Wirtschaftspolitik:Ludwig Erhard 2.0

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Zu Ludwig Erhards Zeiten hatte der Wirtschaftsminister auch Einfluss auf Geld und Kredit. Später nahm Helmut Schmidt diese Kompetenzen mit ins Finanzministerium. Dort sind sie noch heute. (Foto: Sven Simon/SZ Photo)

Das Bundeswirtschaftsministerium hat eine große Vergangenheit, schwächelt aber bedenklich in der Gegenwart. Die CDU will es wieder zum Kraftzentrum machen. Leicht wird das nicht.

Von Cerstin Gammelin und Henrike Roßbach, Berlin

Als Genesungsstätte für invalide Soldaten ließ Friedrich II. im 18. Jahrhundert jenes imposante Gebäude errichten, in dem heute das Bundeswirtschaftsministerium residiert. Seit vor allem in der CDU darüber diskutiert wird, ob man mit dem Wirtschaftsressort in den Koalitionsverhandlungen nur den Trostpreis abbekommen hat, drängt sich die Frage auf: Sitzt das Wirtschaftsministerium nur in einem Invalidenhaus - oder ist es eines?

Die Kanzlerin bekundete auf dem CDU-Parteitag jedenfalls ihr Befremden darüber, wie von einigen über das "Haus Ludwig Erhards" geredet werde. Das Wirtschaftsministerium sei "das Kraftzentrum für Soziale Marktwirtschaft", sei Europa-, Mittelstands- und Bürokratieabbauministerium. Und wenn Nicht-CDU-Amtsinhaber der letzten 50 Jahre ihre Chance verpasst hätten, liege es doch an der CDU selbst, das jetzt anders zu machen.

In der Tat steht und fällt die Bedeutung des Wirtschaftsministeriums viel stärker mit demjenigen, der es führt, als das in den meisten anderen Ministerien der Fall ist. Denn im Grunde ist das Haus für so gut wie nichts zuständig - gleichzeitig aber darf es so gut wie überall mitreden. Wie erfolgreich es dabei ist, hängt vom Geschick, dem Ehrgeiz und der Durchsetzungskraft des Mannes oder der Frau an der Spitze ab. "Es gab eigentlich nur drei große Wirtschaftsminister", sagt der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser, der Mitglied der unabhängigen Geschichtskommission war, die die Historie des Hauses in vier dicken Bänden aufgearbeitet hat. "Ludwig Erhard, Karl Schiller und Otto Graf Lambsdorff." Vielleicht noch Helmut Schmidt, sagt Abelshauser.

Eine Ordnungspolitik der sichtbaren Hand, das ist das Erfolgsrezept

Allerdings gab Schmidt nur ein kurzes Gastspiel, bevor er ins Finanzministerium weiterzog. Und Schmidt war es auch, der bei diesem Umzug die Geld- und Kreditabteilung gleich mitnahm; ein schmerzhafter Verlust für das Wirtschaftsressort. Das Ministerium sei nach dem Krieg bedeutender gewesen als heute, sagt Abelshauser. Es habe mit der Zeit viele Kompetenzen verloren. Beispiele sind etwa die Außenhandels- sowie die Kartell- und Wettbewerbspolitik, in der heute Brüssel den Ton angibt, oder auch die Aufsicht über das Versicherungswesen. Auch die Bundesbank, ein wichtiger Verbündeter des Wirtschaftsministeriums, habe an Bedeutung verloren. Neue Kompetenzen, wie die Energiepolitik unter Sigmar Gabriel (SPD), kamen eher selten hinzu. "Gleichzeitig aber hat es sich die Kompetenz erarbeitet, überall dabei zu sein und die Richtung zu bestimmen", sagt der Historiker. Der Erfolg dieser Methode aber hänge davon ab, wer das Ministerium leite, "ob es ernsthaft geleitet wird von jemandem, der etwas versteht von Ordnungspolitik, oder von jemandem, der ein Ministerium braucht, das nicht so viel Arbeit macht". Letzteres sei bei Philipp Rösler der Fall gewesen, der als FDP-Chef Zeit für die Partei habe haben wollen. Röslers Vorgänger und Parteikollege Rainer Brüderle habe es dagegen besser gemacht. "Er hat erkannt, dass Deutschland nicht von den Dax-Konzernen lebt."

Den designierten CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier hält Abelshauser für "sehr geeignet", weil durchsetzungsstark. Altmaier aber wird seine Umzugskisten im Kanzleramt frühestens am Sonntag packen, wenn feststeht, ob die SPD in eine neue große Koalition eintreten will. Und erst dann wird er darüber reden, wie er das in den vergangenen Jahren eher verschnarcht wirkende oder für die Parteiarbeit genutzte Ministerium zu einem Kraftzentrum im Sinne Erhards ausbauen will.

Ob ihm das gelingen wird, hängt freilich auch davon ab, welche Befugnisse das Wirtschaftsministerium bekommt, also in welchem Umfang es für Energie und Europa, Digitales oder Robotik und künstliche Intelligenz zuständig sein wird. Das alles wird in einem Organisationserlass geregelt, der noch aussteht. Klar ist, dass Altmaier den digitalen Umbau der Wirtschaft auf der Agenda hat. "Wir müssen uns dringend um die Digitalisierung kümmern", sagte er jüngst im Gespräch mit der SZ. "Ab der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre droht ein massiver Verlust von Arbeitsplätzen, wenn wir uns nicht kümmern." Die Jahre 2010 bis 2020 würden dann "als goldene Jahre in die Geschichte eingehen".

Was auch aus parteipolitischer Sicht ein Desaster wäre. Dann stünde die SPD, die das Ministerium in den vergangenen vier Jahren geführt hat, als Macherin eines lang anhaltenden Aufschwungs da. Und ausgerechnet die Erben Ludwig Erhards müssten mit dem Ruf leben, dass unter ihrer Ägide deutsche Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit verloren hätten.

Gute Ordnungspolitiker, sagt der Ministeriumskenner Abelshauser, hätten sich mitnichten herausgehalten aus der Wirtschaftspolitik. "Sie müssen eingreifen, aber nicht willkürlich, sondern mit Konzepten Handlungsfelder abstecken." Dann seien sie anderen Ressorts überlegen. Eine "Ordnungspolitik der sichtbaren Hand" sei das Erfolgsrezept.

Altmaier wird den Übergang in die digitale Wirtschaft so zu organisieren haben, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft von der Blechpresserei bis zum Start-up erhalten bleibt. Den ganz großen Hut wird er allerdings nicht aufhaben. Das digitale Geschäft aller Ministerien wird im Kanzleramt gebündelt, wo ein Digitalrat eingerichtet werden soll. Ähnlich ist es mit den Zuständigkeiten für Europa. Dem Vernehmen nach wird der designierte SPD-Finanzminister Olaf Scholz nicht bereit sein, die europäischen Kompetenzen seines Hauses an den Kollegen im Wirtschaftsministerium abzugeben.

Das allerdings dürfte Altmaier in gewisser Weise gelassen hinnehmen - schließlich sieht er auch anderswo genug zu tun in Brüssel. "Europa braucht gemeinsame Projekte", sagte er kürzlich. "Wir müssen uns bei den Innovationen im Bereich künstliche Intelligenz, Digitalisierung und E-Mobilität die Führung erkämpfen. Gerade mit Blick auf China und die USA. Und ökonomisch und sozial die Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit und der Lebensverhältnisse." Als Altmaier sich Ende Januar so äußerte, wusste er noch nicht, dass er bald das Wirtschaftsministerium führen sollte. Aber es klang wie eine Bewerbung.

© SZ vom 28.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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