger gekauft. Wer sie produziert oder verkauft, verliert womöglich seinen Arbeitsplatz. Aber diese Menschen werden dafür an anderer Stelle dringend gebraucht: als Handwerker, Informatikerinnen, Pfleger und Erzieherinnen - um nur einige der Branchen mit akutem Personalmangel zu nennen. Zusätzlich braucht es geförderte Weiterbildungsprogramme für Erwachsene, nicht nur für Menschen, die schon länger arbeitslos sind. Im 21. Jahrhundert muss es möglich sein, vom Fahrzeugbauer zum Batterietechniker umzuschulen.
Neben der Arbeitsplatz-Drohung warnen jene, die am meisten von einem liberaleren Wirtschaftssystem profitieren, gerne mit den knappen finanziellen Spielräumen vieler Haushalte. Menschen mit 1500 Euro netto im Monat könnten sich keine nachhaltig produzierte Kleidung oder Eier glücklicher Hühner leisten. Und es ist richtig, dass viele Geringverdiener schon die Inflation kaum verkraften. Aber genau diese Menschen, die mit strikter Einkaufsliste in den Supermarkt gehen und sich nur einmal pro Woche einen Kaffee auf der Straße gönnen, haben weitere Entlastung längst verdient. Warum? Weil sie qua ihres bescheidenen Lebensstils in den letzten fünfzig Jahren am wenigsten Anteil am CO₂-Verbrauch und an der Erderwärmung hatten. Sie fuhren Fahrrad und U-Bahn, bevor ein konsumkritischer Lebensstil hip wurde, und kauften Möbel von Ebay-Kleinanzeigen. Sie konnten es sich auch früher nicht leisten, Lebensmittel wegzuwerfen. Und sie haben weniger Kleidungstücke im Schrank.
Es ist nur fair, diese Geringverbraucher per Rückzahlungen, wie einem Energiegeld oder einer Klima-Dividende zu entlasten. Sie mussten immer sparsam leben. Zeit, den umweltschädlichen Lebensstil vieler Gutverdienern schmerzhafter zu machen.