Wirtschaftspolitik:Italiens Wirtschaft probt den Widerstand

Italian Markets Set for Relief as Risk of Junk Rating Retreats

Wohin steuert die Regierung in Rom das Land? Immer mehr Italiener machen sich Sorgen über die wirtschaftliche Lage.

(Foto: Alessia Pierdomenico/Bloomberg)
  • In der italienischen Wirtschaft wächst der Widerstand gegen die Politik der Regierung.
  • Zahlreiche Wirtschaftsverbände kritisieren, dass die Koalition der rechten Lega und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung die heimische Wirtschaft schwächt.
  • In Turin demonstrierten 30 000 Menschen für einen Tunnel nach Frankreich. Die Regierung hatte das Infrastruktur-Projekt zuletzt infage gestellt.

Von Ulrike Sauer, Rom

Ein nieseliger Samstagmorgen im November. Auf der Piazza Castello in Turin versammeln sich mehr als 30 000 Menschen. Ohne Spruchbänder, ohne Fahnen, ohne Parteisymbole, ohne Beschimpfungen. Unternehmer und deren Mitarbeiter, Freiberufler, Studenten, Professoren, Familien und Gewerkschafter folgten dem spontanen Aufruf von sieben Frauen. Sie demonstrierten für den Bau der transalpinen Bahnverbindung zwischen Turin und Lyon. Die Zeit hatte nicht einmal gereicht, um eine Bühne aufzubauen. Die Organisatorinnen kletterten aufs Dach eines Lastwagens und riefen der Menge zu: "Wir sind hier, um Ja zur Zukunft zu sagen". Zum Abschluss dankten sie noch ihren Männern, die das Kochen in den hektischen Tagen vor der Demo übernommen hatten. Der Aufstand könnte wie ein Fanal wirken.

Es scheint, als wäre in Turin die Resignation aufgebrochen. Plötzlich finden sich Italiener nicht mehr mit der rapiden wirtschaftlichen Talfahrt ab, auf die sie die Regierungskoalition aus Cinque Stelle und Lega seit fünf Monaten schickt. Die Turiner trieb die Blockade des Baus eines Alpentunnels auf die Straße, der Norditalien über eine Hochgeschwindigkeitsstrecke für den Güter- und den Personenverkehr mit Frankreich verbinden soll. Doch ein Einzelfall ist das Nein zum Tunnelbau nicht.

Die Regierung stoppte andere Infrastrukturprojekte und gefährdet so Tausende von Arbeitsplätzen. Sie sagt auch Nein zur Aufholjagd der Unternehmen bei der Digitalisierung der Fabriken, Nein zum Schuldenabbau, Nein zu Europa, Nein zum Welthandel. In ihrer Propaganda-Blase gibt es kein Morgen. So als hätten die vielen Neins keine Folgen. "Das Volk auf der Piazza Castello erinnert uns daran, dass es ein anderes Italien gibt", schrieb die Turiner Tageszeitung La Stampa. Ein Volk, das der Regierung nicht in die Selbstisolation folgen will. Ein Volk, das die wachstumsfeindliche Ideologie nicht hinnimmt.

In Brüssel gilt die superschnelle Bahntrasse zwischen Turin und Lyon als "ein strategisches Projekt, nicht nur für Italien und Frankreich, sondern für ganz Europa". Durch den umstrittenen Tunnel sollen am Tag 162 Güterzüge und 22 Hochgeschwindigkeitszüge für Passagiere fahren. Bislang werden auf der Route 93 Prozent der Waren auf der Straße transportiert.

Die EU trägt 41 Prozent der Baukosten. Verzögert Rom die Tunnelarbeiten weiter, werden die Mittel gekürzt. "Ab Dezember droht uns der Verlust von 75 Millionen Euro im Monat", warnt der italienische Baubeauftragte Paolo Foietta. Insgesamt stehen 813 Millionen Euro auf dem Spiel. Bei einem Vertragsbruch werden zudem hohe Strafgelder fällig.

