Großbrittanien:May macht auf Deutschland

Britain's Prime Minister Theresa May speaks with a worker as she visits a joinery factory in London

Premierministerin May besucht im Sommer eine Tischlerei in London: Die Konservative will die Rechte von Beschäftigten stärken und Manager schärfer überwachen. Den Sieg des Brexit-Lagers im Referendum sieht die Politikerin als Zeichen an, dass sich viele Briten abgehängt fühlen und den Eliten misstrauen.

(Foto: Neill Hall/Reuters)
  • Arbeitnehmer sollen in Großbritannien künftig mehr Mitsprache in den Betrieben haben und die Chefs transparenter mit ihren Gehältern umgehen.
  • Auch die Kunden sollen nach den Plänen von Premier Theresa May mehr Einfluss in den Firmen bekommen.
  • Für die britische Wirtschaft wären die Vorstellungen der konservativen Politikerin geradezu eine Revolution.

Von Björn Finke, London

Was die Briten in Deutschland einführten, spielt in ihrer Heimat keine Rolle: Nach dem Zweiten Weltkrieg verordnete die Besatzungsmacht, dass in der wichtigen Eisen- und Stahlindustrie Vertreter der Arbeiter in der Führung der Unternehmen mitreden sollten. Das war ein Vorläufer des Mitbestimmungsgesetzes, das 1951 in Kraft trat und der Belegschaft Sitze im Aufsichtsrat garantiert. In Großbritannien hingegen ist so etwas unbekannt. Zwar gibt es Betriebsräte, aber in den Boards, den Verwaltungsräten, ist kein Platz für Arbeitnehmer. Theresa May, die neue Premierministerin, will das nun ändern.

Die Politikerin kündigte an, dass in Zukunft Vertreter der Beschäftigten - und interessanterweise auch der Kunden - in Entscheidungsgremien der Firmen sitzen sollen: Das ist nicht weniger als eine Revolution, angestoßen ausgerechnet von einer konservativen Premierministerin. Die einzige andere Frau, die jemals an der Spitze einer Regierung in London stand, war Margaret Thatcher, ebenfalls von den Tories. Und die Eiserne Lady bekämpfte die Gewerkschaften erbittert. Mays konservativer Vorgänger David Cameron machte sich die Gewerkschaften genauso zum Feind, unter anderem mit einem neuen Gesetz, das Streiks erschweren soll.

May beklagt exzessive Managergehälter

May war unter Cameron sechs Jahre Innenministerin. Ihre Ansichten über Wirtschafts- und Sozialpolitik waren darum weithin unbekannt. Ihre erste große Rede zu dem Thema hielt sie im Juli, als sie sich darum bewarb, den zurückgetretenen Premier zu beerben. Es war zugleich ihre letzte Rede als bloße Bewerberin, denn direkt danach verabschiedete sich ihre einzig verbliebene Rivalin aus dem Rennen.

Was sie da sagte, dürfte in den Chefetagen nicht gut angekommen sein.

So klagte die 59-Jährige über Exzesse bei der Vergütung der Manager. Der Abstand zwischen den Bezügen der Führung und der Belegschaft sei "irrational und ungesund". Sie wolle gegen solch "unverantwortliches Verhalten" vorgehen. Außerdem seien viele Bürger auf unsichere Jobs angewiesen, manche Beschäftigte würden "ausgebeutet von skrupellosen Chefs". Der Sieg des Brexit-Lagers im Referendum zeige nicht nur den Wunsch nach einem EU-Austritt, "es war auch eine Abstimmung für ernsthaften Wandel" im Lande. Der soll in der Wirtschaft beginnen: "Es ist nicht unternehmerfeindlich zu sagen, dass sich Unternehmen ändern müssen", sagte Arbeiterführerin May.

