Süddeutsche Zeitung

Wirtschaftspolitik:Deutsch sprechen, französisch denken

Der Pariser Finanzminister Bruno Le Maire hat seine Kollegen aus Berlin unterschiedlich lieb.

Von Leo Klimm, Paris

Bruno Le Maire ist ein höflicher Mensch. Als guter Gastgeber spricht er erst über das Einende anstatt über die Meinungsverschiedenheiten, die er mit seinen Besuchern aus Berlin hat. Mehrfach versichert Frankreichs Finanz- und Wirtschaftsminister am Donnerstag, er und seine deutschen Amtskollegen Olaf Scholz (SPD) und Peter Altmaier (CDU) seien einer "gemeinsamen Wirtschaftsstrategie" nähergekommen. Dazu, erwähnt Le Maire den heiklen Punkt schließlich doch, zähle auch eine Haushaltspolitik, mit der die Notenbanken aus ihrer gegenwärtigen Rolle als Konjunkturstützen befreit würden.

Das ist eine kaum verhohlene Aufforderung an Scholz und bedeutet so viel wie: Als großes Euro-Land mit hohen Überschüssen sollte Deutschland bitte schnell seine staatlichen Ausgaben steigern, um Europa so vor einer ernsten Krise zu bewahren. "Wir sind der Meinung, dass diese Strategie ab sofort aktiviert werden müsste", referiert Le Maire die französische Position. Er mag bestens Deutsch sprechen. Aber er denkt französisch, erst recht, wenn es um Finanzpolitik geht. Viele internationale Experten geben ihm dabei angesichts des Abschwungs in Europa recht.

Scholz steht daneben und sagt nichts. Er kennt die Begehrlichkeiten nach dem deutschen Geld und belässt es bei dem vorbeugenden Hinweis, den er schon im Eingangsstatement zur Pressekonferenz im Pariser Ministerium losgeworden ist: "Wir haben ein hohes Maß an Investitionen. Wir sind gewillt, das weiter so zu handhaben." Der deutsche Minister möchte sich nicht drängen lassen. Erst wenn eine wirklich tiefe Krise eintritt, will er die Wirtschaft mit Staatsgeld stützen. Und der Verzicht auf einen ausgeglichenen Haushalt kommt für ihn selbst dann nicht in Frage. Le Maire hingegen, dessen Land seine Neuverschuldung nur mühsam abbaut, kritisierte schon vor Wochen die deutsche Politik der schwarzen Null in Anbetracht von Minuszinsen als "Ideologie". Allerdings tut er das nicht, wenn Besuch aus Berlin da ist.

So höflich der Umgang miteinander ist, so hart prallen beim deutsch-französischen Wirtschaftsrat, für den Scholz und Altmaier nach Paris gekommen sind, die Ansichten in der Sache aufeinander. Solchen Streit sind die Regierungen im Prinzip gewohnt - es ist deutsch-französische Normalität. Ungewohnt sind allerdings die Vorzeichen, unter denen die Auseinandersetzung abläuft. Diese Vorzeichen haben sich in den vergangenen Monaten verkehrt, die Gewichte im Verhältnis der beiden stärksten Wirtschaftsmächte Europas haben sich verschoben.

Während Deutschland gegen eine Rezession ankämpft und trotzdem keinen Anlass für Konjunkturhilfen sieht, widersteht Frankreich mit einem Wachstum der Wirtschaftsleistung von voraussichtlich 1,3 Prozent in diesem Jahr wacker dem Abschwung. Nachdem sich die Franzosen von den Deutschen ein Jahrzehnt lang viel Besserwisserei anhören mussten, erlauben sie sich nun ihrerseits ungebetene Ratschläge an den deutschen Finanzminister. Staatspräsident Emmanuel Macron hatte schon im Frühjahr süffisant angemerkt: "Deutschland befindet sich am Ende eines Wachstumsmodells, das sehr von den Ungleichheiten im Euroraum profitierte."

Im neu definierten deutsch-französischen Spannungsfeld hat es Altmaier etwas leichter als Scholz. Als Wirtschaftsminister kann er mit Le Maire regelmäßig neue binationale Initiativen verkünden. So auch am Donnerstag: Ein deutsch-französisches Konsortium zum Bau von Batterien für E-Autos wird demnächst eine erste Fabrik in Frankreich errichten; bis 2023 soll das politisch forcierte Batteriebündnis, zu dem unter anderem die Peugeot-Tochter Opel gehört, auch in Deutschland ein Werk betreiben. Außerdem stoßen Altmaier und Le Maire den Aufbau einer deutsch-französischen Cloud an. Der IT-Speicher soll "eine europäische Alternative für souveräne Dateninfrastruktur" sein, so Altmaier, damit europäische Unternehmen zur Aufbewahrung ihrer Daten nicht auf chinesische oder auf US-Anbieter angewiesen sind.

Noch etwas haben Scholz, Altmaier und Le Maire zu verkünden: Sie berufen am Donnerstag eine Art Rat von Wirtschaftsweisen aus beiden Ländern. Zu ihm gehören auf deutscher Seite etwa Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, und Ifo-Präsident Clemens Fuest.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2019
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