Wirtschaftsspionage:Leichte Beute auf dem Land

Nicht der Global Player, sondern die kleine Elektronikfirma auf dem Land muss sich vor Wirtschaftsspionage besonders fürchten. Weil die sich aber selbst für zu unwichtig hält, haben Spione leichtes Spiel.

Annette Ramelsberger

Die Gefahr lauert dort, wo sie keiner vermutet. Nicht in großen Rüstungskonzernen, wo neue Raketen- und Waffensysteme entwickelt werden. "Die Gefahr dort geht gegen Null", sagt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm. "Denn diese Firmen wissen um ihre Bedrohung und schützen sich entsprechend." Die Gefahr kommt auf leisen Sohlen und schleicht sich ein in der kleinen Elektronikfirma auf dem Land, die ein neues Detail bei der Antriebstechnik entwickelt hat und nun Weltmarktführer in dieser Technik ist. Hier denkt niemand daran, dass man deswegen im Visier internationaler Geheimdienste stehen könnte. "Viele dieser kleinen Firman halten sich für zu unwichtig, als dass jemand bei ihnen etwas auskundschaften könnte", sagt Fromm. "Genau das macht sie zum leichten Opfer."

Der Verfassungsschutz warnt deswegen vor allem kleine und mittlere Firmen davor, sich blauäugig abschöpfen zu lassen. Und vergangene Woche schrieb auch der britische Geheimdienst MI5 über 300 britische Unternehmen an, von Rolls Royce bis Shell, sie sollten sensibler sein, was den Abfluss von Knowhow betrifft.

Vor allem russische und chinesische Geheimdienste betreiben aggressive Wirtschafstspionage. "Das ist für einige Länder ein legitimes Instrument der staatlichen Existenzvorsorge", sagt Herbert Kurek vom Verfassungsschutz in Köln. Die Behörde hat am Montag eigens eine Tagung zur Bedrohung der Wirtschaft veranstaltet. Allein der chinesische Geheimdienst beschäftige rund 800.000 Mitarbeiter und sei damit der größte Geheimdienst der Welt.

Saubere Arbeit

Im Blickpunkt der Dienste stehe mal der Entwicklungschef, mal die Chefdesignerin. So komme man an die "Kronjuwelen" der Firmen heran, ihre geheimen Entwicklungsdaten. Oft erleben Mittelständler eine Chuzpe, die sie nicht für möglich halten. So wurden in eine Chemiefabrik asiatische Putzkräfte eingeschleust, die sich später als promovierte Chemikerinnen entpuppten. Sie machten saubere Arbeit, nur anders als gedacht.

"Wir erleben auch, dass in kleinen, aufstrebenden Unternehmen Einbrüche erfolgen, bei denen nichts wegkommt. Höchstens ein Laptop", berichtet Polizeihauptkommissar Ingo Kempmann vom niedesächsischen Verfassungsschutz. "Vielleicht ist wirklich nichts weggekommen, aber es ist etwas gebracht worden. Und das ist gefährlicher." Zum Beispiel ein kleines Steckgerät, das jeden Tastendruck auf dem Computer weiterleitet - zum Nutzen der Konkurrenz.

"Doch die Unternehmen nehmen die Gefahr nicht ernst", sagt Verfassungsschutzchef Fromm. "Die wissen nicht, wie Nachrichtendienste vorgehen." Wirtschaft und Staat müssten eine gemeinsame Abwehrstrategie entwickeln. Die Professoren Wilma Merkel und Egbert Kahle von der Universität Lüneburg haben 431 Unternehmen befragt, wie ernst sie die Bedrohung durch Wirtschaftsspionage einschätzen. 47,1 Prozent hielt Sicherheitsvorkehrungen für unnötig. Manche Firmen hätten nicht einmal einen Pförtner, bei einigen lägen vertrauliche Unterlagen offen im Chefbüro herum, berichtete Kahle.

Nur ganz selten geben Unternehmen zu, dass sie ausspioniert wurden. Einer der wenigen Ehrlichen ist der Hannoveraner Pipeline-Bauer Vietz. Geschäftsführer Eginhard Vietz hatte sich auf ein Joint Venture mit chinesischen Geschäftsfreunden eingelassen. Erst lief alles gut, dann entdeckte er auf einer Messe seine Maschinen, detailgetreu, nur anders lackiert - und vom Konkurrenten. Vietz fühlte sich ausgeplündert. Mittlerweile liefert der ehemalige Partner seine Maschinen zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt.

China hat die Wirtschaftsspionage perfektioniert. Gesetze verpflichten ausländische Firmen, ihre Entwicklungen bei Design-Instituten oder bei Zertifizierungsstellen offenzulegen. Vielen Chefs ist das egal. Hauptsache, der chinesische Markt wird erschlossen. "Das bringt ihnen kurzfristig gute Geschäftszahlen", sagt ein Geheimdienstler. Wenn die Chinesen dann das Knowhow haben und die deutsche Firma in Schwierigkeiten steckt, sind die dafür verantwortlichen Manager oft längst bei einem anderen Unternehmen.

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