Wirtschaftspolitik der CDU:Merkel hinterlässt eine Industrienation auf Autopilot

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Im Grunde genommen hat die Kanzlerin keine Wirtschaftspolitik betrieben. Sie hinterlässt eine Industrienation auf Autopilot. (Foto: AFP)

Wirtschaftspolitisch hat die Kanzlerin kaum etwas angepackt, in der Euro-Krise hat sie Fehler begangen. Was ihr Nachfolger anders machen muss.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Angela Merkels Abschied von der Macht läutet auch den der Bundesrepublik aus einem gefühlten Paradies ein. Zumindest, was die wirtschaftlichen Kennziffern betrifft, war die deutsche Volkswirtschaft nie stärker als heute. Es gibt 45 Millionen Erwerbstätige, volle Auftragsbücher, überdurchschnittlich hohe Exporte. Die Zahlen lesen sich erfreulich. Sie bedeuten aber nicht, dass sich Merkels Nachfolger zurücklehnen können; im Gegenteil. Dass es so gut gelaufen ist, liegt auch an einem Umfeld, für das Merkel kaum verantwortlich ist. Weil sich dieses gerade deutlich ändert, werden Kurskorrekturen unvermeidlich.

Die Wahl der ostdeutschen Physikerin an die Spitze der CDU und später als Kanzlerin hat bei Ökonomen keine Jubelstürme ausgelöst. Es war die Zeit der Bierdeckelsteuer, des Sozialabgabestreits und des Standortwettbewerbs. Merkel hat diesen wirtschaftspolitischen Misstrauensvorschuss für sie typisch aufgelöst. Sie hat ihn ausgesessen, in dem sie im Grunde genommen keine Wirtschaftspolitik betrieben hat - sondern die entwickelte deutsche Industrienation auf Autopilot laufen ließ. Es gab keine Steuerreform. Keinen grundsätzlichen Umbau der Sozialsysteme. Das Wirtschaftsministerium beließ sie in den Händen ihrer jeweiligen Koalitionspartner. Dass gerade doch ein CDUler das Haus leitet, ist ein Kollateralschaden der letzten langwierigen Regierungsbildung. Merkel musste nehmen, was die Koalitionspartner übrig gelassen hatten.

Für die Kurskorrektur spricht, dass Merkels Nachfolger nicht darauf hoffen kann, dass die äußeren Umstände so gut bleiben wie sie sind. Der niedrige Ölpreis hat die Produktionskosten in Deutschland erheblich gesenkt, die extrem niedrigen Zinsen ebenso. Der aus deutscher Sicht unterbewertete Euro hat deutsche Güter im Ausland so verbilligt, dass die Exportüberschüsse überdurchschnittlich gestiegen sind. Die deutsche Volkswirtschafts ist also eben nicht überdurchschnittlich effizient, sondern begünstigt. Fielen die günstigen Umstände weg, müsste bei der Effizienz justiert werden.

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Die Kandidaten für den Parteivorsitz sollen offenbar auf Regionalkonferenzen an verschiedenen Orten in Deutschland auftreten. Viel Zeit bleibt allerdings nicht.

Merkel hatte aus wirtschaftspolitischer Sicht nur eine wirklich große Krise zu bewältigen. Das war 2008, als weltweit die Banken wankten und auch der Standort Deutschland. Innenpolitisch traf die Kanzlerin die richtige Entscheidung. Der Staat investierte in Kurzarbeitergeld und Verschrottungsprämien, das kurbelte den Konsum an und hielt die Facharbeiter in Arbeit. Was sich heute angesichts des Mangels doppelt auszahlt. Dass sie gleichzeitig anderen Staaten verwehrte, ebenso zu investieren und damit deren selbst ausgelöste Krisen durch Austeritätsauflagen befeuerte, zählt indes zu den großen Fehlern Merkels. An den Folgen in Europa wird ihr Nachfolger zu tragen haben.

Einfach nur konservativ oder sozial, das reicht nicht mehr

Auffällig ist, dass sich die staatlichen Förderkonzepte geändert haben. Als Merkel übernahm, kümmerte sich der Staat um kleine Unternehmer; um den Mittelstand als das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Heute will er große Unternehmen schaffen oder ganze Industriezweige neu erfinden, europäisches Beihilferecht hin oder her. Da wird eine Batteriezellenbranche aus dem Boden gestampft, E-Autos werden gefördert und künstliche Intelligenz staatlich finanziert aufgebaut. Das kann man natürlich begründen damit, dass international der Wettbewerb rauer wird, dass der Nationalismus voranschreitet und somit deutschen Firmen Zugang zu anderen Märkten verschließt. Aber ist staatliches Investment in Industriegiganten die richtige Antwort? Nein.

Die CDU steht nach 18 Jahren Merkel für wirtschaftspolitischen Pragmatismus. Sie ist in die Mitte der Gesellschaft gerückt, dorthin, wo sich soziale Ziele mit konservativ-ordnungspolitischen und liberalen Überzeugungen treffen. Die jüngsten Wählerwanderungen weg von der CDU und weg von der SPD zeigen, dass es den Bürgern so nicht mehr reicht. Sie verlangen klare Ziele und feste Standpunkte, also genau das, was Merkels Politikstil, sich gerne erst ganz zum Schluss festzulegen, nicht wirklich entspricht.

Ihrem Nachfolger im Amt ist dennoch nicht zu empfehlen, sich einfach das Label konservativ oder sozial zu geben. Alles spricht dafür, es mit einer ganz neuen Ansage zu versuchen: dem Aufbruch in die Moderne. Wer künftig an der Spitze der größten Volkspartei steht, muss die ganze Zukunft im Blick haben - wenn er sie groß halten will. Was es braucht, ist eine kluge Regulierung des Digitalen, ein modernes Steuer- und Abgabensystem, die gerechte Finanzierung staatlicher Aufgaben und das Bepreisen des ökologischen Fußabdrucks. Wer ein schlüssiges Konzept anbietet, gehört an der Spitze der CDU.

© SZ vom 06.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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