Wirtschaftspolitik der Tea Party:Feindbild Staat

Sozialversicherungen sind ein Pyramidensystem, neue Regeln für Banker Unsinn und den Chef der Notenbank könnte man teeren und federn. Die wirtschaftspolitischen Ideen der Tea Party haben wenig mit Nüchternheit und Zurückhaltung zu tun - dafür aber viel mit Wiener Kaffehäusern.

Jannis Brühl

Aus den "Baby-Killern" sind "Job-Killer" geworden. So nennt Michelle Bachmann die Gesundheitsreform von Barack Obama. Sie ist Kandidatin im Vorwahlkampf der US-Republikaner und vertritt den radikalen Tea-Party-Flügel der Partei. Vergangene Wahlkämpfe waren immer auch Kulturkämpfe, Konservative griffen Demokraten wegen ihrer Position zu Abtreibung oder Homo-Ehe an. Aber bei der Debatte der republikanischen Kandidaten am Dienstagabend, der ersten seit drei Wochen, geht es vor allem um eins: die Wirtschaft.

Michele Bachmann

Kandidatin Michele Bachmann hält nichts davon, Gewinne aus Kapitalanlagen zu versteuern.

(Foto: AP)

Früher mussten republikanische Kandidaten noch von der Christlichen Rechten abgesegnet werden. Heute hat die Tea Party diese Rolle übernommen. Wer die Nominierung will, sollte nach ihrer Pfeife tanzen. "Libertarismus - der Glaube an einen schwachen Staat - ist der neue Lackmustest für Bewerber", schreibt Reuters-Journalist Nicholas Wapshott. "Allerdings überschneiden sich beide Gruppen", schränkt Matthias Fifka ein, Politikwissenschaftler an der Uni Erlangen-Nürnberg und der Cologne Business School: "55 Prozent der Tea Party-Anhänger sehen die USA als rein christliche Nation."

Bei mehr als neun Prozent Arbeitslosigkeit heißt die Gretchenfrage, die jeder Kandidat beantworten muss, also: Wie hältst du's mit der Wirtschaftspolitik? Und in der Tea Party lautet die Antwort darauf meist: Der Staat ist der Feind jedes ökonomischen Erfolgs. Er muss zurückgefahren werden. Von Rick Perry und Michele Bachmann bis zu Hermann Cain: Staatsfeindlichkeit ist zentral für die Ideologie der Tea-Party-Kandidaten.

Die Wirtschaft steht im Mittelpunkt der Debatten innerhalb der republikanischen Partei - doch ins Detail gehen die Bewerber nur selten. Eine kohärente Arbeitsmarktpolitik hat denn auch keiner anzubieten - wenn staatlicher Einfluss zurückgefahren würde, könnten die Unternehmen von selbst Jobs schaffen, so die Logik. Einige grobe Linien, mit denen dieses Ziel ereicht werden soll, lassen sich herausarbeiten:

[] Steuern Den völlig überschuldeten Haushalt soll die Regierung sanieren - aber bitte durch Ausgabenkürzungen statt Steuererhöhungen, so sehen es Tea-Party-Politiker. Das Mantra von Bachmann, Perry und Cain: Mit uns wird es keine Steuererhöhungen geben. Die derzeit bis zu 35 Prozent Kapitalertragssteuer wollen sie gleich ganz streichen. Kritiker sagen: Das begünstige Amerikas Reiche, die einen großen Teil ihres Einkommens aus Aktien und anderen Geldanlagen beziehen. Stimmt nicht, sagen Bachmann & Co: Auch der Durchschnittsamerikaner hätte so einen größeren Anreiz, Geld fürs Alter zu sparen.

Die Kandidaten treffen einen Nerv: Das US-Steuersystem mit all seinen nationalen und bundesstaatlichen Steuern sowie vielen Schlupflöchern ist selbst von Experten kaum noch zu durchblicken. Großmeister im Vereinfachen ist Herman Cain, Geschäftsmann und einziger Afro-Amerikaner im Rennen. Seit Rick Perry sich in der letzten Debatte mit konfusen Angriffen auf Romney zum Gespött machte und Cain die Test-Abstimmung in Florida haushoch gewann, steht der ehemalige Pizza-Millionär im Fokus der Öffentlichkeit. Er macht Werbung für seinen "9-9-9-Plan": Neun Prozent Einkommensteuer, neun Prozent Körperschaftsteuer für Unternehmen, neun Prozent Mehrwertsteuer.

