Wahrscheinlich hat es sich einfach noch nicht bis nach Washington rumgesprochen, was die Ampelkoalition in Berlin da Bedeutendes plant. Fakt jedenfalls ist: Trotz der groß angelegten „Wachstumsinitiative“, die das Bundeskabinett diese Woche offiziell auf den Weg bringen will, sieht der Internationale Währungsfonds (IWF) bisher keine Veranlassung, seine laufenden Konjunkturprognosen für die Bundesrepublik nach oben zu korrigieren. Im Gegenteil: Der Aufschwung stockt, das zeigt der neue, vierteljährliche Weltwirtschaftsausblick (WEO), den der IWF am Dienstag in der US-Hauptstadt präsentierte.
Demnach erwarten die Washingtoner Ökonomen für das laufende Jahr unverändert ein Mini-Wachstum in Deutschland von gerade einmal 0,2 Prozent. Der Wert liegt damit noch einmal um einen Zehntelpunkt unter der offiziellen Prognose des Bundeswirtschaftsministeriums, das mit einem Plus von 0,3 Prozent rechnet.
Dass die deutsche Wirtschaft nach dem Strom- und Gaspreisschock des Jahres 2022 einfach nicht in Schwung kommt, liegt nach Analyse des IWF vor allem an der anhaltenden Nachfrageschwäche im verarbeitenden Gewerbe. Der Sektor spielt in Deutschland eine sehr viel größere Rolle als in anderen, eher dienstleistungsorientierten Volkswirtschaften wie etwa den USA, denen die Fonds-Ökonomen für 2024 ein Wachstum von 2,6 Prozent in Aussicht stellen. Aber auch große Industrieländer wie Spanien mit plus 2,4 Prozent, Kanada mit plus 1,3 und Frankreich mit plus 0,9 Prozent stehen besser da als die Bundesrepublik.
Der IWF-Bericht enthält auch einen Lichtblick für die Ampel
Auch die Bundesregierung selbst hatte zu Wochenbeginn einräumen müssen, dass sich die konjunkturelle Erholung weiter verzögere. Die jüngste Eintrübung der Stimmungsindikatoren und die erneuten Rückgänge bei Auftragseingängen und Produktion „zeigen eine anhaltende Schwäche in der stark exportorientierten deutschen Industrie“, erklärte das Wirtschaftsministerium. Vor allem die schwächelnde Nachfrage aus dem Ausland erweise sich zunehmend als Konjunkturbremse. Zudem habe sich die Stimmung der Verbraucher nach einem vorübergehenden Anstieg wieder verschlechtert.
Allerdings enthält der IWF-Bericht für die Regierungsparteien in Berlin auch einen Lichtblick: Für 2025 nämlich sagen die Fonds-Experten der Bundesrepublik wie schon im April ein Wachstum von immerhin 1,3 Prozent voraus. Das sind 0,3 Punkte mehr, als die Regierung selbst erwartet.
Sogar ein noch höheres Plus ist nicht ausgeschlossen, sollte sich die geplante Wachstumsinitiative der Koalition als Erfolg erweisen. Mit dem Programm will die Regierung vor allem die Investitionstätigkeit ankurbeln, indem sie etwa den Unternehmen gestattet, ihre Investitionskosten auch in den kommenden Jahren rascher als früher üblich steuermindernd geltend zu machen. Zudem werden die Förderung der Forschung und der E-Mobilität ausgeweitet und die Stromsteuersenkung verlängert. Bürgergeldempfänger sollen mit mehr Druck animiert werden, einen Job anzunehmen. Ausländische Fachkräfte will die Bundesregierung mit steuerlichen Anreizen ins Land locken und damit dem Beispiel etlicher anderer europäischer Länder folgen.
Hinzu kommen Steuerentlastungen für die Bürgerinnen und Bürger sowie für Personenunternehmen, die sich bis 2026 auf 23 Milliarden Euro summieren. Sie sollen die Menschen unter anderem davor schützen, dass sie nach einer Lohnerhöhung vom Finanzamt stärker zur Kasse gebeten werden, obwohl sie wegen der hohen Verbraucherpreise faktisch gar nicht mehr Geld in der Tasche haben. Alles in allem, so hofft die Bundesregierung, wird das Programm die Wachstumsrate in Deutschland dauerhaft um 0,5 Prozentpunkte erhöhen. Gelänge das, läge Deutschland unter den großen Industriestaaten plötzlich nicht mehr am Ende, sondern wieder im oberen Mittelfeld. Ein angenehmer Nebeneffekt wären Steuermehreinnahmen in Höhe von sechs Milliarden Euro, mit denen die Regierung rechnet.
Voraussetzung ist, dass die insgesamt 49 Einzelmaßnahmen der Initiative nicht nur schnell durchs Kabinett kommen, sondern auch durchs Gesetzgebungsverfahren. Im Bundeskanzleramt wird gerade sortiert, welche der Vorhaben auch der Zustimmung der Länder bedürfen und welche nur vom Bundestag beschlossen werden müssen. Die größten Impulse erwartet sich die Regierung in den Bereichen Energie und Arbeitsmarkt.
Allerdings verweist der IWF in seinem Bericht auch auf die erheblichen Risiken, denen die Welt- und damit in besonderer Weise auch die deutsche Wirtschaft ausgesetzt sind. So warnen die Experten unter anderem von einer Verschärfung der Handelskonflikte etwa zwischen den USA, China und Europa. Hier drohe die Gefahr immer höherer Zölle und Gegenzölle mit dem Ergebnis, dass Waren am Ende für alle teurer würden. Handel und internationale Zusammenarbeit seien aber der Schlüssel zur Bewältigung globaler Probleme. Politikkonzepte, die allein darauf abzielten, bei den heimischen Wählern Eindruck zu schinden, schadeten dagegen langfristig auch den betreffenden Ländern selbst, da Gelder nicht effizient eingesetzt würden.