Beschäftigte würden "von skrupellosen Chefs ausgebeutet"

Politiker schimpfen gerne über abgehobene Manager in der Hoffnung, dadurch bürgernah zu wirken. Zumal Fachleute Mays Diagnose teilen, dass das Ergebnis der EU-Abstimmung von Frust über Eliten und dem Gefühl gespeist wurde, abgehängt zu sein. Doch May beließ es nicht beim Schimpfen, sie versprach konkrete Schritte. So sollen Firmen in Zukunft veröffentlichen, um welchen Faktor das Gehalt des Chefs den Durchschnitt im Betrieb übersteigt. Diese Transparenz soll die Konzernspitze vor allzu üppigen Bonuspaketen zurückschrecken lassen. Schon bisher stimmen Aktionäre auf Hauptversammlungen über die Vergütung ab. Ihr Votum will May bindend machen.

Der größte Einschnitt aber ist das Vorhaben, Vertretern der Belegschaft Sitze im Führungsgremium zu geben statt bloß in Betriebsräten. Noch in diesem Herbst will die Regierung mit Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften darüber beraten, wie die ganzen Reformen am besten umzusetzen sind. Die Gewerkschaften fordern schon lange so ein Mitbestimmungsgesetz. Lobbyisten der Unternehmen sprechen sich gegen eine Verpflichtung aus; sie schlagen vor, dass Firmen auf freiwilliger Basis Repräsentanten der Beschäftigten in die Führungsspitze berufen.

Anderes System der Führung als in Deutschland

In den meisten europäischen Ländern sitzen Vertreter der Belegschaft oder der Gewerkschaften in den Topgremien. In Deutschland etwa im Aufsichtsrat, wo sie zusammen mit den Repräsentanten der Anteilseigner den Vorstand überwachen. Nur zehn EU-Staaten sehen keine solche Mitbestimmung vor, neben Großbritannien Italien, Belgien sowie osteuropäische Länder.

Etablieren die Briten das System, wird es anders aufgebaut sein als in Deutschland. Denn Unternehmen im Vereinigten Königreich haben keine zweistufige Führung mit Vorstand und Aufsichtsrat. Stattdessen werden sie von einem Board of Directors geleitet, einem Verwaltungsrat. In dem sitzen geschäftsführende Mitglieder - vergleichbar mit deutschen Vorständen - und nicht-geschäftsführende Mitglieder, die beraten und kontrollieren. Die Aktionäre wählen den Verwaltungsrat. Die Regierung könnte nun per Gesetz Posten von nicht-geschäftsführenden Mitgliedern Vertretern der Arbeitnehmer garantieren.

In Deutschland gilt die Mitbestimmung weithin als Erfolg; sie hat dazu beigetragen, dass Gewerkschaften und Konzerne Konflikte oft partnerschaftlich lösen, statt Streits eskalieren zu lassen. Manchmal ist das Verhältnis zu eng, wie etwa die Volkswagen-Affäre 2005 zeigte. Der Konzern hatte Gewerkschafter mit Geld und Prostituierten bestochen.

Schwer vorstellbar, dass radikale Gewerkschafter verhandeln

In Großbritannien treten einige Gewerkschaften deutlich radikaler und klassenkämpferischer auf als ihre deutschen Pendants. Feindschaft gegenüber dem Management ist da eine lange gepflegte Tradition. Schwer vorstellbar, dass solche Arbeitervertreter demnächst in Verwaltungsräten geduldig und diskret über Probleme verhandeln.

Noch größer ist die Herausforderung, Repräsentanten der Kunden in der Führungsspitze einzubinden, wie es May anregt. Firmen haben Geschäftsgeheimnisse, die Abnehmer nicht erfahren sollen. So könnte das Management des britischen Triebwerksbauers Rolls-Royce schlecht über die zukünftige Preispolitik diskutieren, wenn ein Gesandter der Flugzeughersteller Boeing oder Airbus im Verwaltungsrat sitzt und zuhört.

Hehre Versprechungen zu machen, ist eben einfacher, als sie einzulösen.

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