Wirtschaftswachstum:Der Aufschwung kommt noch

Wirtschaftswachstum: Illustration: Bernd Schifferdecker

Illustration: Bernd Schifferdecker

Die Erholung nach Corona lässt auf sich warten. Das ist noch nicht besorgniserregend. Aber klar ist: Die nächste Bundesregierung erntet einen fragilen Aufschwung. Sie muss vor allem mit viel Schwung starten.

Von Marc Beise

Die neueste Konjunkturprognose kann Kenner nicht wirklich erstaunen, und doch setzt das Ifo-Institut sozusagen das Ausrufezeichen hinter eine Entwicklung, die schon seit Wochen zu beobachten ist. Klar ist: Die ursprünglich für den Sommer angekündigte kräftige Erholung der deutschen Volkswirtschaft nach der Corona-Pandemie verschiebt sich weiter. Die Münchner Forscher erwarten für dieses Jahr nur noch ein Wachstum der Wirtschaftsleistung um 2,5 Prozent. Das sind 0,8 Prozentpunkte weniger als vor der Sommerpause vorhergesagt, da waren es noch 3,3 Prozent gewesen, und im März sogar 3,7 Prozent. Auch andere Forschungsinstitute haben ihre Daten angepasst, die wichtige gemeinsame Herbstprognose kommt Mitte Oktober.

Die Rücknahme der Erwartungen ist nicht gut, denn die deutsche Wirtschaft ist noch in der Erholungsphase. 2020 war die Wirtschaftsleistung Deutschlands um 4,9 Prozent zum Vorjahr eingebrochen, und das hat Auswirkungen auf Jobs, Einkommen, geschäftliche Perspektiven - und wegen der entgangenen Steuereinnahmen übrigens auch auf die Gestaltungsmöglichkeiten des Staates. Je schneller und kräftiger es aufwärtsgeht, desto besser.

Drei gute Nachrichten

Trotzdem gibt es auch einige gute Nachrichten. Die erste ist, dass die Umstände für die Verzögerung erkennbar und reparierbar sind. Die Produktion der Industrie schrumpft in Folge von Lieferengpässen bei wichtigen Vorprodukten. So fehlen aus unterschiedlichen Gründen weltweit zwingend notwendige Chips, das trifft besonders die Autoindustrie. Veränderte Warenströme stellten die globalen Lieferketten vor enorme Herausforderungen, da muss einiges neu sortiert werden.

Wenn sich das aber eingespielt hat, dann kann es 2022 wirklich mit Macht aufwärtsgehen, die Auftragsbücher der deutschen Unternehmen sind ja vielfach voll und können dann abgearbeitet werden. Entsprechend rechnen die meisten Beobachter mit einer kräftigen Erholung der Industrie um vielleicht sogar fünf Prozent - der deutsche Konjunkturmotor liefe dann wieder auf Vorkrisenniveau. So erwartete es beispielsweise Monika Schnitzer, Mitglied des Sachverständigenrats, soeben beim Plan-W-Kongress der Süddeutschen Zeitung in Berlin. Die vier Weisen legen im November ihr von Experten sehnlich erwartetes Jahresgutachten vor.

Die zweite gute Nachricht betrifft den privaten Konsum, er ist kräftig angelaufen und setzt damit einen schönen Kontrapunkt zur lahmenden Industrieproduktion. Die Chefvolkswirte der privaten Banken sagen für das kommende Jahr sogar einen Konsumboom von plus sieben Prozent beim privaten Verbrauch voraus, das wäre der mit Abstand stärkste Anstieg seit der Wiedervereinigung. Das Zwangssparen durch Corona scheint vorbei zu sein. Das setzt freilich voraus, dass es bei Corona keinen dramatischen Rückschlag gibt, der die Konsummöglichkeiten erneut beschränken würde.

Und dann steht zwischen der aktuell labilen Situation und einem möglichen neuerlichen Boom ja noch die Bundestagswahl, die grundsätzlich immer das Potenzial hat, die Entwicklung zu stören. Aber hier kommt die dritte gute Nachricht. Zwar geben sich verschiedene Parteien Mühe, die Wähler davon zu überzeugen, dass sie eine Richtungsentscheidung zu treffen haben, aber sehr glaubhaft ist das nicht. Ob am Ende SPD-Mann Olaf Scholz die Nase vorne hat oder doch noch Unionskandidat Armin Laschet, ist für die weitere Konjunkturentwicklung womöglich gar nicht so wichtig.

Alle Parteien haben erkannt, dass in Umwelttechnologie investiert und der Digitalisierungsstau aufgelöst werden muss, um nur zwei besonders wichtige Politikfelder zu nennen. Parteipolitisch gewendet ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Grünen an einer neuen Regierung so oder so beteiligt sein werden, die für die Unternehmen schon lange kein Schreckgespenst mehr sind, und auch die FDP macht sich Hoffnung mitzuregieren.

Auch wenn natürlich über das konkrete Regierungsprogramm zu streiten und zu richten sein wird, die für die Konjunktur wichtigste Frage ist, ob die neue Regierung den im Wahlkampf allseits angekündigten kraftvollen Aufbruch hinbekommt. Quälend lange Koalitionsverhandlungen und ein Pakt auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner wären das Schlimmste, was das Land jetzt gerade zu befürchten hat.

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