Wer sich ein erstes Bild machen wollte, wie dieser mutmaßlich so geschichtsträchtige Mittwochnachmittag wohl ablaufen wird, der konnte das am Morgen im Berliner Hotel Adlon schon einmal tun. Denn bereits beim SZ Wirtschaftsgipfel – und damit nur wenige Stunden vor dem geplanten Schlagabtausch mit Olaf Scholz im Bundestag – ist Friedrich Merz in Spott- und Angriffslaune.
Scholz? Cooler als er, Merz, so wie es der Bundeskanzler kürzlich behauptet hatte? Der Oppositionsführer muss lachen, und verpasst dem einstigen Ampel-Chef dann eine verbale Kopfnuss: „Wenn man eine solch komplexe Koalition führt, dann muss man sehr viel Zeit darauf verwenden, sie nach innen zusammenzuhalten und sie nicht ständig nach außen streiten zu lassen“, sagt der CDU-Vorsitzende und lässt damit keinen Zweifel daran, was er von den Führungsqualitäten des Kanzlers hält. Dass die SPD dennoch mit Scholz in die vorgezogene Bundestagswahl gehen müsse und ihn nicht durch den populäreren Verteidigungsminister Boris Pistorius ersetzen könne, sei für die Sozialdemokraten eine schwierige Situation. Aber, so Merz: „Mein Mitleid hält sich in Grenzen.“
Am Nachmittag werden der Noch-Kanzler- und der Noch-Oppositionsführer erstmals seit dem Auseinanderbrechen der Ampelkoalition direkt aufeinandertreffen. Scholz will in einer Regierungserklärung im Bundestag erläutern, wann er die Vertrauensfrage stellen wird und wie er sich den Weg zur geplanten Neuwahl am 23. Februar vorstellt. Merz, da kann man gewiss sein, wird mit beißender Kritik antworten und das Scheitern der Koalition wie auch die Zögerlichkeit des Kanzlers in Sachen Vertrauensfrage genüsslich aufspießen.
Auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner – bis zu seinem Rauswurf durch Scholz vor genau einer Woche noch Bundesfinanzminister und immerhin ein denkbarer künftiger Koalitionspartner für die Union –, bekommt schon am Morgen sein Fett weg. Was er, Merz, davon halte, dass Lindner trotz mauer Umfragewerte ein Wahlergebnis von mindestens zehn Prozent für die Freidemokraten als Ziel ausgegeben habe? „Na ja, gute Reise!“, spottet der CDU-Vorsitzende. Und auch Lindners Seitenhieb, die CDU sei ein „Chamäleon“, das immer die Farbe ihres jeweiligen Koalitionspartners annehme, lässt ihn kalt. „Wer hat das gesagt?“, witzelt er, und ergänzt: „Spannend, ja.“ Die CDU habe feste Grundsätze, agiere aber immer auch pragmatisch, sagt er dann. „Wir sind eine Partei, die durchaus weiß, mit der Zeit zu gehen, ohne dass wir der Zeit hinterherlaufen.“
Merz will Rot-Grün nur bei sehr wenigen Gesetzesvorhaben unterstützen
So weit, dass die Union in den Wochen bis zur Neuwahl als Mehrheitsbeschaffer für die Scholz’sche Minderheitsregierung einspringt, geht der Pragmatismus aber nicht. Beim Themas Verbrechensbekämpfung werde man mit Rot-Grün zusammenarbeiten, sagt Merz. Aber schon bei der Beseitigung der kalten Progression wird er sehr zurückhaltend, obwohl auch die Union immer propagiert hat, es könne nicht sein, dass die Menschen trotz unveränderter Reallöhne mehr Steuern zahlen müssten, nur weil die Inflationsrate hoch sei. „Wir sind nicht das Reserverad dieser nicht mehr im Amt befindlichen Koalition“, sagt der CDU-Chef. Es gebe im Moment ja nicht einmal einen Bundeshaushalt für 2025, auf dessen Basis man Änderungen des Steuerrechts beschließen könnte.
Und doch: Gänzlich unflexibel ist die Union nicht, das zeigt eine durchaus überraschende Aussage des Oppositionsführers, die auch im Fall der Bildung einer schwarz-roten Koalition nach dem 23. Februar noch sehr bedeutsam werden dürfte: Denn anders als es viele Äußerungen aus den Reihen der Union bisher nahegelegt haben, ist die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse für den möglichen nächsten Bundeskanzler keineswegs sakrosankt. „Nur die ersten 20 Artikel oder 19 Artikel unseres Grundgesetzes sind unveränderbar – über alles andere kann man selbstverständlich reden“, sagt Merz. Die entscheidende Frage sei allerdings: wozu? Welchen Zweck habe eine solche Reform? „Ist das Ergebnis, dass wir noch mehr Geld ausgeben für Konsum und Sozialpolitik? Dann ist die Antwort nein“, betont der CDU-Chef. „Ist es wichtig für Investitionen, ist es wichtig für Fortschritt, ist es wichtig für die Lebensgrundlage unserer Kinder, dann kann die Antwort eine andere sein.“
Letztlich, so Merz weiter, sei die Schuldenbremse nicht mehr als ein finanzpolitisches Instrument. Die eigentliche Debatte müsse sich darum drehen, wie man Menschen, die sich wirtschaftlich abgehängt fühlten, davon überzeugen könne, ihr Heil nicht bei Populisten und Verschwörungsideologen zu suchen. Wenn Bürger den Eindruck bekämen, dass nur solche Politiker ihre Probleme lösen könnten, dann sei die Demokratie tatsächlich in Gefahr.
Immerhin: In diesem Punkt dürfte Merz mit vielen Bundestagskollegen einer Meinung sein. Sogar mit Olaf Scholz.