Investitionen:Der Bund investiert in die Zukunft – allerdings oft nur theoretisch

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Neue Bahngleise. Deutschland gibt gerade einmal 2,7 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung für öffentliche Investitionen aus. (Foto: Lukas Schulze/dpa)

Immer wieder hatte die Ampelkoalition behauptet, die Investitionen des Bundes in wichtige Zukunftsbereiche lägen auf Rekordniveau. Eine Studie zeigt: In der Theorie stimmt das – in der Realität nicht so ganz.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Zu den gern genutzten Plattitüden des öffentlichen Diskurses in Deutschland gehört der Vorwurf, Politiker könnten nicht mit Geld umgehen: Statt die sauer verdienten Steuermilliarden der Bürger und Betriebe in wichtige Zukunftsprojekte zu investieren, so die Klage, versenkten die Damen und Herren Abgeordneten die Mittel regelmäßig zu großen Teilen im Sozialstaatsnirwana und im Ausland.

In einer umfassenden Studie hat das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) nun erneut den Versuch unternommen, herauszufinden, ob die Kritik berechtigt ist. Antwort: ja und nein. Nein, weil der Bund seine Ausgaben für zentrale Zukunftsthemen wie Klimaschutz und Digitalisierung in den vergangenen sechs Jahren entgegen aller Talkshow-Klischees tatsächlich massiv gesteigert hat. Und ja, weil ein dramatisch hoher Teil der bereitgestellten Mittel regelmäßig nicht abfließt, der Etat insgesamt unverändert von Sozial- und Zinskosten dominiert wird und Deutschland trotz aller Verbesserungen gerade einmal 2,7 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung für öffentliche Investitionen ausgibt. Im EU-Durchschnitt seien es im letzten Jahr 3,6 Prozent gewesen, heißt es in der Untersuchung, die der Süddeutschen Zeitung vorab vorliegt. Die skandinavischen Länder kamen gar auf 4,4 Prozent.

Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), die die Studie in Auftrag gegeben hat, fordert deshalb „eine echte Wende“ in der Haushaltspolitik. Die nächste Bundesregierung müsse sich am Dreiklang „sparen, investieren, reformieren“ orientieren, sagt VBW-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. „Nur so findet unser Land wieder in die Erfolgsspur.“

Die Plan-Ausgaben für die Digitalisierung haben sich seit 2018 verzwölffacht

Um den Haushalt auf seine Zukunftstauglichkeit hin zu untersuchen, hat sich das IW von der üblichen Aufteilung der Ausgaben nach Fachministerien gelöst. Stattdessen werden die bereitgestellten Mittel nach Themen gebündelt, und zwar ressortübergreifend und unter Einschluss von Sondertöpfen wie dem Klima- und Transformationsfonds (KTF). Das ist deshalb sinnvoll, weil ein und dieselbe Aufgabe oft aus mehreren Häusern alimentiert wird. Als zukunftsträchtig gelten nach IW-Definition dabei die Bereiche Klimaschutz, Mobilität, Digitalisierung, Bildung und Forschung, Bauen und Wohnen sowie Umweltschutz. Weitere wichtige Felder sind die Krisenbewältigung und die Verteidigung.

Wie die Studie zeigt, haben sich die im Haushalt vorgesehenen jährlichen Ausgaben für die Digitalisierung zwischen 2018 und 2024 tatsächlich auf gut zwölf Milliarden Euro verzwölffacht. Kein anderer Bereich kommt auch nur annähernd auf eine solche Steigerungsrate. Für den Klimaschutz nimmt der Bund in diesem Jahr auf dem Papier 29 Milliarden Euro in die Hand. Das ist immerhin auch fast das Fünffache des Werts von vor sechs Jahren.

Die Ausgaben für Mobilität steigen von 33 auf 56 Milliarden Euro, wovon vor allem die Schiene profitiert. Für die Bildung stehen nun 22,5 statt 19,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Auch die Umweltschutz- und die Bauausgaben legen um 32 beziehungsweise 55 Prozent zu, wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau. Allerdings verharrt der jeweilige Anteil beider Posten am Gesamthaushalt damit auf dem Niveau von 2018. Für Bildung und Forschung gibt der Bund prozentual betrachtet 2024 sogar deutlich weniger aus als damals.

Bei manchen Programmen wird nicht einmal ein Prozent der Mittel abgerufen

Und noch ein Problem gibt es: Viele der Zahlen existieren nur auf dem Papier, die tatsächlichen Ausgaben nämlich liegen teils signifikant unter den Plan-Werten. Im Bereich der Digitalisierung etwa wurden 2021 und 2022 mehr als 50 Prozent der verfügbaren Mittel gar nicht abgerufen, erst 2023 gelang es, die Abweichung auf minus 37 Prozent zu „verbessern“. Nicht gut sah es zeitweise auch bei den Klimaschutzprojekten aus, die teils gar nicht, teils viel langsamer umgesetzt wurden als vorgesehen. Von den 1,2 Milliarden Euro, die etwa für die Dekarbonisierung der Industrie, also die Umrüstung auf klimafreundliche Energien, eingeplant waren, flossen 2022 ganze neun Millionen ab. Das entspricht einer Quote von 0,75 Prozent.

Auch beim Umweltschutz und im Bereich Bauen und Wohnen lagen die Ist-Werte zeitweise um rund 20 Prozent unter dem Soll. Lediglich bei der Mobilität und der Verteidigung gab es kaum Abweichungen. Gründe sind offenbar die deutlich zielgenauere Planung beim Verkehrswegebau und der militärischen Beschaffung.

Unter dem Strich gibt der Bund ungeachtet aller Rekordmeldungen des früheren Finanzministers Christian Lindner (FDP) immer noch eineinhalbmal mehr für Personal und Zinsen aus als für Sachinvestitionen und Investitionshilfen. Oder, wie Brossardt es ausdrückt: „Wir müssen öffentliche Aufgaben hinterfragen und ganz umfassend Bürokratie und Lasten für Bürger und Wirtschaft abbauen.“ Nur mit einem Kurswechsel nämlich, so der VBW-Geschäftsführer, könne es gelingen, die Ausgaben trotz des demografischen Wandels im Griff zu behalten, eine neue Wachstumsdynamik zu entfachen und die Einnahmen spürbar zu steigern.

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