Süddeutsche Zeitung

Wirtschaftspolitik:Warum Politiker nicht zuhören und Ökonomen schlecht beraten

  • Das Verhältnis zwischen Politikern und Ökonomen ist nicht einfach.
  • In der Politik nimmt die Kritik an der wissenschaftlichen Beratung zu.
  • Die Forscher finden, dass Politiker zu kurzsichtig agieren.

Von Ulrich Schäfer

Seit 15 Jahren kämpft Christoph Paulus dafür, endlich eine Insolvenzordnung für Staaten zu schaffen; seit 15 Jahren liegt der Professor für Bürgerliches Recht an der Berliner Humboldt-Universität deshalb den Politikern mit seiner Idee in den Ohren: So wie für Firmen müsse es auch ein Insolvenzrecht für Staaten geben, fordert er.

Namhafte Ökonomen lobten seinen Plan, namhafte Politiker - von Peer Steinbrück bis Angela Merkel - ebenfalls. Und nicht zuletzt die Griechenland-Krise hat gezeigt, dass es dringlicher denn je ein Verfahren braucht, damit Staaten geordnet pleite gehen können. Doch passiert ist nichts. "Die Erfahrung, die ich gemacht habe, ist frustrierend", sagt Paulus.

Solche Erfahrungen wie er haben auch viele Ökonomen in den letzten Jahren gemacht. Sie schlagen der Politik etwas vor, sie geben Rat - gefragt und auch ungefragt. Sie sitzen in Beiräten, Kommissionen, Expertengremien - aber die Politik tut sich häufig schwer mit dem, was die Wissenschaftler empfehlen. Im besten Fall werden die Vorschläge wohlwollend ignoriert, im schlimmsten Fall verrissen - so wie es im Herbst vorigen Jahres dem Sachverständigenrat widerfahren ist. Der hatte in seinem Jahresgutachten vehement vor den Gefahren des Mindestlohns gewarnt, was ihm eine Welle der Kritik einbrachte. SPD-Chef Sigmar Gabriel lästerte über "Wirtschaftstheologie", seine Generalsekretärin bemängelte ein "unwissenschaftliches Vorgehen" und selbst die Kanzlerin spottete über die Kritik der Ökonomen.

Sollten die Ökonomen die Wirtschaftspolitik sich selbst überlassen?

Umgekehrt spotten aber nicht wenige Wissenschaftler über die Politik, weil die selbst durchdachte wirtschaftspolitische Ratschläge schnell beiseite legt. Stefan Korioth, Professor für Öffentliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität, beobachtet "eine gewisse Ratlosigkeit in beiden Sphären": In der Politik nehme die Kritik an der wissenschaftlichen Beratung zu, und in der Wissenschaft werde immer häufiger bemängelt, dass die Politik "zu sprunghaft und zu kurzsichtig" agiere. Von einer "klaren Hierarchisierung" spricht Wolfgang Schön, Professor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft: "Die Politik sieht sich selbst als Ober und die Wissenschaft als Unter."

Die Ursache dafür sieht Schön in der unterschiedlichen Herangehensweise: Die Politik wolle immer fertige Lösungen - aber die könne die Ökonomie nun mal nicht in allen Fällen bieten. Oder wie es der britische Premier Winston Churchill , der immer wieder mit dem britischen Ökonomen John Maynard Keynes debattierte, einst in einem Bonmot formulierte: "Wenn Sie drei Ökonomen um ihre Meinung fragen, bekommen sie vier verschiedene Antworten - zwei darunter von Professor Keynes."

Sollten also die Ökonomen die Wirtschaftspolitik sich selbst überlassen? Nein, im Gegenteil, meint Clements Fuest, der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, der im März 2016 Hans-Werner Sinn als Präsident des Münchner Ifo-Instituts ablösen wird, also Deutschlands bekanntesten Ökonomen beerbt. Fuest erläuterte auf der gleichen Tagung in Salzburg, auf der auch Paulus, Schön und Korioth diskutierten, dem Convoco-Forum, veranstaltet von der Convoco-Stiftung von Corinne Flick, sein Verständnis einer modernen Politikberatung.

"Ich finde es gut, dass der Sachverständigenrat angegriffen wurde - und sich gewehrt hat"

Fuest meint, dass die wirtschaftspolitische Beratung vor allem in der Öffentlichkeit stattfinden solle, nicht hinter verschlossenen Türen. Denn die Wirtschaftswissenschaft könne zwar bei vielen klaren abgrenzbaren Fragen Antworten liefern - zum Beispiel bei der Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen am Arbeitsmarkt; sie könne aber nicht die ganz großen Fragen endgültig beantworten - etwa ob der Staat in der Krise mehr oder weniger Schulden machen soll. Nötig sei daher der öffentliche Diskurs, der "streitbare Dissens", wie Fuest es nennt: "Wenn man schwer krank ist, geht man ja auch nicht bloß zu einem Arzt, sondern holt sich eine zweite oder dritte Meinung ein - und muss als Patient am Ende selber entscheiden, was man tut." Das gelt auch für das Verhältnis von Ökonomie und Politik.

Der künftige Ifo-Präsident hat deshalb auch kein Problem mit der heftigen Debatte, die im Herbst vergangenen Jahres über die "Fünf Weisen" hereinbrach, nachdem diese den Mindestlohn kritisiert hatten: "Ich finde es gut, dass der Sachverständigenrat angegriffen wurde - und ich finde es auch gut, dass er sich gewehrt hat", sagt Fuest. Auch mit der Kritik an seinem jüngsten Vorschlag - einem Soli für Griechenland, um die Rettungspakete zu bezahlen - kann er gut leben: "Solche Debatten sind eine Form, um auf Probleme aufmerksam zu machen." Viele hätten bis dahin doch gedacht, die Milliarden für die Hilfspakete "fallen irgendwie vom Himmel herunter".

Wie aber lässt sich die Politikberatung in Deutschland verbessern? Jörg Rocholl, Präsident der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin, regt an, die Ökonomen stärker in die Politik zu holen - und zum Beispiel den Sachverständigenrat zu einem hauptamtlichen Gremium zu machen, ähnlich wie in den USA, wo dieser Rat fest im Weißen Haus angesiedelt ist. Clemens Fuest glaubt, dass dies nicht notwendig sei: Die Ökonomen müssten sich als Politikberater aber weniger hinter bestimmten Ideologien verstecken, sondern "die vorhandene Evidenz" erklären - also offen sagen, was sie wirklich wissen; und was nicht. Und Christoph Paulus rät vor allem zu einem: "Man muss einen sehr, sehr langen Atem haben."

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SZ vom 28.07.2015/kabr
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