Wirtschaftspolitik:Warum wir einander wieder mehr vertrauen müssen

Fensterputzer

Fensterputzer an der Fassade des Radisson Blue Hotel in Hamburg

(Foto: picture alliance / dpa)

Immer mehr Menschen haben Angst vor der Zukunft, und das nicht aufgrund von Fakten. Vielmehr misstrauen sie Managern, Unternehmen und auch dem Staat - ein gefährlicher Missstand.

Kommentar von Marc Beise

Es läuft nicht schlecht in der Weltwirtschaft. Der internationale Handel funktioniert, die weltweite Arbeitsteilung schafft Wohlstand. Exportnationen wie Deutschland verdienen weiter gut auf den ausländischen Märkten, Schwellenländer schieben sich zum Wohle ihrer Bevölkerung nach vorne, und selbst die Krisenstaaten des europäischen Südens haben vorsichtig Tritt gefasst. Der europäische Binnenmarkt funktioniert, und wenn die Briten die Union partout verlassen wollen, dann wird das - so sieht es aus - eher ein Problem für sie als für den Kontinent.

Das darf auch einmal gesagt werden, denn die täglichen Schlagzeilen sprechen eine andere Sprache. Sie berichten über Protektionismus und Populismus rund um den Globus, den Abschied der USA aus der Weltführungsrolle, ein chinesisches Zeitalter, das wirtschaftliche und kulturelle Auseinanderbrechen Europas, die Zerstörung der Umwelt, den Triumph der Ungleichheit und eine fundamentale Bedrohung der Gesellschaften durch die Digitalisierung. Was stimmt?

Natürlich beides. Der erste Absatz betrifft die Welt, wie sie ist. Der zweite die Welt, wie sie werden könnte. Und immer mehr Menschen haben Angst vor dieser Zukunft. Interessanterweise grassiert diese Angst auch - oder vielleicht gerade - in wohlhabenden Gesellschaften. In Deutschland beispielsweise ist die allgemeine Stimmung wesentlich schlechter als die Lage, und Angst haben auch die, denen es gut geht - noch gut geht, würden sie wohl selbst sagen. Was tun?

Der erste Ansatz der Lösung des Problems ist es, die Gründe für die wachsende Angst zu erkennen. Dabei fällt auf, dass zu wenig Fakten, aber umso mehr Vermutungen im Spiel sind. Die Ungleichheit in Deutschland wächst, aber das Bild ist differenziert. Es gibt mehr Protektionismus, aber noch keinen wirklichen Paradigmenwechsel. Populistische Parteien sind fast überall in den Parlamenten, aber meist nicht an der Macht. Wenn also die böse neue Welt nicht wirklich durch Fakten belegt werden kann, muss die allgemeine Angst und Sorge einen anderen Grund haben: mangelndes Vertrauen. Mangelndes Vertrauen darauf, die Zukunft in den Griff zu bekommen.

Der Gründergeist ist in Deutschland unterentwickelt

Man könnte den Brexit ja auch als Chance verstehen, die Europäische Union neu zu justieren. Man könnt die Debatte um Ungleichheit nutzen zur Diskussion über grundsätzliche Reformen des Steuer- und Abgabensystems. Und ist nicht auch die Digitalisierung zunächst mal eine Chance: Wenn es gelingt, ein Miteinander von Roboter und Menschen zu organisieren, kann das die Wirtschaft produktiver und das Arbeiten besser machen. Damit aber nicht Angst und Alarmismus vorherrschen, sondern optimistischer Gestaltungswille Raum greifen kann, müssen die Menschen sich und dem Staat (wieder) mehr zutrauen.

Der Gründergeist ist in Deutschland unterentwickelt, und viele Menschen vertrauen Unternehmern und Managern nicht, dass sie sich zum Wohle der Firmen insgesamt engagieren und nicht nur zum eigenen Vorteil - zu viele Sündenfälle sind bekannt. Dem Staat wiederum traut man entschieden nicht zu, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen (und der Verlauf der unsäglichen Jamaika-Sondierungsgespräche macht hier keine Hoffnung auf rasche Besserung). Hier muss sich viel ändern, und das schnell. Vertrauen ist nicht alles, aber ohne Vertrauen ist alles nichts.

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