Wirtschaftspolitik:Der Salesmanager Italiens

Als Ferrari-Manager verkaufte Carlo Calenda Luxusautos in den USA, als Vize-Industrieminister treibt er nun die Exportoffensive seiner Heimat voran.

Von Ulrike Sauer

Bescheidenheit ist nicht seine Sache. Als Matteo Renzi im Februar im Turiner Fiat-Werk Mirafiori den anbrechenden italienischen Auto-Aufschwung bejubelte, legte er die Latte für sein krisengebeuteltes Land hoch. "Die Deutschen? Die holen wir ein", sagte der Regierungschef aus Rom. Ein echter Renzi-Spruch war das.

Als zweitgrößter Güterhersteller Europas soll Italien also Deutschland vom ersten Platz verdrängen. Der junge Premier wirkt bei solchen Gelegenheiten wie ein Coach, der sein verzagtes Team anfeuert.

Pier Carlo Padoan, ehemals Wirtschaftsprofessor und heute Finanzminister, schlägt da maßvollere Töne an: "Nicht nur Deutschland weist einen Überschuss in seiner Handelsbilanz aus", bemerkte Padoan neulich spitz. Italiens Handelsbilanzsaldo erreichte 2014 mit 43 Milliarden Euro den höchsten Stand der vergangenen zehn Jahre. Im laufenden Jahr hofft man in Rom, die 50-Milliarden-Euro-Marke zu durchbrechen. Wenn es der Schwächeanfall der Schwellenländer zulässt.

Im Juni legten die Exporte um 9,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zu. In einem Land wie Italien, wo der soziale Abstieg breiter Bevölkerungsschichten verhindert, dass mehr konsumiert wird, müssen nach drei Jahren Rezession zwangsläufig die Exportunternehmen für das Erwachen aus dem Konjunkturkoma sorgen.

Der Mann, der die Weltmarktoffensive Italiens vorantreibt, heißt Carlo Calenda. Er ist als Vizeminister im Industrieministerium für die Internationalisierung der Wirtschaft zuständig. Für Politik sei er unbegabt, sagt er über sich. 2013 gehörte Calenda zu den sechs Gründern der Partei Scelta Civica von Ex-Premier Mario Monti. Italiens größtes politisches Desaster, meint er amüsiert. Ein Abgeordnetenmandat errang Calenda nicht. Die unpopuläre Zentrumspartei löste sich nach den Wahlen in Rekordzeit in Luft auf.

Die italienischen Unternehmer aber halten große Stücke auf den 42-Jährigen. Calenda, der frühere Ferrari-Manager, hatte sich bereits unter Regierungschef Enrico Letta bemüht, die italienischen Firmen beim Sprung ins Ausland zu unterstützen, insbesondere auf die weit entfernten Boommärkte. Er war der Einzige, auf den Renzi aus dem Kabinett des Vorgängers nicht verzichten wollte. "Ich bin der Salesmanager Italiens", sagt der gebürtige Römer Calenda. Und verkaufen kann er.

A man tries to take a picture of a Ferrari LaFerrari sports car parked at the entrance of the New York Stock Exchange in New York

Bild aus ungewohnter Perspektive: Dieser Ferrari parkt vor der New Yorker Börse. In den USA verkaufen sich die Luxusflitzer fast von selbst.

(Foto: Eduardo Munoz/Reuters)

Die Regierung strebt mittelfristig eine Anhebung der Exportquote von 30 auf 50 Prozent an. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr lag Deutschlands Ausfuhranteil bei 46 Prozent.

Rom will die Exportquote auf 50 Prozent anheben - mehr als in Deutschland

Anfang dieses Jahres trat in Rom ein Aktionsplan zur Internationalisierung der Unternehmen in Kraft. Er lässt den Neuanfang Italiens auch im Außenhandel erkennen. Ziel ist es, in drei Jahren den Wert der Ausfuhren um immerhin 50 Milliarden Euro zu steigern. Zu den 200 000 Exportunternehmen, die es schon jetzt im Land gibt, sollen 20 000 Firmen hinzustoßen, die bereits fit für den Weltmarkt sind, aber den Schritt nicht allein schafften. Die Italiener wähnen ihre große Chance. Weltweit wächst die Nachfrage, und die rasch wachsenden Mittelschichten in den Schwellenländern können sich immer teurere und luxuriösere Waren leisten. Das kommt Italien mit seiner Produktspezialisierung sehr entgegen.

Calenda rechnet damit, dass in den kommenden 15 Jahren 800 Millionen Menschen zur globalen Mittelklasse hinzustoßen. Ihnen kann das Land viel Schönes bieten, für die italienischen Momente im Leben. Esskultur, Wein, Mode, Möbel, Design. "In der Welt gibt es einen großen Hunger auf Italien", versichert die Industrieministerin Federica Guidi.