Der Tunnel wird längst gebaut

Nichtsdestotrotz poltert der Verkehrsminister Danilo Toninelli auch nach der Turiner Demo weiter gegen das Projekt. "Nach jahrzehntelanger Debatte ist noch kein Zentimeter des Basistunnels gegraben worden", höhnte er. Am selben Tag besichtigte eine Unternehmerdelegation aus Turin die französische Baustelle in Saint Martin La Porte, wo 5,5 von 9 Kilometern des ersten Abschnitts fertig sind. "Toninelli sollte sich schämen", schimpfte Fabio Ravanelli, Chef der piemontesischen Industriellen. Auf französischer Seite sind 400 Arbeiter auf der Baustelle beschäftigt. Sie forderten Ravanelli auf, sich in Rom für den Tunnel einzusetzen.

Entlang der Alpenkette hoffen nun viele, dass der Funken von Turin überspringt. "Wir haben uns lange gefragt, wo die anständigen Leute geblieben sind, die sich nicht von den sozialen Netzwerken verführen lassen", sagt Maria Cristina Piovesana aus Venetien. Sie ist Präsidentin der Industriellen in Padua und Treviso, deren Firmen im Jahr Waren im Wert von 33,5 Milliarden Euro exportieren. Die italienischen Unternehmer hatten lange den Mund gehalten. Sie taten so, als ginge ihre Firmen und deren Mitarbeiter die Geisterfahrt in Rom nichts an. "Turin hat mir nun Hoffnung gemacht", sagt die Möbelherstellerin. In den dynamischen norditalienischen Industrieregionen regt sich Widerstand gegen den Populismus.

Den Anfang hatten im Juli 600 Unternehmer im Veneto gemacht, die einen Brief an Lega-Chef Matteo Salvini unterzeichneten. "Wir haben euch gewählt, aber so ruiniert ihr uns. Für zwei Flüchtlinge weniger habt ihr euch an die Cinque Stelle verkauft und uns verraten", schrieben sie. Der Zorn richtete sich gegen das Zurückdrehen der Arbeitsmarktreform, mit dem die Koalition eine Stabilisierung prekärer Arbeitsverträge erwirken wollte. Die Verschärfung der Auflagen für befristete Jobs und für Leiharbeit erwies sich als Bumerang. Viele befristete Verträge wurden nicht erneuert. Gleichzeitig ging die Zahl der festen Stellen im September gegenüber dem Vorjahresmonat um 184000 zurück. In der vergangenen Woche nahmen die Handwerker der Region Venetien die Regierung in die Mangel. Eigentlich sind ihre Treffen ein Heimspiel für die Lega. Doch Verbandschef Agostino Bonomo, der 60 000 Handwerker vertritt, pfiff die Haushaltspläne der Koalition aus. Besonders übel nimmt man der Regierung die Einführung des Bürgergelds für Arbeitslose. "So wird nur der Anstieg der Schwarzarbeit gefördert und der Unternehmungsgeist frustriert."

Römische Staatsanleihen sind deutlich teurer geworden

Auch in Mailand riss der Geduldsfaden der Unternehmer. "Ihr kümmert euch nur um die nächsten Wahlen und nicht um das Wachstum", verurteilte Carlo Bonomi, Industriellenchef in der wohlhabenden Lombardei, die schuldentreibende Haushaltspolitik in Rom. Die Regierung handelt ihrem Land mit dem Verstoß gegen die europäischen Verträge gerade Milliardenstrafen der EU ein. Der Risikoaufschlag auf römische Staatsanleihen hat sich seit Mai verdreifacht. Die italienischen Steuerzahler wird das 2019 knapp sechs Milliarden Euro kosten. Die Banken begannen, ihre Kreditvergabe zu drosseln.

So hat die selbst proklamierte Regierung des Wandels das Land zum Stillstand verdonnert. Nach 16 Quartalen kam Italiens Wachstum zwischen Juli und September zum Erliegen. Die Industrieproduktion ging im Oktober um 0,3 Prozent zurück. Eine Kursänderung ist nicht in Sicht. Denn nie lief das wirtschaftliche Interesse Italiens dem politischen Interesse der Regierungsparteien so klar entgegen. Die Populisten wollen mit der Neuverschuldung ihren Triumph bei den Europawahlen erkaufen. Besonders angespannt ist die Lage in Genua. Drei Monate nach dem Einsturz der Autobahnbrücke, die 43 Menschen in den Tod riss, wartet man noch immer auf Entscheidungen aus Rom zum Wiederaufbau der Verkehrsarterie.

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