Süddeutsche Zeitung

Wirtschaftspolitik:Der Koalitionsvertrag ist besser, als viele glauben

Union und SPD geben erstaunlich viele Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit - vor allem im Bereich der Digitalisierung.

Kommentar von Ulrich Schäfer

Früher wurde die Wirtschaftspolitik vor allem daran gemessen, ob sie die Steuern und Sozialabgaben kräftig senkt und Bürokratie abbaut. Früher: Das war vor der großen Finanzkrise, vor der allumfassenden Digitalisierung, das war zu einer Zeit, als Deutschland noch als der "kranke Mann Europas" galt und nicht als Exportweltmeister.

Heute, in einer Zeit des rasanten technologischen Wandels, muss man andere Kriterien mit hinzuziehen, um die Wirtschaftspolitik der großen Koalition zu bewerten. Die Frage, wie gut sich Deutschland für die Digitalisierung und den Wandel in der Arbeitswelt rüstet, ist mindestens so wichtig wie die Steuergesetze. Wird genug investiert in Technologien, Infrastruktur, Bildung? Werden die Menschen auf den Wandel vorbereitet? Und wird das flexible Arbeiten erleichtert?

Nimmt man all diese Kriterien, die alten und die neuen, ist das, was Union und SPD vereinbart haben, gar nicht so schlecht, wie es von vielen gerade gemacht wird. So werden die Sozialabgaben zwar nicht massiv gesenkt, aber ein wenig, um 0,3 Prozentpunkte bei der Arbeitslosenversicherung. So steht im Koalitionsvertrag zwar keine große Steuerreform, aber eine kleine: Der Solidaritätszuschlag soll weitestgehend verschwinden. Das entlastet Bürger und Unternehmen um zehn Milliarden Euro pro Jahr. Klingt nach wenig, zumal verglichen mit der Reform von Donald Trump, die im Durchschnitt 150 Milliarden Dollar pro Jahr kostet. Ist aber nicht wenig. Berücksichtigt man nämlich, dass die Wirtschaft der USA fast sechsmal so groß ist wie die Deutschlands, so bringt der Soli-Abbau mehr als 40 Prozent dessen, was der US-Präsident verteilt. Ein Problem allerdings bleibt: Trump senkt die Steuern jetzt, die Groko will das erst 2021 tun.

Andererseits wenden sich Union und SPD recht umfassend der Digitalisierung zu, jenem Feld, auf dem Deutschland lange als rückständig galt, es aber dank der Industrie 4.0 nicht mehr ist. Das Digitale zieht sich wie ein roter Faden durch den Koalitionsvertrag. Das beginnt mit den zehn Milliarden Euro, die Union und SPD in den Breitbandausbau stecken wollen - verbunden mit einem Rechtsanspruch auf schnelles Internet, der von 2025 an gelten soll. Es geht weiter mit Programmen zur digitalen Aus- und Weiterbildung, zu Investitionen in die digitale Infrastruktur der Schulen. Die Groko will selber viel investieren, aber auch die Forschung von Unternehmen steuerlich fördern, vulgo: Innovationen erleichtern, gerade in Zukunftstechnologien wie der Robotik, dem autonomen Fahren oder der künstlichen Intelligenz, wo Deutschland zur führenden Kraft werden soll.

Einiges bleibt nach wie vor unkonkret

Parallel dazu will die Groko den Wandel in der Arbeitswelt voranbringen. Eine kleine Revolution wäre es zum Beispiel, wenn es nach dem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz auch einen Anspruch auf die Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern geben sollte. Gewiss, die Kommunen sind dagegen, denn der Ausbau von Horten kostet, wie bei den Kitas, sehr viel Geld. Aber er würde jungen Paaren dabei helfen, dass beide arbeiten können - und zwar so flexibel, wie es der technologische Wandel in der Wirtschaft erfordert.

Unterm Strich steht: Die große Koalition macht nicht alles richtig, bleibt in manchem zaghaft oder unkonkret. Und doch enthält der Koalitionsvertrag weit mehr Antworten auf die Herausforderungen dieser Zeit, als die meisten meinen.

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SZ vom 09.02.2018/vit
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