Wirtschaftspolitik:IWF-Ökonomen rechnen mit dem Neoliberalismus ab

Lesezeit: 3 Min.

Der IWF solle nach Hause gehen, sprühte jemand in Athen an den Zaun (Foto: dpa)
  • Der IWF wurde weltweit zum Hass-Symbol von Globalisierungskritikern. Sie werfen dem Internationalen Währungsfonds vor, eine neoliberale Agenda durchzusetzen.
  • Nun bricht ein Artikel aus der Forschungsabteilung des IWF mit dieser Vorstellung. Die Autoren verurteilen mehrere Standardrezepte des Neoliberalismus scharf.

Von Bastian Brinkmann

Wenn Länder in Finanznot geraten und ihre Schulden nicht mehr bezahlen können, kann ihnen ein Anruf beim Internationalen Währungsfonds (IWF) helfen. Der IWF verleiht Milliarden an Regierungen in Not - allerdings nur unter Auflagen. Die Staaten müssen für das Geld Reformen umsetzen. Seit Jahrzehnten hat der Währungsfonds den Ruf, dabei eine neoliberale Agenda zu verfolgen: Die Regierungen müssten privatisieren, Ausgaben kürzen, Sozialprogramme stutzen, das Land gefügig machen für das internationale Kapital. Der IWF wurde deswegen zum Hass-Symbol auf linken Demonstrationen, von Lateinamerika bis Griechenland.

Nun erschüttern ausgerechnet Ökonomen des IWF dieses Bild. Ein Bericht der Forschungsabteilung des Währungsfonds kritisiert die zentralen Heilsversprechen des Neoliberalismus scharf. Es gäbe zwar einiges zu feiern, schreiben die Autoren zunächst. Etwa, dass der zunehmende Welthandel Millionen aus elender Armut befreit habe und ausländische Investitionen Technik und Wissen in Entwicklungsländer gebracht habe. Aber dann greifen die Autoren zwei Standardrezepte des Neoliberalismus zentral an: die Kürzung der Staatsausgaben und die freien Kapitalmärkte. Bei beiden Instrumenten könne man nicht beweisen, dass sie das Wachstum fördern. Stattdessen würden sie die Ungleichheit erhöhen - und könnten unterm Strich mehr schaden als nutzen.

Die Autoren kritisieren Kürzungen und Kapitalfreiheit

In dem Beitrag finden sich Sätze, die viele wohl eher auf Anti-IWF-Demos vermutet hätten als auf der Webseite des Währungsfonds: "Die Zunahme der Ungleichheit ist hervorgerufen durch die Öffnung der Finanzmärkte und die Austerität", schreiben die IWF-Ökonomen. "Das könnte das Wachstum bremsen, obwohl die neoliberale Agenda genau das doch ankurbeln will." Unter Austeriät versteht man eine Haushaltspolitik, die ohne Verschuldung auskommt.

Die Autoren hinterfragen grundlegende Annahmen, die regelmäßig in der Wirtschaftspolitik diskutiert werden. Die Liberalisierung der Kapitalmärkte soll der neoliberalen Theorie zufolge ausländisches Kapital ins Land locken, das dann die nationale Wirtschaft ankurbelt. Doch tatsächlich holen sich Entwicklungsländer so vor allem Ärger ins Haus, sagen die IWF-Ökonomen. Denn die Kapitalflüsse erhöhten das Risiko eines Finanzcrashs. Solche Krisen würden die Ungleichheit stark erhöhen.

Dass der Staat seine Ausgaben kürzen müsse, wird in neoliberalen Kreisen gerne mit dem Spruch "Short term pain - long term gain" begründet. Die Reformen seien zwar kurzfristig schmerzhaft, weil Rentner, Arbeitslose und andere weniger Geld bekämen. Das würde sich langfristig aber auszahlen. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat den Satz schon zitiert. Die IWF-Autoren sehen das ziemlich anders: Sparpolitik verschärfe die Ungleichheit und schade so dem Wachstum.

Die Autoren argumentieren nicht theoretisch, sondern beziehen sich auf die Analyse von Daten. "Politiker und Institutionen wie der IWF, die sie beraten, dürfen sich nicht von Glauben lenken lassen", schreiben die Ökonomen. "Sie sollten geleitet werden von Nachweisen, was wirklich funktioniert."

Dass Deutschland einen milliardenschweren Überschuss im Bundeshaushalt schafft, freut Finanzminister Schäuble. Die IWF-Ökonomen wundert das. Die neoliberale Theorie sehe vor, dass Staaten mit Haushaltsüberschüssen ihre Schuldenberge abtragen sollten. Bei Staaten wie Deutschland, Großbritannien oder den USA finden sie diese Haltung fragwürdig. Diese Länder seien nicht wirklich von einer Finanzkrise bedroht und müssten deswegen für ihre Schulden nicht unerträglich viel bezahlen.

Wenn die Regierungen trotzdem die Schuldenquoten verringern, würde das zwar die Zinslast senken - aber nur ein bisschen. Die Kosten für diese Politik könnten aber hoch sein, und zwar viel höher als der Zinsvorteil. Denn der Preis für einen Haushaltsüberschuss seien zu hohe Steuern und gekürzte Staatsausgaben, die den Bürgern sonst zugute gekommen wären. Die Länder könnten gut mit den Schulden leben.

Seit der Finanzkrise hinterfragen viele die neoliberale Agenda

Jonathan Ostry ist der stellvertretende Direktor der Forschungsabteilung des IWF und Hauptautor des Artikels. Vor fünf Jahren hätte so ein Beitrag beim Währungsfonds nicht veröffentlicht werden können, sagte er der Financial Times. Der Mainstream beim IWF ticke noch anders und würde sich nur langsam ändern. Seit der Finanzkrise seien aber viele zum Ergebnis gekommen, dass die neoliberale Agenda überdacht werden müsse.

In der Ökonomen-Szene löste der IWF-Artikel Überraschung aus. "Was zur Hölle ist hier los", sagte etwa Dani Rodrik der Financial Times. Der Harvard-Professor gilt als eher globalisierungskritischer Ökonom. Er betonte aber auch, dass der Artikel aus der Forschungsabteilung des Währungsfonds stammt. Ein nicht unwichtiges Detail. Denn die Entscheidungen über Notkredite für Staaten und die Auflagen, die damit verbunden sind, fällt eine andere Abteilung des IWF. Und glaubt man Rodrik, ist eine Abkehr vom alten Dogma dort eher unwahrscheinlich. "Die Verhandler der Kreditauflagen", sagt er, "sind normalerweise orthodoxer".

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