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Wirtschaftsministerin Nadia Calviño:Spaniens Hoffnung für den Aufschwung ist weiblich

Ministerpräsident Pedro Sánchez hat Nadia Calviño zu seiner ersten Stellvertreterin ernannt. Die Wirtschaftsministerin ist nun die mächtigste Frau im Kabinett - und beliebter als ihr Chef.

Von Karin Janker, Madrid

Es war nur eine winzige Geste, ein minimaler Kontrollverlust, keine zwei Sekunden, aber es beschäftigte Spanien tagelang: Als Arbeitsministerin Yolanda Díaz vor ein paar Wochen im spanischen Parlament bekräftigte, die Arbeitsmarktreform der Vorgängerregierung zurücknehmen zu wollen, fing die Fernsehkamera auch das Gesicht der neben ihr sitzenden Wirtschaftsministerin Nadia Calviño ein. Calviño wusste vermutlich nicht, dass sie im Bild war, oder sie konnte schlicht nicht länger an sich halten, jedenfalls rollte sie entnervt mit den Augen. Schließlich ist sie diejenige, die im Zweifel in Brüssel dafür geradestehen muss, wenn Spanien sich nicht an die Reformversprechen hält. Und diese Versprechen beinhalten kein Zurückdrehen der Reform, sondern im Gegenteil weitere dringend notwendige Strukturreformen, um den spanischen Arbeitsmarkt zukunfts- und wettbewerbsfähig zu machen.

Zwischen Spaniens parteiloser Wirtschaftsministerin Nadia Calviño und der kommunistischen Arbeitsministerin Yolanda Díaz knirscht es regelmäßig. Zu unterschiedlich sind ihre Vorstellungen von einer zukunftsfähigen Wirtschaft, zu unterschiedlich sind auch die Temperamente der beiden Politikerinnen. Dabei sind beide in den kommenden Monaten gefordert, wenn es darum geht, Spanien durch die schwerste Krise seit dem Ende des Bürgerkriegs zu schiffen. Es geht dabei auch um unterschiedliche Visionen von Spaniens Zukunft.

Seit diesem Wochenende ist nun klar, wer in den Augen von Regierungschef Pedro Sánchez mehr Vertrauen genießt: Im Zuge einer großen Regierungsumbildung hat der Sozialist Wirtschaftsministerin Nadia Calviño zu seiner ersten Stellvertreterin ernannt. Damit ist sie nun auch offiziell die mächtigste Frau im Kabinett.

Calviño arbeitete zwölf Jahre lang in Brüssel

Von ihrer Beförderung soll ein Signal ausgehen: Calviño gilt in Spanien als personifizierte Hoffnung auf Aufschwung. Und in der EU verkörpert sie die Hoffnung, dass Spanien das auch hinkriegt. Die 52-Jährige ist nicht nur in Brüssel gut vernetzt, sie unterhält auch Kontakte in die deutsche und die französische Regierung. Neben Spanisch und Englisch spricht sie Französisch und Deutsch. Calviño arbeitete intensiv am Plan zur nationalen Genesung, den Spanien im Juni in Brüssel eingereicht hat, um die rund 70 Milliarden Euro an Hilfen abzuschöpfen. Der Großteil des Geldes soll in die Digitalisierung sowie in die Energiewende fließen.

Geboren wurde Nadia Calviño 1968 im galizischen A Coruña, im äußersten Nordwesten Spaniens. Ihre Verbindungen zur Sozialistischen Arbeiterpartei PSOE verdankt sie ihrem Vater: José María Calviño war unter dem damaligen Ministerpräsidenten Felipe González Generaldirektor der staatlichen Rundfunkanstalt RTVE. Calviño studierte Wirtschaftswissenschaften sowie Jura und arbeitete während ihres Studiums als Übersetzerin. Sie hat vier Kinder, ihr Mann ist ebenfalls Wirtschaftswissenschaftler und arbeitet im Marketing.

Bevor Pedro Sánchez Calviño 2018 in seine Regierung holte, war sie zwölf Jahre lang in Brüssel, zunächst als stellvertretende Generaldirektorin für Wettbewerb, dann als Generaldirektorin für Binnenmarkt und Finanzen. 2014 übernahm sie die Generaldirektion für den EU-Haushalt unter Kommissar Günther Oettinger. Im vergangenen Jahr war Calviño als Nachfolgerin von Eurogruppen-Chef Mário Centeno im Gespräch, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich für sie eingesetzt. Die Niederlage scheint Calviño inzwischen verkraftet zu haben. Nun warten andere Herausforderungen.

In Spaniens links-linker Koalition steht Calviño für die schwierige Balance aus "Schuldenabbau und Sozialsensibilität", wie sie es selbst ausdrückt, und damit nicht selten allein. Öffentlich Fehden auszutragen, liegt ihr dennoch fern. Auch zu Arbeitsministerin Yolanda Díaz ist ihr Verhältnis kühl, aber nicht feindselig. Etwas verbindet die Ministerinnen: Sie stammen beide aus Galicien - und sind Umfragen zufolge bei den Spaniern beide beliebter als ihr Chef. Laut der jüngsten Erhebung der Meinungsforscher liegt Calviño mit 5,3 Punkten vor Díaz mit 5,2. Knapp, aber doch.

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