Süddeutsche Zeitung

SZ-Wirtschaftsgipfel:Joe Kaeser: "Deutschland first" als Plan B

  • Auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel diskutieren zum Beispiel Wirtschaftswissenschaftlerin Ann-Kristin Achleitner oder Siemens-Chef Joe Kaeser.
  • Wirtschaftswissenschaftlerin Ann-Kristin Achleitner wünscht sich, das Deutschland und Frankreich enger zusammenrücken.
  • Joe Kaeser hat einen Vorschlag, falls das mit Europa nicht so gut funktioniere: "Deutschland first".

Von Thomas Fromm, Berlin

Wie ist sie nun wirklich, die Lage in Deutschland? Was muss getan werden, was haben die vielen Jahre unter einer Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gebracht und wie geht es nun weiter? Wenn nun sehr unterschiedliche Menschen auf der Bühne sitzen und alle behaupten, dass sie sehr zufrieden sind, dann scheint alles gut zu sein. Doch so einfach ist es nicht. Wenn Menschen wie Verdi-Chef Frank Bsirske, die Wirtschaftswissenschaftlerin Ann-Kristin Achleitner oder Siemens-Chef Joe Kaeser debattieren, gibt es spannende Zwischentöne. Wie also ist die Lage? Eine gute Frage für Siemens-Chef Joe Kaeser. Er gehört nicht zu den Managern, die sich mit politischen Äußerungen zurückhalten. Im Januar lobte er bei einem Abendessen in Davos den US-Präsidenten Donald Trump für seine Unternehmenssteuerreform. Ein paar Wochen später dann twitterte er eine klare Meinung zu Trumps Handelspolitik: "Nach einer großartigen Steuerreform, um neue Jobs zu schaffen, ein lausiger Ansatz zu fairem Handel." Am Montag nun saß der Siemens-Chef im Adlon-Hotel und sagt: "Uns geht es so gut wie nie, und dennoch ist viel zu tun." Mehr noch: "Was Deutschland angeht, bin ich sehr zufrieden, es ist ein wunderbares Land. Der Wohlstand kommt daher, dass wir weltoffen sind."

Der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Christoph Schmidt, hat zu der Frage gerade ein dickes Gutachten der Bundesregierung übergeben. Er sagt: "Noch geht es uns gut." Nun gut, die Betonung liegt hier auf "noch". Seit zehn Jahren gebe es Aufschwung. "Wir wissen aber auch: Die Risiken sind gewaltig."

Wenn die gefühlte Gegenwart und die Perspektiven der Zukunft möglicherweise weit auseinanderfallen, dann ist es schwierig. "Es fällt vermutlich schwer, zuzuhören und auch zu handeln", sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Ann-Kristin Achleitner ist Professorin für Betriebswirtschaft und hilft Start-ups. Ist wenigstens sie richtig pessimistisch? "Ich bin auch grundpositiv." Frank Bsirske, der Verdi-Chef, spricht von einer "verschärften Risikolage" trotz "positiver Grundstimmung". Aber da ist die Frage: "Was wird aus mir im Alter? Kann ich meine Wohnung noch bezahlen, was wird aus dem Klima, was wird mit meiner Rente?" Erstaunlich gnädig geht er mit der Regierung um. Wenn auch: Viele Menschen seien von Armut bedroht.

Allmählich geht es jetzt in die Sachthemen. Wolfgang Langhoff, Europa-Chef des Mineralöl-Produzenten BP, hält "die Debatte um den Diesel für relativ übertrieben". Nicht die Emissionswerte in den Städten würden schlechter, sondern die Ziele immer strenger. Das hätte die Bevölkerung verstanden und "wenig Verständnis" dafür. Das Thema verfängt nur wenig - statt über den Diesel spricht man lieber über das große Ganze.

Bsirske besorgt die Zukunft der Europäischen Integration. "Ein Auseinanderfallen der gemeinsamen Währung hätte katastrophale Folgen für alle Länder. Das ist ein ziemlich düsteres Szenario." Also: Mehr Souveränität an die EU abgeben. Aber ist der Wille da, dies auch zu tun? Christoph Schmidt sagt: Viele Länder würden das gar nicht mitmachen wollen. Stichwort Italien: "Wenn ein Land sagt, das machen wir nicht, wird es schwer mit der Integration". Ein Maastricht 2.0 sei jetzt gefragt: "In Integration hüpfen, nur weil es vermeintlich etwas bringt", sei gefährlich.

Ann-Kristin Achleitner wünscht sich eine engere deutsch-französische Zusammenarbeit, wenn es um die Zukunft des Kontinents geht: "Aus Frankreich kommt eine tiefe Frustration zurück. Dass man keine gemeinsame Vision erarbeitet hat, das spürt man jetzt." Jetzt, wo der Brexit kommt, müssten Deutschland und Frankreich zusammenrücken. Müssten.

Kaesers Deutschland-Idee

Kaeser bringt schließlich ein ganz neues Konzept ins Spiel: "Deutschland first". In Zeiten von US-Präsident Donald Trump muss man das natürlich etwas genauer erklären. "Wir brauchen auch eine deutsche Position in der Welt," findet der Manager. Man könne sich nicht darauf verlassen, dass das mit Europa für immer funktioniere. Gelingt dem französischen Präsident Emmanuel Macron die weitere EU-Vertiefung oder nicht, und was bedeutet das dann für Deutschland? "Das ist die falsche Diskussion", glaubt Kaeser, "Europa nachtrauern" sei die falsche Debatte. Das klingt jetzt so, als hätte da jemand Europa schon abgehakt. Er will sich aber nicht falsch verstanden wissen: "Ich sage nur, dass wir einen Plan B brauchen." Viel wichtiger noch: Man solle sich um das kümmern, was er "Geiseln" der Gesellschaft nennt. Dazu gehörten nicht nur Klimawandel und Flüchtlingsdramen, sondern auch das "Finanzcasino", der Hochfrequenzhandel an den Börsen. Diese Kurzfristigkeit an den Finanzmärkten könnte zu einer Krise führen, die dann weitaus dramatischer ausfallen dürfte als die Finanzkrise vor zehn Jahren.

Bsirske fordert eine stärkere Kontrolle des Schattenbanken-Sektors - und er will die Probleme der Flüchtlingsdramen vor Ort anpacken, indem man die Lebensumstände in Afrika verbessert.

Die Probleme und Chancen liegen in Europa, nirgendwo anders. "Es gab in Deutschland schon Gründer, da gab es noch gar keine Garagen", sagt der Siemens-Chef. Mythos Silicon Valley? "Meine Damen und Herren, fahren Sie dahin, da sehen Sie gar nichts." Das Valley sei eine Grundeinstellung. Deutschland aber? "Wir haben die Nummer eins in der Welt der Versicherungen, die Nummer eins bei Rückversicherungen." Der Moderator sagt: "Ok, danke für den Werbeblock."

Am Ende sagt Kaeser, dass er gerne Heinrich Bölls "Ansichten eines Clowns" gelesen hat. Ein Buch über einen Clown, der von sich sagt, dass er "Augenblicke" sammelt. Passt irgendwie auch ganz gut.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4207129
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.11.2018/lüü
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.