Wirtschaftsgipfel-Salon der SZ:"Wir krepieren auf unserem Geld"

Was ist nötig, damit die Digitalisierung in Deutschland gelingt? Der Mittelstand müsse mehr in Start-ups investieren - und der Staat mehr in Bildung, fordern Experten.

Von Ekaterina Kel

Druckt er gelegentlich auch mal seine Mails aus? Ja, mache er, sagt Christoph Bornschein, und wirkt dabei leicht genervt: "Das bringt uns null weiter, darüber zu reden", so der 34-jährige Digitalberater aus Berlin, dessen Dienste die Bundesregierung ebenso in Anspruch nimmt wie Dax-Konzerne und namhafte Mittelständler. Der Mann mit dem Wuschelkopf und den Flip-Flops will lieber über die großen Fragen der Digitalisierung reden: vor allem darüber, wie sich neue, bahnbrechende Geschäftsmodelle entwickeln lassen. Ob die deutschen Unternehmen im digitalen Zeitalter erfolgreich seien, (oder ob sie das Feld anderen überlassen), hänge davon ab - und nicht von der Frage, wie man Mails lese.

Etwa 100 Unternehmer und Manager vor allem aus München, Berlin und Frankfurt sind an diesem Abend ins Hochhaus der SZ gekommen, um über Wirtschaft, Staat und Gesellschaft im digitalen Zeitalter zu debattieren. "Neu denken", lautet das Thema beim ersten WirtschaftsgipfelSalon der Süddeutschen Zeitung, einer Ergänzung zum jährlichen SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin (siehe Kasten). Auf dem Podium sind neben Bornschein noch Eckhard Späth von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC und Ann-Kristin Achleitner, Professorin am Lehrstuhl für Unternehmensfinanzierung der Technischen Universität München (TUM).

"Es gibt bei uns große Elternfraktionen gegen Laptops an Grundschulen."

Schaffen es die deutschen Unternehmer also wirklich, neu zu denken? Achleitner sagt, die meisten Firmenlenker hätten verstanden, dass sich in ihren Unternehmen gerade sehr vieles verändern müsse. "Das Dass ist klar, die Frage ist: Wie?" Das Problem sei, dass man in Deutschland leider zur Risikovermeidung neige. Wenn man in eine ungewisse Zukunft aufbrechen soll, würden viele zögerlich reagieren. "Keiner weiß, wie es sein wird und gleichzeitig haben die Geschäftsführer und Vorstände die Verantwortung, dass es klappt", sagt die Professorin, die auch den Aufsichtsräten mehrerer Unternehmen angehört.

Bornschein spricht von einem Graben, der sich quer durch die deutsche Unternehmenslandschaft ziehe, entlang der Einschätzung, wie wichtig oder nebensächlich die digitale Veränderung sei. In Schweden habe man früh erkannt, dass einer nationalen Gesamtstrategie bedürfe. Hierzulande: nichts dergleichen. Tatsächlich nimmt Schweden inter Dänemark auf dem Digitalisierungsindex der Europäischen Union den zweiten Platz ein. Deutschland liegt auf Platz 14, im Bereich Wirtschaft sogar nur auf Platz 21. Das Ranking gibt an, wie stark moderne IT, soziale Medien und Cloud-Lösungen in Unternehmen jedes EU-Landes eingesetzt werden.

Bornschein beklagt, dass deutsche Unternehmen die Digitalisierung oft zu eng angingen, sie konzentrierten sich darauf, Arbeitsprozesse zu automatisieren dadurch effizienter zu werden. Maschinen zu vernetzen reiche aber noch lange nicht aus. Es brauche stattdessen mehr mutige Unternehmen, die über völlig neue Wertschöpfungsketten nachdenken, zum Beispiel über Plattformen, wie sie Facebook oder Airbnb geschaffen haben.

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Ein weiteres Problem: Digitalisierung ist zum Angst-Wort verkommen. Viele Führungskräfte fürchteten sich mittlerweile regelrecht vor dem Umbau der Arbeitsprozesse und womöglich des gesamten Geschäftsmodells, der ihnen bevorstehe - ein Problem, das PwC-Mann Späth ebenso benennt wie Achleitner und Bornschein. Es fehle ein "positives Zukunftsbild" für die Digitalisierung sagt Bornschein. "Das nervt mich wahnsinnig!"

Dabei wäre genug Geld da, um in innovative Geschäftsmodelle zu investieren, meint Gerald Vollnhals. Er hat einst Immobilienscout in ein Online-Unternehmen verwandelt und dazu den Versand von Angeboten per Fax abgeschafft, später hat er etliche Start-ups gegründet, heute ist er Investor und sagt, er höre immer wieder den gleichen Satz: "Ich habe so viel Geld auf dem Konto, aber ich weiß nicht, was ich damit tun soll." Das sagen vor allem Familienunternehmer. Weil ihnen die Finanzierung von Start-ups oft zu riskant sei, kauften sie sich, klagt Vollnhals, lieber eine Häuserzeile in München. "Das Kapital aus vergangenen Generationen muss wieder operativ eingesetzt werden", fordert er. "Wenn wir das nicht hinkriegen, krepieren wir auf unserem eigenen Geld."

Der erste Schritt, um mehr Kapital für Start-ups zu mobilisieren, wären Steuerbegünstigungen, sagt Eckhard Späth von PwC. Wenn der mögliche Ertrag eines Start-ups weniger besteuert würde, könnte das gerade den risikoscheuen Investoren in Deutschland, also nicht zuletzt auch den Familienunternehmern und Mittelständlern, den nötigen Anreiz geben, ihr Geld in risikoreiche Geschäftsmodelle zu investieren. Auch Ann-Kristin Achleitner sieht dies als eine zentrale Aufgabe für die Politik.

Aber nicht nur der Mittelstand muss investieren, sondern auch der Staat - und zwar in Bildung. Da sind sich alle Sprecher einig. In Deutschland müsse man die Kinder viel früher, am besten schon von der ersten Klasse an, für Digitales und Daten sensibilisieren. Mehr und mehr würden diese Themen genauso wichtig, wie das Alphabet oder das Einmaleins. Wie in skandinavischen Ländern die Schulbücher durch Tablets zu ersetzen, werde allerdings nicht so einfach sein, glaub Ann-Kristin Achleitner. "Es gibt bei uns große Elternfraktionen gegen Laptops an Grundschulen", berichtet sie.

Vertrauen schaffen!

Der erste SZ-Wirtschaftsgipfel-Salon hatte die Digitalisierung zum Thema, und das wird natürlich auch den großen Wirtschaftsgipfel 2018 der Süddeutschen Zeitung vom 12. bis 14. November in Berlin beschäftigen - so massiv sind die Veränderungen für den Alltag von Menschen und Unternehmen. In unsicheren Zeiten gibt es aber auch weitere drängende Fragen. Unter dem Kongressmotto "Vertrauen schaffen!" werden die drängenden Fragen von Asyl bis Zölle behandelt, die sich Wirtschaft und Politik stellen. Nach der langen Regierungsfindung tritt das neue Kabinett in großer Stärke bei der SZ an: Bundeskanzlerin Angela Merkel ist ebenso dabei wie ihr Kanzleramtschef Helge Braun und die Minister Peter Altmaier, Olaf Scholz, Horst Seehofer, Franziska Giffey und Andreas Scheuer. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird über seine Verhandlungen mit Donald Trump berichten, Bundesbank-Präsident Jens Weidmann über Euro und Niedrigzinsen sprechen. Der Ministerpräsident von Estland, Jüri Ratas stellt ein beispielhaft digitalisiertes Land vor, Konzernschefs von Joe Kaeser (Siemens) über Christian Sewing (Deutsche Bank) bis Thomas Buberl (Axa) diskutieren die Zukunft der Wirtschaft. Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske misst sich mit dem Chef des Sachverständigenrats, Professor Christoph Schmidt, der Präsident der Verbraucherverbände, Klaus Müller, stellt sich im Kreuzverhör. Der Kongress klärt die Frage, wie sehr intelligente Roboter unser Leben verändern (Roboter auf der Bühne). Es geht um Flugtaxis und E-Autos, oder anders gesagt: die Zukunft der vernetzten Mobilität, zahlreiche Gründerinnen und Gründer nehmen am Kongress teil. Dieses uns vieles mehr findet im Hotel Adlon statt. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.sz-wirtschaftsgipfel.de. sz

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