[] Staatsausgaben Zusammen mit Medicare und Medicaid, den medizinischen Programmen für Rentner und Arme, machen die Sozialversicherungen mehr als 40 Prozent der Ausgaben im US-Haushalt aus. Weil der zweite große Brocken, Ausgaben fürs Militär, unter Republikanern tabu ist, wollen die Kandidaten hier den Rotstift ansetzen. Kürzungen von Leistungen für Arbeitslose oder Medicaid für Arme gefallen den im Schnitt gutverdienenden Tea-Party-Anhängern. Rick Perry spitzt die Kritik an den staatlichen Programmen zu: Der Gouverneur von Texas nennt die Sozialversicherung ein "Ponzi Scheme" - ein betrügerisches Pyramidensystem. Schließlich würden langfristig nicht genug arbeitende Amerikaner einbezahlen, um die Ausgaben zu decken.

Doch dass ein Präsident aus dem Dunstkreis der Tea Party sich wirklich an Medicare herantraut, ist unwahrscheinlich. Denn bei allen staatsfeindlichen Parolen: Wie so viele Amerikaner profitiert auch ein großer Teil ihrer Anhänger von den staatlichen Zahlungen, welche die Bewegung bekämpfen will. Rentner kassieren Social Security, andere hätten ohne staatliche Subventionen an Unternehmen längst ihren Job verloren. Irritiert befand der Journalist Matt Taibbi nachdem er mehrere Demonstrationen besucht hatte: "Der durchschnittliche Tea-Party-Anhänger ist ehrlich gegen Staatsausgaben - mit Ausnahme das Geldes, das für ihn ausgegeben wird." Personifiziert wird der Widerspruch von Kandidatin Michele Bachmann: Die Tea-Party-Scharfmacherin kämpft gegen eine starke Zentralregierung und die Steuern, die sie eintreibt. Worüber sie ungern mit ihren Anhängern spricht: Sie arbeitete selbst vier Jahre als Steuerbeamtin.

Die Notenbank? Abschaffen!

[] Gesundheitsreform: Eines der wichtigsten Themen für die republikanischen Herausforderer ist die Gesundheitsreform vom Frühjahr 2010. Auch wenn er während zäher Verhandlungen viele Kompromisse schließen musste, am Ende betrat Obama mit den beiden Gesetzen Neuland: Erstmals hat er unversicherte Amerikaner dazu verpflichtet, eine Krankenversicherung abzuschließen - andernfalls droht eine Strafe. Die Reform bringt Republikaner auf die Barrikaden, der Zwang zur Versicherung widerspricht ihrem Verständnis von staatlicher Zurückhaltung. Die verhasste "Obamacare" wollen alle Bewerber abschaffen, für einen aber könnte genau das zum Problem werden: Mitt Romney unterschrieb 2006 als Gouverneur von Massachusetts eine ähnliche Reform für den Bundesstaat, die Obama gar explizit als Vorlage für sein nationales Gesetz nennt - was nun zum Glaubwürdigkeitsproblem für den Favoriten wird. "Romneycare" und "Obamacare" ähneln sich so sehr, dass sich amerikanische Journalisten einen Spaß daraus gemacht haben, ein "Finde-den-Unterschied"-Quiz über beide Gesetze zu basteln. Romney ist selbst kein Tea-Party-Kandidat. Gefallen muss er den Radikalen trotzdem: Er verspricht, Obamas Reform gleich am ersten Tag seiner Präsidentschaft auszusetzen.

[] Notenbank Federal Reserve: Die Fed, die amerikanische Zentralbank, gilt als unabhängig, Politiker reden ihr meist nicht in ihre Arbeit hinein. Im Vorwahlkampf brechen die Republikaner mit dieser Tradition. Ihre Führer im Kongress schrieben einen Brief an Fed-Chef Bernanke: Die Interventionen in die Wirtschaft müssten aufhören. Es war der Versuch, die "Operation Twist" aufzuhalten, in deren Rahmen die Zentralbank langfristige Anleihen im Milliardenwert aufkauft, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die Niedrigzinspolitik der Fed schwäche den Dollar und damit das Vertrauen der Anleger in die USA. Außerdem treibe das billige Geld, mit der die Notenbank die Wirtschaft versorge, die Inflation hoch - derzeit beträgt sie 3,8 Prozent. Die Vorteile einer schwachen Währung ignorieren die Wahlkämpfer, so gut eignet sich die Fed als Feindbild: In Zeiten der Rezession könnte ein schwacher US-Dollar den Export ankurbeln und Jobs schaffen, die vor allem in der Industrie verschwunden sind. Außerdem verlieren bei hoher Inflation auch die Staatsschulden an Wert.

Die republikanischen Kandidaten schrecken auch vor den übelsten Vorwürfen nicht zurück, wenn es um die Notenbank geht: Gouverneur Perry rückte Bernankes aktive Wachstumspolitik in die Nähe des Landesverrats. "In Texas würden wir ihn ziemlich übel behandeln" - viele sahen darin eine Anspielung auf "Teeren und Federn", eine Form von Selbstjustiz aus Wildwest-Zeiten. Romney und Bachmann versprechen, Bernanke nicht noch einmal zu nominieren, sollten sie die Wahl gewinnen. Alle wollen die Bücher der Fed stärker prüfen lassen. Ron Paul, der am deutlichsten libertären Positionen vertritt, aber als chancenlos gilt, will sie gleich ganz abschaffen.