Ihr Ministerium stellt 260 Millionen Euro für Calendas Exportoffensive bereit. Damit sollen ausgewählte Messen in Italien gestärkt und italienischen Produkten der Vertriebskanal des internationalen Großhandels geöffnet werden. Calenda dachte sich zudem die Figur des "Exportmanagers auf Zeit" aus, der mittelständischen Firmen vorübergehend beim Eintritt in neue Märkte zur Seite steht. "Das Instrument erweist sich als ausgesprochen wirkungsvoll, von 100 Unternehmen gelang 75 so die Internationalisierung", sagt er. Auch beim Einstieg ins Online-Geschäft ist das Programm behilflich.

Für Italiens Wirtschaft ist der neue Kurs ein Riesenfortschritt. Die Regierungen in Rom krümmten früher keinen Finger, um den kleinen und mittelgroßen Unternehmen bei Geschäften im Ausland zu helfen. Dem Mailänder Medienmagnaten Silvio Berlusconi waren Exportmärkte schnuppe. Als Ministerpräsident machte er, just in den Jahren, in denen die Globalisierung schlagartig neue Absatzregionen schuf, das Außenhandelsinstitut ICE dicht. Er empfand es als überflüssig. Nun war das staatliche Amt in der Tat nicht besonders schlagkräftig gewesen. Italienische Unternehmer hat es immer deprimiert zu sehen, wie die deutschen oder französischen Konkurrenten von ihren Regierungen in der Ferne gepusht wurden. Sie fühlten sich bei der Eroberung neuer Kunden ganz auf sich allein gestellt.

Nun ist das ICE wie Phönix aus der Asche auferstanden. Neuerdings kümmert es sich auch um die Anwerbung ausländischer Investoren, wofür es mit einem Etat von fünf Millionen Euro ausgestattet wurde. Damit sei die Summe erstmals mit den Budgets der Hauptrivalen vergleichbar, sagt ICE-Chef Riccardo Monti.

Calenda geht seine Aufgabe sehr praxisbezogen an. Der Politik-Versager ist ergebnisorientiert, auslandserfahren und marketingkundig. Er hat Jura mit Schwerpunkt Internationales Recht studiert. Nach dem Examen fing er in der Finanzbranche an. Bei Ferrari entdeckte er seine Neigung für den Vertrieb. Ein Traumjob sei es, für den Sportwagenbauer in den USA zu arbeiten. Dort verkauften sich die Luxusflitzer von selbst, die Kunden warten zweieinhalb Jahre auf ihr Auto. Calenda wechselte dann als Marketingchef zum Fernsehsender Sky Italia. Danach war er vier Jahre beim Industrieverband Confindustria für internationale Angelegenheiten zuständig.

General Affairs Council on Trade

Carlo Calenda, 42, Vize-Industrieminister Italiens, wirbt für die Exportwirtschaft seines Landes. Verkaufen hat Calenda bei Ferrari in den USA gelernt.

(Foto: Julien Warnand/dpa)

Nun verkauft er Italien, ein Land, das gegen einen Berg von Vorurteilen ankämpft. In Davos auf dem Weltwirtschaftsforum präsentierte Calenda im Januar ein viel beachtetes Video. Es war der Startschuss zu einer Imagekampagne, mit der er die ausgeprägte Klischeehaftigkeit des Italienbildes überwinden will. Der ironische Spot "Italy - an extraordinary commonplace" spielt mit den Vorurteilen. Pizzabäcker? Italien ist führend in der Errichtung großer Infrastrukturprojekte - es ist an 1000 Bauvorhaben in 90 Ländern der Erde beteiligt. Latin Lover? Italien erwirtschaftet den fünftgrößten Handelsüberschuss bei Industrieerzeugnissen weltweit. Partylöwen? Italiener stellen ein Drittel der weltweit eingesetzten Kontrastmittel her und verbuchen den größten Zuwachs beim Export von Pharmaka und biomedizinischen Geräten. Gebärdenspieler? Sie sind Europas zweitgrößte Exporteure von Robotern und Fabrikanlagen.

Kreativität liegt bei Calenda in der Familie. Die Filmemacherin und Schriftstellerin Cristina Comencini ist seine Mutter. Er selbst stand mit zehn Jahren vor der Kamera und spielte die Hauptrolle in der Fernsehverfilmung des Kinderbuch-Klassikers "Cuore". Die Regie führte Großvater Luigi Comencini. Der Vater Fabio Calenda ist Ökonom.

In den Mittelpunkt der Wachstumshoffnungen Italiens rückte in diesen Monaten die Weltausstellung in Mailand. Noch bis zum 31. Oktober zeigt sich das Land auf der Expo zum Thema "Den Planeten ernähren" von seiner starken Seite. Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte am Montag die Weltausstellung und ließ sich von Renzi zum Abendessen in den italienischen Pavillon einladen.

Calenda hält die Expo für wichtig, nicht als Schaufenster, sondern als Ort fürs Networking in der Industrie.

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