Wirtschaftspolitik in Frankreich:Sarkozy macht auf Schröder

Hat Altkanzler Gerhard Schröder bei seinem jüngsten Besuch in Paris einen derart guten Eindruck gemacht? Oder ist Nicolas Sarkozy derart verzweifelt? Jedenfalls entdeckt Frankreichs Präsident kurz vor der Wahl den Reformer in sich - und sein großes Vorbild heißt Schröder.

Michael Kläsgen, Paris

Alles fing mit Gerhard Schröder an. Nicolas Sarkozy empfing den Altkanzler kurz vor Weihnachten im Élysée-Palast. Kurz darauf lud der französische Präsident die Sozialpartner zum Beschäftigungsgipfel. Lag es am starken Eindruck, den Schröder hinterließ, oder an Sarkozys Verzweiflung? An diesem Mittwoch war es jedenfalls schon so weit.

Nicolas Sarkozy

Ein bisschen wie Deutschland sein: Sarkozy will mit den Einnahmen aus der sozialen Mehrwertsteuer Arbeitskosten senken und so die Unternehmen entlasten. Die sollen dann mehr exportieren.

(Foto: AP)

Vier Stunden lang diskutierten Gewerkschafter, Arbeitgeber und Sarkozy mitsamt Ministern am runden Tisch. Und am Ende versuchte der Präsident, den Schröder zu mimen, oder besser gesagt: den großen Reformer. Er zeigte sich fest entschlossen, Frankreich jetzt endlich wettbewerbsfähiger zu machen und gleichzeitig den Arbeitsmarkt umzukrempeln. So als wüsste er nicht, dass in drei Monaten gewählt wird, verteilte er Arbeitsaufträge an verdiente Weggefährten mit Abgabefrist in zwei Monaten.

Reizwort soziale Mehrwertsteuer

Das Reizwort, um das es im Wesentlichen auf dem Gipfel ging, vermied er hingegen: die "TVA sociale", die soziale Mehrwertsteuer. Mit den Einnahmen daraus will er die Arbeitskosten senken und so die Unternehmen entlasten, die dann mehr exportieren sollen. Das Instrument wird seit Jahren diskutiert und ist ausgesprochen umstritten.

Trotzdem will Sarkozy die Steuer plötzlich noch vor der Wahl einführen. In seiner Eröffnungsrede erinnerte er daran, dass die Arbeitskosten in Frankreich zuletzt dreimal so schnell gestiegen seien wie in Deutschland. Eines der Resultate: Die Bundesrepublik verzeichnet hohe Exportüberschüsse, Frankreich hingegen ein Außenhandelsdefizit von gut 70 Milliarden Euro. Das kommt noch zur exorbitanten Staatsschuld hinzu.

Doch dass die "TVA sociale" schnell kommt, ist unwahrscheinlich, wie die Reaktionen der Gewerkschafter nach dem Gipfel zeigten: Alle lehnen sie unisono ab. Die Arbeitnehmervertreter finden daran nichts sozial, sondern vermuten dahinter nur ein verstecktes drittes Sparpaket zu Lasten der Kaufkraft. Arbeitgeberpräsidentin Laurence Parisot hingegen frohlockte und lobte das "herausragende Treffen".

Frankreich umwandeln

Ihr Verband ist die treibende Kraft hinter dem Versuch, Frankreich umzuwandeln von einer nachfrageorientierten Wirtschaft mit hohem Konsum als wichtigsten Pfeiler hin zu einer angebotsorientierten Volkswirtschaft mit attraktiven industriellen Exportprodukten. Um die Krise rasch hinter sich zu lassen, wird das allgemein als erforderlich angesehen. Auch die Gewerkschaften haben nichts dagegen. Sie halten nur die Steuer für ungeeignet.

Einverstanden waren sie hingegen damit, verstärkt auf Kurzarbeit zurückzugreifen, um der steigenden Arbeitslosigkeit Herr zu werden. Frankreich zählt 2,85 Millionen Arbeitslose, und zwar allein in der Kategorie derjenigen, die dringend einen Vollzeit-Job suchen. Das sind mehr als in Deutschland, obwohl Frankreich gut 16 Millionen weniger Einwohner hat. Und täglich werden es 1000 mehr, rechnete die linksliberale Tageszeitung Libération vor. Sarkozy befürchtet, dass just zum Wahltermin die Drei-Millionen-Marke gerissen wird.

Sein Rezept dagegen: 100 Millionen Euro mehr für Kurzarbeit, bessere Wiedereingliederung durch 1000 zusätzliche Vermittler und eine radikale Reform der Weiterbildung Langzeitarbeitsloser sowie der Berufsausbildung. Deutschland habe auf die Kurzarbeit im Krisenjahr 2009 sechsmal stärker als Frankreich zurückgegriffen, klagte der Präsident, so als sei nicht er es gewesen, der damals regierte. Allerdings gibt es in Frankreich auch weniger Industriearbeitsplätze. Und das Arbeitsrecht erschwert die Subventionierung der vorübergehend reduzierten Erwerbstätigkeit. Sarkozy will die Barrieren nun beseitigen.

Kurz vor der Wahl entdeckt er den Reformer in sich. In einem großen Fernsehinterview Ende des Monats will er konkrete Pläne vorlegen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: