Süddeutsche Zeitung

Welthandel:Merkels vier Aufgaben in China

Die Bundeskanzlerin ist in Peking angekommen, zwischen Deutschland und China läuft es angeblich bestens. Der Blick hinter die Kulissen zeigt jedoch ein anderes Bild.

Von Christoph Giesen, Peking

Fragt man dieser Tage Beamte in Peking zu den deutsch-chinesischen Beziehungen, heißt es unisono: Alles wunderbar! Seitdem sich die USA und China in Handelsfragen beharken, hat Peking auf Charmeoffensive umgeschaltet. Im Fokus: Deutschland. Die große Furcht der Chinesen ist ein Zweifrontenkrieg. Hier die Amerikaner und dort die Europäer. Das allererste Gespräch nach seiner Wiederwahl im März zum Staatspräsidenten führte Xi Jinping nicht etwa mit Wladimir Putin oder Kim Jong-un, sondern mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Minutenlanges Süßholzraspeln am Telefon. Nun kommt Merkel am Donnerstag nach Peking, und Xi nimmt sich Zeit. Viele nette Worte werden fallen, und dennoch gilt: Keineswegs ist alles bestens in den deutsch-chinesischen Beziehungen, die Reibung zwischen Berlin und Peking nimmt eher zu - vor allem in der Wirtschaft. Ein Überblick:

Marktzugang

2017 war Staatschef Xi der Ehrengast beim Weltwirtschaftsforum in Davos. In den Schweizer Bergen hielt er eine bemerkenswerte Rede auf den Freihandel. Die Welt war entzückt. Taten folgten keine. Stattdessen schottet sich China weiterhin systematisch ab. Heimische Firmen werden mittlerweile offen bevorzugt. Staatliche Krankenhäuser etwa sind angehalten, Medizintechnik aus einem Behördenkatalog auszuwählen - europäische Hersteller sucht man dort vergebens. Chinas Zughersteller CRRC arbeitet bei Ausschreibungen mit einem Punktesystem: Chinesische Unternehmen erhalten vorab zehn Bonuspunkte, Joint Ventures chinesischer und ausländischer Firmen fünf und ausländische Anbieter null. Die Konsequenz: Das beste Angebot setzt sich nur selten durch. Laut einer Erhebung des Industrieländer-Klubs OECD liegt China bei der Offenheit für ausländische Direktinvestitionen derzeit auf Platz 59 von 62.

In Washington, aber auch in Berlin oder Paris, wächst derweil die Sorge vor "Made in China 2025", der ehrgeizigen industriepolischen Agenda Pekings. In den kommenden Jahren will die Regierung mindestens 300 Milliarden Dollar investieren, um in zehn als besonders zukunftsträchtig geltenden Branchen chinesische Weltmarktführer heranzuzüchten. Dazu gehören etwa der Fahrzeugbau, die Halbleiterindustrie, die Zugtechnik oder der Bereich künstliche Intelligenz. 2015 hatte Ministerpräsident Li Keqiang die Vision erstmals vorgestellt, schon 2016 schnellten die Firmenübernahmen aus China in Europa in ungeahnte Höhen. Vor allem der deutsche Mittelstand mit seinen zahlreichen Weltmarktführern in Industrienischen ist ins Visier chinesischer Unternehmen geraten. Von 2015 auf 2016 stieg das Übernahmevolumen in Deutschland um das Dreißigfache.

Cyber-Sicherheit

VPN - ein Kürzel, drei Buchstaben und für ausländische Unternehmen in China enorm wichtig. VPN, das steht für Virtual Private Network. Mit einer Software gelangt man über Schleichwege ins unzensierte weltweite Internet und sie ermöglichen es Unternehmen in China, verschlüsselte Verbindungen zwischen Dependencen in der Volksrepublik und der Zentrale aufzubauen. Sensible Dokumente wie Personaldaten, Baupläne, Verträge, Gehaltsabrechnungen werden über diese Leitungen verschickt. Seit Anfang April dürfen Unternehmen allerdings nur noch VPN-Dienste von staatlich lizenzierten Anbietern verwenden.

Doch wie sicher sind die Verbindungen, wenn der chinesische Staat einen Generalschlüssel hat? "Die Einschränkung ist eine Sorge allererster Güte", meint Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). "Die chinesische Führung setzt sich in Reden immer wieder für den Freihandel ein. Aber Daten und ihr Verkehr sind inzwischen Teil der Globalisierung." In einer Umfrage der Auslandshandelskammer in China gaben von 216 befragten Unternehmen 83 Prozent an, dass VPN-Lösungen für das Geschäft "unbedingt notwendig" seien.

Mehr als 40 Prozent der Firmen haben nun Sorge, dass sensible Daten bald nicht mehr sicher sind. Grundlage ist das sogenannte Cybersicherheitsgesetz, das im vergangenen Sommer in China in Kraft trat. Telekommunikationsunternehmen, Energie- und Wasserversorger, Transportfirmen oder Finanzkonzerne dürfen seitdem nur noch IT-Produkte kaufen, die eine staatliche Sicherheitsüberprüfung bestanden haben. Außerdem sind Firmen in China verpflichtet, ihre Daten den Sicherheitsbehörden auf Anfrage zur Verfügung zu stellen. Unternehmen, die Daten ohne Genehmigung außerhalb Chinas speichern, können ihre Geschäftslizenz verlieren.

Joint-Venture-Zwang

In vielen Branchen dürfen ausländische Unternehmen nur dann in China produzieren, wenn sie sich mit chinesischen Partnern zusammentun, die Gewinne müssen geteilt werden - eine chinesische Spezialität. Vor wenigen Wochen kündigte die Regierung an, seinen Automarkt für ausländische Hersteller zu öffnen und hob den Beteiligungszwang auf. In der Realität wird sich jedoch wenig ändern, die Joint-Venture-Verträge mit den staatlichen Herstellern haben Laufzeiten von etlichen Jahren. Und schließlich gibt es noch den informellen Zwang mit einer chinesischen Firma zusammenzuarbeiten. Kooperiert man nicht, macht man halt kein Geschäft in China.

Parteizellen

Bei vielen Privatunternehmen haben sich in den vergangenen Monaten Parteikomitees gegründet - beim Suchmaschinenkonzern Baidu wie bei jungen Start-ups. Überall reden Funktionäre mit. In den neuen Statuten der chinesischen Bahn ist inzwischen dieser Satz verankert: "Wenn der Vorstand über materielle Fragen entscheidet, dann muss er zunächst die Stellungnahmen des Parteikomitees der Firma anhören." Ratschläge, die man wohl besser nicht ignorieren sollte. Ähnliche Formulierungen finden sich bei mehr als 30 Konzernen, allesamt sind sie in Hongkong gelistet. Börsenwert: mehr als eine Billion Dollar.

Auch viele ausländische Firmen und Joint Ventures wurden zuletzt gebeten, Parteizellen einzurichten. Mal sollen Räumlichkeiten für die Parteiarbeit gestellt werden. Mal wird gleich dazu aufgerufen, bevorzugt Parteimitglieder einzustellen und zu fördern. Je geringer der Anteil der ausländischen Firmen am Joint Venture, desto forscher die Forderungen. In einigen Provinzen haben die lokalen Verwaltungen bereits begonnen, neue Verträge für die Gemeinschaftsunternehmen aufzusetzen. Die ersten Entwürfe zirkulieren. Die Außenhandelskammer warnte gar: Deutsche Firmen könnten sich "aus dem chinesischen Markt zurückziehen oder ihre Investitionsentscheidungen überdenken".

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SZ vom 24.05.2018/hgn
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