Wirtschaftspolitik:Vorsicht Falle!

Die Wirtschaftspolitik - eine Baustelle: Die Deutschen haben in der Krise vernünftig reagiert, jetzt täten sie gut daran, aufmerksam-angespannt zu bleiben.

Marc Beise

Uns geht es nicht schlecht, das ist die gute Nachricht. Wie gut Deutschland durch die jüngste Krise gekommen ist, wird im Ausland mit Bewunderung oder auch Argwohn wahrgenommen, jedenfalls als beachtlich registriert.

Verkehrsprojekt Deutsche Einheit

Die Krise ist vorbei? Mitnichten. In der Wirtschaftspolitik gibt es etliche Baustellen.

(Foto: dpa)

Die deutsche Wirtschaft arbeitet sich schneller als erwartet aus dem Wachstumstal des Jahres 2009, als die Wirtschaftsleistung um 4,7 Prozent eingebrochen war. Plötzlich sind für 2010 etwa drei Prozent Wachstum drin, hochgerechnet nach einem wirklich starken ersten Halbjahr. Im internationalen Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit führt die Bundesrepublik die Länder der Euro-Zone an, so die Zahlen des Weltwirtschaftsforums in Genf, weltweit liegt die Bundesrepublik auf Platz 5. Deutschland ist damit fast so stark wie die Vereinigten Staaten; noch vor einem Jahr lagen die USA auf Platz 2 und Deutschland auf 7.

Diese Entwicklung kommt maßgeblich aus dem Arbeitsmarkt. Politik, Arbeitgeber und Belegschaften haben hier streckenweise vorzüglich zusammengewirkt. Schon die rot-grüne Schröder-Regierung hat den Arbeitsmarkt flexibilisiert. In der konkreten Krise hat die schwarz-rote Merkel-Koalition über eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes den Unternehmen durchs Tal geholfen. Die Tarifparteien halten seit Jahren Maß. Durch Lohnverzicht sind zudem im Krisenjahr 2009 Massenentlassungen verhindert und Kosten gedrückt worden.

In keinem anderen EU-Land sind in den vergangenen Jahrzehnten die Löhne so langsam gestiegen wie in Deutschland. Entsprechend sinkt die Zahl der Jobsuchenden unaufhörlich, während sie anderswo auf Rekordniveau bleibt. Aber auch mit ihrer Infrastruktur können die Deutschen punkten: Verkehrswege, Stromversorgung, Telefonnetze gelten im internationalen Vergleich im Großen und Ganzen als leistungsfähig.

Augenmaß in der Krise

Selbst die vielgescholtenen Banken liefern positive Nachrichten. Weder hat es bisher die viel befürchtete Kreditklemme im Aufschwung gegeben, noch verschlechtern sich die Zahlen der Institute bedrohlich. Die internationale Bankenregulierung schreitet voran, und selbst die Koalitionsregierung aus Union und FDP findet zu einem konstruktiven Miteinander. Angela Merkel, heißt es, beginnt zu regieren. Voilá.

Die Wirkkraft der Republik strahlt bis in die Kultur. Da sei etwas dran an Deutschland, das ihn inspiriere, sagte soeben der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen, der seine großen Romane regelmäßig in Deutschland zu schreiben begonnen hat.

Uns geht es nicht gut, das ist die schlechte Nachricht. Die wirtschaftliche Erholung steht erst am Anfang, der Aufstieg begann von niedriger Basis. Bis die hochgezüchtete Wirtschaftsmaschinerie auf Vorkrisenniveau ist, kann es noch mehrere Jahre dauern - wenn nicht neue Krisen dazwischenkommen. Die Gefahr ist nicht zu vernachlässigen. Die Finanzkrise ist keineswegs ausgestanden. Die Schuldenlast der Industrieländer ist weiterhin riesengroß. Die südeuropäischen Länder mit Griechenland an der Spitze haben sich bisher nur Zeit gekauft.

Der deutsche Export, der zuletzt wieder mit so guten Zahlen von sich reden machte, verliert schon an Schwung. In der zweiten Jahreshälfte 2010 wird sich das Wachstum wohl verlangsamen. Immer mehr Experten rechnen mittlerweile mit einem "Double-Dip", also einem zweiten Einbruch nach dem ersten im vergangenen Jahr, wenn auch vielleicht nicht mehr in der gleichen Heftigkeit.

Populismus nach der Krise

Vor diesem Hintergrund ist die Unbekümmertheit erstaunlich, die in der wirtschaftspolitischen Diskussion Raum greift. Die schwierigen Zeiten seien vorbei, heißt es, die Wirtschaft sei wieder belastbar. In der Politik mehren sich Forderungen, statt über unbequeme Aufgabenkürzungen doch lieber über Einnahmeerhöhungen nachzudenken: Steuererhöhungen für Besserverdiener, Abgaben für bestimmte Branchen, Verschärfungen bei der Ökosteuer. Damit korrespondiert der Ruf nach höheren Löhnen. Die Gewerkschaften geben die Richtung vor, in ersten Tarifverhandlungen wird wieder kräftig gefordert. Das gehört zum Ritual, nicht aber, dass Politiker auf diesen Zug aufspringen.

An der Spitze der Populisten steht Ursula von der Leyen, die CDU-Familien-, nein: Arbeitsministerin. Der Aufschwung, hat sie messerscharf erkannt, gehört den Menschen, die ihn erarbeiten, sie sollten in der Aufschwungphase profitieren, vermutlich am besten gleich. Falsch! Der Aufschwung, der zunächst nur eine Erholung ist, gehört der ganzen Gesellschaft, auch denen, die noch einen Job suchen, und jenen, die auf Sozialleistungen des Staates angewiesen sind, die aber nach dem Wort von Ludwig Erhard erst einmal am Markt verdient werden müssen.

Die Deutschen haben in der Krise vernünftig reagiert. Jetzt täten sie gut daran, aufmerksam-angespannt zu bleiben. Wer jetzt schon wieder im großen Stil Geld verteilen will, verkennt den unveränderten Ernst der Lage. Die Krise ist nicht ausgestanden, und viele von früher bekannte Probleme sind ja nicht verschwunden. Der Arbeitsmarkt ist flexibel, aber nicht flexibel genug. Das Steuerrecht ist in einem schrecklichen Zustand. Im soeben beschlossenen Energiekonzept stecken auf dem Weg hin zu den alternativen Energien gewaltige Kosten. Drei Beispiele von vielen. Ende gut, alles gut? Noch lange nicht.

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