Wirtschaftspolitik in NRW:Sozial? Liberal? Egal!

Bei der Nordrhein-Westfalen-Wahl ist es aus wirtschaftspolitischer Sicht egal, wer gewinnt. Denn die Unterschiede zwischen den Parteien sind längst verwischt.

Marc Beise

Gerne wird in diesen Krisenzeiten eine Ohnmacht der Politik gegenüber der (Finanz-)Wirtschaft beklagt. Dabei muss man so weit gar nicht blicken. Eigentümlich genug: Im bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen wird am Sonntag gewählt, und wirtschaftspolitisch ist es ziemlich egal, wer gewinnt.

Hannelore Kraft, Jürgen Rüttgers, Foto: dpa

Kandidaten in Nordrhein-Westfalen: Hannelore Kraft (links) und Ministerpräsident Jürgen Rüttgers kämpfen um die Macht.

(Foto: Foto: dpa)

Lehrbücher preisen noch den föderalen Wettbewerb. Danach kann sich ein Bundesland durch eine kluge Wirtschaftspolitik im Wettkampf der sechzehn nach vorne schieben. In der Praxis wird überall in Deutschland eine quasi austauschbare Standortpolitik gemacht. Ob NRW beim Wirtschaftswachstum aufholt (bis 2008 lag es zwei Prozentpunkte unter dem Bundesdurchschnitt und vier Prozentpunkte unter Bayern) oder nicht, hängt mitnichten von der Frage ab, ob Ministerpräsident Jürgen Rüttgers von der CDU mit der FDP weiterregiert oder auf Grün umschwenkt; von einer großen Koalition ganz zu schweigen.

Wie anders sollte das noch damals vor fünf Jahren werden, als CDU und FDP eine "Koalition der Erneuerung" bildeten. Die Regierungserklärung des neuen Ministerpräsidenten vom 13. Juli 2005 war glasklar. An die Stelle von "Staatsgläubigkeit und Korporatismus" werde "Selbstbestimmung und Selbstverantwortung" treten. "Freiheit vor Gleichheit, Privat vor Staat, Erarbeiten vor Verteilen, Verlässlichkeit statt Beliebigkeit." Und weiter: "Verteilt werden kann nur das, was vorher erwirtschaftet wird. Ein Staat, der alles an sich zieht und auf allen Feldern regelt, ist ein schwacher Staat." Das war Rüttgers 2005. Rüttgers 2010 distanziert sich von der Parole "Privat vor Staat", sieht den Staat in einer anderen Rolle, spricht vom "Scheitern des Marktradikalismus"; die SPD-Kandidatin könnte es nicht schöner sagen.

Seit langem schon verwischen sich die Unterschiede zwischen den Parteien. Wirtschaftspolitik auf Landesebene heißt heute parteiübergreifend einerseits, so gut es geht, Ausgaben zu kürzen. Und andererseits verzweifelt um die wenigen Neuansiedlungen zu kämpfen. Baut der eine Großkonzern sein neues Werk in NRW? Macht der andere ein Werk zu? Die Uniformität macht nicht einmal vor den Linken halt. Als Gregor Gysi einmal Wirtschaftssenator in Berlin war, agierte er dort nicht wesentlich anders als ein SPD- oder CDU-Politiker. Auch er antichambrierte und warb um die Gunst der Investoren.

So bescheiden sind wir geworden, dass als gute Wirtschaftspolitik heute schon gilt, sich redlich zu bemühen. Das hat in Bayern der Wirtschaftsminister Otto Wiesheu (CSU) zwölf Jahre lang vorgemacht, und wenn sein ehrenwerter Nachfolger von der FDP weniger erfolgreich ist, liegt das nicht so sehr an einer anderen wirtschaftspolitischen Ausrichtung, sondern daran, dass er nicht mit derselben Aufopferung und Bauernschläue unterwegs ist wie der Wühler Wiesheu.

Ordnungspolitik, wie sie Rüttgers 2005 postuliert hat, ist out. Das kann sich gerade in NRW mit seiner mittelständischen Basis übel rächen. Mehr als 750.000 kleinere und mittlere Unternehmen bilden das Rückgrat der Region, sie beschäftigen 70 Prozent der Arbeitnehmer. Ihnen würden Steuererleichterungen, Entbürokratisierung und Flexibilisierung beim Arbeitsrecht helfen: Maßnahmen, für die sich eine Landesregierung, soweit nicht zuständig, auf Bundesebene engagiert einsetzen könnte. Das geschieht heute nicht, und wird wohl auch nicht morgen geschehen. Die maue Unterstützung von Schwarz-Gelb durch die Wirtschaft spricht Bände. Man erwartet nichts, und man wird nichts kriegen.

Ein kleiner Trost ist, dass der Wettbewerb zwischen den Bundesländern heute wenigstens mittelbar ausgetragen wird, in der Bildungs- und der Kulturpolitik. Dort haben die Bundesstaaten noch gesetzgeberische Macht, und dort entscheidet sich die Zukunft des Landes. Nur wer seine Landeskinder gut ausbildet und dank einer attraktiven Kulturwelt im Land hält, kann sich von den Wettbewerbern absetzen. Insofern hat der Wahlkampf in NRW, bei dem die Schulpolitik eine große Rolle spielt, dann doch das richtige Thema.

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