[] Bankenregulierung: Die Tea Party wird allgemein als Bewegung gegen Obama gesehen. Doch für Politikwissenschaftler Fifka war sie das nicht immer: Die ersten Proteste fanden 2008 statt, als Reaktion auf die Milliardensummen, mit denen die Regierung von George W. Bush in der Krise die Banken rettete. Das hatte in den Augen Vieler nichts mit "Small Government" zu tun, für das republikanische Politik eigentlich stehen sollte. Doch die Zeiten haben sich geändert: An einer strengeren Bankenregulierung hat heute keiner der favorisierten Kandidaten Interesse: Der Dodd-Frank-Act, das 848-Seiten-Gesetz, das die Finanzmärkte nach der Krise zähmen soll, gilt ihnen als politisches Teufelswerk. Die Einschränkungen beim Handel mit Derivaten und riskante Wetten von Banken kosteten Jobs, wie jede "Überregulierung" durch die Regierung. Dodd-Frank verunsichere die Banken, sie verliehen deshalb weniger Geld, was die Wirtschaft bremse. Vor allem Romneys Interesse ist offensichtlich: Er verdiente seine Millionen selbst mit einem Hedge-Fonds. Im Gegensatz zu den hemdsärmligen Provinzkandidaten Bachmann und Perry ist er der Lieblingskandidat der Wall Street. Investmentbanken und Hedge-Fonds stehen ganz oben auf seiner Spenderliste.

Ideengeschichtlich lassen sich die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Tea Party ironischerweise ins Herz des alten Europa zurückverfolgen, genauer gesagt in die Wiener Kaffehäuser Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Ökonomen Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek wanderten aus und brachten die Österreichische Schule der Wirtschaftstheorie nach England und in die Vereinigten Staaten. Viele ihrer Vorschläge finden sich im Libertarismus wieder, der Ansicht, dass fast alle staatlichen Aktivitäten Angriffe auf die Freiheit des Einzelnen sind. Ökonom Hayek sprach sich gar dafür aus, die Geldproduktion der Zentralbank zu entreißen und sie auch anderen Banken zu ermöglichen. Fifka sagt: "Die führenden Vertreter der Tea Party zitieren immer wieder die Österreicher." Neben dem konservativen Denken ist der Libertarismus die zweite Wurzel der Tea Party.

Vor allem Hayek entwarf das Gegenmodell zu John Maynard Keynes' nachfrageorientierter Wirtschaftspolitik, nach der die Regierung in der Krise Geld in die Wirtschaft pumpen soll. Diesen Ideen folgt Präsident Obama. Seit Wochen wirbt er um Unterstützung für seinen American Jobs Act. Fast 450 Milliarden Dollar sollen fließen, Brücken gebaut und Schulen renoviert werden. Solche keynesianischen Staatsinterventionen sind nach Hayeks Theorie nicht Lösung, sondern Ursache einer Wirtschaftskrise - weil das Geld falsch und ineffektiv investiert werde, neue Jobs würden nicht geschaffen.

Die Demokraten sind wütend. Die wirtschaftspolitischen Thesen der Tea Party halten sie für so wirr, dass es schwer ist, sich dagegen zu verteidigen. Der ehemalige Präsident Bill Clinton wütete vor wenigen Wochen am Rande einer Konferenz vor Bloggern über die "faktenfreie Debatte" über die Wirtschaft, welche die Tea Party befeuere: "Du kannst dich hinstellen und einfach irgendetwas behaupten und niemand schreitet ein. Es ist verrückt."

Die Strategie, wieder und wieder die Wirtschaftspolitik des Amtsinhabers zu attackieren, hat die Tea Party nicht erfunden. Ein demokratischer Politiker hatte 1992, kurz nach einer US-Rezession, George H. W. Bush aus dem Amt gejagt. Das Mantra seiner Kampagne: "Es geht um die Wirtschaft, Idiot!". Sein Name: Bill Clinton.

In einer älteren Version dieses Artikels war die Rede davon, dass Friedrich August von Hayek sich für die Privatisierung der US-Notenbank ausgesprochen habe. Tatsächlich wollte er aber das Privileg des Zentralbanksystems, Geld zu drucken, abschaffen. Das derzeitige System der US-Notenbanken besteht sowohl aus privaten als auch staatlichen Elementen. Private Banken halten Anteile an der Notenbank. Gleichzeitig ernennt aber der Präsident den Zentralbankchef, der dem Kongress Rechenschaft schuldig ist. Zusätzlich streicht der Staat den jährlichen Gewinn der Fed ein.

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